Alles ändert sich
Cumali Yagmur
In der Vielfalt der deutschen Mehrheitsgesellschaft wird die Minderheit der Einwanderer immer mit der Angst vor kulturellen Verlusten leben, und damit, Identität zu verlieren.
Konservative Parteien und reaktionäre politische Kräfte bestärken dies mit repressivem nationalistischem Rassismus und fluchen gegen die Widerstandskraft der Einwanderer. Sie setzen die Demütigung und Verachtung von Einwanderern fort, indem sie sich zu Unrecht als Bewahrer kultureller Werte in diesem Land bezeichnen.
Die bürgerlichen Parteien dagegen sehen die Minderheit der Einwanderer nur als Arbeitskraft im Land und versuchen, das Ausländerrecht über alles zu stellen. Damit behindern sie die Ausübung der demokratischen Rechte der Einwanderer und verhindern den Austausch und den Dialog der Kulturen. Vorurteile gegenüber einem großen Teil der Einwanderer herrschen vor, ausgenommen Einwanderer, die ihnen nahestehen und selbst wenn diese Mitglieder ihrer bevorzugten Partei sind, und das vor allem durch Unkenntnis und mangelnden Austausch.
Diese Mehrheitsgesellschaft reflektiert die Geschichte der Einwanderung nicht, wenn sie zu kurz gedacht meint, dass die Entwicklungen der hiesigen kulturellen Werte konstant wären und sich nie geändert hätten. Obwohl sie lange Zeit mit Einwanderern in der gleichen Gesellschaft zusammenlebt, sieht sie diese kulturell sehr unterschiedlich. Sie denkt zu wenig daran, mit der im Land lebenden Minderheit der Einwanderer gemeinsam eine demokratische, liberale und soziale Gesellschaft mit weiter zu entwickeln.
Diese Mehrheitsgesellschaft ist (noch) nicht bereit, alle Aspekte aller Kulturen zu betrachten und auf sich wirken zu lassen, ohne sich ständig abzugrenzen und gegen komplizierte Aspekte anderer Kulturen anzukämpfen. Doch universelle wie internationale kulturelle Denkweisen in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden, die eine weltweite Bedingung des friedlichen Zusammenlebens darstellen, beginnen, sich zu etablieren. In Europa hat bereits die 68er-Generation die Diskussion darüber begonnen, Ideen für eine multiethnische Gesellschaft zu entwickeln. Heute scheint dieser Konflikt an einem Wendpunkt angekommen zu sein.
Die deutsche Gesellschaft muss anerkennen, dass eine Vorstellung von einer Überlegenheit ihrer gewachsenen kulturellen Werte Veränderungen verhindern. Die Identifikation mit seinem Land sollte im Zeitalter der Globalisierung nicht überholt erscheinen, und man sollte deswegen anderen Kulturen gegenüber offener und toleranter auftreten können. Es ist erkannt, dass jedes der europäischen Länder, also auch Deutschland, sich mit seine eigenen Einwanderungsgeschichte auseinanderzusetzen hat.
In Deutschland geborene und aufgewachsene Migrantenkinder der fünften Generation können ihre eigene Kultur nicht intensiv leben. Wir wissen, wie sie über Generationen hinweg ausgegrenzt werden.
Kultur unterliegt einem ständigen Wandel, da sie sich nie im Privatbesitz einer Gesellschaft befindet. Möglichkeiten für ein langes friedliches Zusammenleben unter gleichen Bedingungen finden sich in der Gestaltung einer neuen Republik nur dann, wenn sie universelle kulturelle Strukturen schafft, indem sie alle Minderheiten des Landes hört, anerkennt und deren ganze gleichberechtigte politische und gesellschaftliche Teilhabe gewährt.