Türkei drängt auf Beitritt: Ankara wirft EU „strategische Blindheit“ vor

 
Artikel von Erkan Pehlivan

 EU-Beitritt

Die Türkei drängt auf eine Mitgliedschaft in der EU. Druck alleine werde nicht ausreichen, meint ein Experte. Ankara müsse seine Hausaufgaben machen.

Ankara – Die Türkei besteht weiterhin auf eine Mitgliedschaft in der EU. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte das zuletzt beim Nato-Gipfel in Vilnius im Juli bekräftigt. „Öffnet erst den Weg für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, und dann öffnen wir den Weg für Schweden“, sagte Erdogan im Vorfeld des Gipfels auf Schwedens Nato-Beitritt bezogen. Auch sein neuer Außenminister Hakan Fidan, der ehemalige Chef des Geheimdienstes MIT, bekräftigte bei einer Konferenz der Botschafter in Ankara am Montag (7. August) den Wunsch an eine Mitgliedschaft in der EU.

Türkei wirft EU „strategische Blindheit“ vor

„In einem Umfeld, in dem die EU- und Nato-Mitgliedschaft aller Balkanländer, der Republik Moldau und sogar der Ukraine diskutiert wird, ist die Tatsache, dass der EU-Beitrittsprozess der Türkei ins Stocken geraten ist, eine strategische Blindheit“, sagte Fodan. In der neuen Periode sei es wichtig, die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU mit einem visionären Ansatz anzugehen und den Prozess mit der Perspektive einer Vollmitgliedschaft neu zu beleben. Die Europäische Union könne ohne die Türkei kein wirklich globaler Akteur sein.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan warnt Brüssel, ohne die Türkei kein globaler Akteur werden zu können.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan warnt Brüssel, ohne die Türkei kein globaler Akteur werden zu können. © dpa/Mikhail Metzel

 

Alleine durch Druck auf den Westen wird die Türkei nicht die EU-Mitgliedschaft bekommen, fürchtet der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Prof. Savaş Genç. „Wenn die Türkei die EU-Mitgliedschaft will, muss sie nur ihre Hausaufgaben machen. Das Parlament ist in den Händen der AKP, warum schließt sie das EU-Kapitel nicht ab? Die Türkei ist schließlich schon Beitrittskandidat,“ sagt der Wissenschaftler im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.  „Was Demokratie, unabhängige Justiz und Medien angeht, spielt die Türkei in der gleichen Liga wie die militanten afrikanischen Regime. Niemand sollte sich etwas vormachen, die EU ist kein Hobby, für das man sich interessiert“, so Genç.

Auch sieht der Türkei-Experte keinen Grund für die EU, wie vom türkischen Außenminister angesprochen, „globaler Akteur“ zu werden. „Die EU will kein globaler Akteur sein. Sie will eine starke Union sein und will ihre interne Struktur vertiefen und stärken. Sie wickelt ihre globalen Angelegenheiten bereits mit der Nato ab“, so Genç.

Türkei seit 1999 EU-Beitrittskandidat

Die Türkei ist seit 1999 EU-Beitrittskandidat. Im Jahr 2005 wurden offizielle Beitrittsverhandlungen aufgenommen. Nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 und den darauf folgenden Massenverhaftungen sowie Menschenrechtsverletzungen legte Brüssel die Verhandlungen aus Eis. Seither bescheinigen auch internationale Organisation wie Human Rights Watch und Amnesty International dem Land massive Menschenrechtsverletzungen.

Fidan hatte etwa in seiner Zeit als Geheimdienstchef ein Entführungsprogramm gegen Regierungskritiker gestartet. Im In- und Ausland wurden über 100 Menschen entführt und in Geheimgefängnissen in der Türkei gefoltert. Erst nach Monaten der Folter und Geständnisse wurden sie dann der Justiz übergeben. Im Dezember 2018 hatten gemeinsame Recherchen von acht internationalen Medien unter dem Titel „Black Sites Turkey“, koordiniert von Correctiv, das Entführungsprogramm der türkischen Regierung offengelegt. Allerdings wurden auch nach Enthüllung weitere Personen durch den türkischen Geheimdienst entführt. (erpe)