Cem Özdemir kritisiert Regierung für Umgang mit Recep Tayyip Erdogan

Özdemir kritisiert Merkels Türkei-Politik "Unterstützung für Erdogans Weg in die Diktatur"

Er spricht von einem Skandal: Grünen-Chef Özdemir kritisiert in einem Interview Berlins ängstlichen Türkei-Kurs. Einer Umfrage zufolge wollen zudem 77 Prozent Erdogan einen Wahlkampfauftritt in Deutschland verbieten.

DPA

 Soll der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland Wahlkampf für seine Verfassungsreform machen dürfen? Bei den Bundesbürgern stößt der geplante Auftritt einer Umfrage zufolge auf breite Ablehnung.

Demnach sind 77 Prozent der Meinung, dass Erdogan ein Wahlkampfauftritt nicht gestattet werden sollte. 15 Prozent der Befragten sind gegen ein Verbot, acht Prozent antworteten mit "Weiß nicht". Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für die "Bild am Sonntag". Für die Erhebung wurden laut Emnid 503 repräsentativ ausgewählte Personen befragt.

Grünen-Chef Cem Özdemir sprach sich in der "Bild am Sonntag" ebenfalls gegen einen Besuch des türkischen Staatschefs in Deutschland aus. "Dass Erdogan unsere Demokratie dazu missbraucht, für seine Diktatur in der Türkei zu werben, finde ich unerträglich", sagte Özdemir. "Propaganda für einen Folter- und Unterdrückungsstaat hat in unserem Land nichts verloren."

Cem Özdemir Der potenzielle Auftritt Erdogans in Deutschland hatte bereits in der vergangenen Woche für Aufregung gesorgt. Sein harter innenpolitischer Kurs nach dem gescheiterten Putschversuch, die Beschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit und die Inhaftierungen von Oppositionellen - es gibt genügend Gründe für Erdogan-Gegner, um gegen eine Kundgebung des Staatsoberhaupts hierzulande zu mobilisieren.

Aber kann die Bundesregierung den Auftritt überhaupt verhindern? Und wie ginge das? (Lesen Sie hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen zu diesem Thema.)

Grünen-Parteichef Özdemir sprach sich in dem Interview für eine Ablehnung der von Erdogan ausgearbeiteten Präsidialreform aus - und nimmt die Parteien der Großen Koalition in die Pflicht. "Meine Partei unterstützt das Nein. Ich bin gespannt, ob sich Union und SPD auch dazu durchringen können."

Özdemir kritisiert Gabriel im Fall Yücel: "Zu lange geschwiegen"

In der Türkei soll die Verfassung geändert, die Republik von einer parlamentarischen Demokratie in ein Präsidialsystem umgebaut werden. Am 16. April werden darüber die Bürger des Landes in einem Referendum entscheiden.

Özdemir kritisierte die Türkei-Politik der Bundesregierung scharf. Zur geplanten Reise von Kanzlerin Angela Merkel im April in die Türkei sagte er: "Das kann nur als Unterstützung für Erdogans Weg in die Diktatur gewertet werden. Traurig, aber wahr: Bei dieser Bundesregierung werden Menschenrechte klein geschrieben."

Özdemir bemängelte auch, Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) unternehme nicht genug für eine Freilassung des seit vergangener Woche in Istanbul inhaftierten "Welt"-Journalisten Deniz Yücel. "Gabriel hat viel zu lange geschwiegen. Ein Skandal!" Der Außenminister müsste alle Hebel in Bewegung setzen, um den Journalisten zu befreien.

Deniz Yücel

Der Grünen-Politiker thematisierte zudem die Spitzel-Vorwürfe gegen Imame der türkisch-islamischen Union Ditib. "Ich habe fast den Eindruck, dass Erdogan erst um Erlaubnis gefragt wird, bevor wir mal deutlich machen, dass Spitzelnetzwerke, Hetze und Fanatismus in Deutschland nichts verloren haben", sagte Özdemir.

Er kritisierte vor allem die Passivität der Bundesregierung: "Erdogans Spitzelnetzwerk hat in deutschen Moscheen oder Schulen nichts verloren." Aber die Bundesregierung schaue einfach weg. Sie habe so lange gewartet, bis alle betroffenen Personen und Beweise außer Landes gebracht worden seien.

Erdogan glaube, Merkel wegen des Flüchtlingspakts in der Hand zu haben und die Bundesrepublik Deutschland wie eine Außenstelle der Türkei behandeln zu können, sagte Özdemir. "Die Bundesregierung ist viel zu ängstlich gegenüber Erdogan."