Von HAZ
Wie pleite ist Hannover wirklich?
Hannover.Corona-Pandemie, Ukraine-Krise, immer mehr staatliche Aufgaben, die den Kommunen aufgedrückt werden – die finanzielle Lage der Stadt Hannover ist sehr ernst. So schwierig wie jetzt, sei es noch nie zuvor gewesen, sagte Kämmerer und Erster Stadtrat Axel von der Ohe (SPD) kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung. Indiz dafür ist die Höhe der kurzfristigen Kredite ("Kassenkredite"), die die Stadt in Anspruch nehmen muss, um laufende Ausgaben zu finanzieren. Bis zu 350 Millionen Euro braucht sie derzeit, um alle Rechnungen bezahlen zu können. Befindet sich Hannover am Rande einer Pleite? Wir klären die wichtigsten Fragen.
Was sind überhaupt Kassenkredite?
Kassenkredite sind kurzfristige Kredite, die eine Kommune aufnimmt, um finanzielle Engpässe zu überbrücken. Häufig werden sie mit einem Dispokredit verglichen. Die Stadt überzieht gewissermaßen ihr Konto, um ihre Rechnungen bezahlen zu können.
Und wie läuft die Kreditaufnahme in der Praxis?
Die Kämmerei leiht sich das Geld tagesaktuell je nach Liquiditätsbedarf. Die Experten telefonieren morgens mit verschiedenen Banken und suchen nach dem günstigsten Angebot. Bereits am nächsten Tag zahlt die Stadt das Darlehen wieder zurück, etwa aus dem Erlös von Grundstücksverkäufen oder aus Gewerbesteuerzahlungen von Unternehmen. Da der Liquiditätsbedarf aktuell auch am nächsten Tag hoch bleibt, beginnt der Prozess von Neuem. Das hat Vorteile: Durch die tagesaktuelle Kreditaufnahme bleiben die Konditionen günstig, aber auch rechtlich ist das in Niedersachsen so vorgeschrieben. Kredite auf der sogenannten „Over-Night“-Basis („über Nacht“) werden solche Darlehen genannt. Derzeit liegt der tägliche Geldbedarf der Stadt zwischen 300 und 350 Millionen Euro.
Was bezahlt die Stadt mit solchen Krediten?
Meist sind es größere Posten, die die Stadt mit kurzfristigen Krediten finanziert, etwa Lohnzahlungen für Mitarbeiter oder die Regionsumlage, also Überweisungen an die Regionsverwaltung.
Derzeit geschlossen: das Fössebad. Betonteile drohten, von der Decke zu fallen. Das Bad soll für 30 Millionen Euro neu errichtet werden. Die Sanierung aller hannoverschen Bäder verschlingt 21 Millionen Euro.
© Quelle: Moritz Frankenberg
Welche Konditionen bekommt die Stadt?
In der vergangenen Woche hat die Stadt noch Geld dazu bekommen, als sie Schulden machte. Der Zinssatz für Kassenkredite lag bei minus 0,47 Prozent. Das dürfte in dieser Woche ähnlich sein. Doch ein Trend ist abzusehen: Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass der Leitzins noch in diesem Sommer angehoben wird, und dann kann es teuer werden für die Stadt.
Steht Hannover jetzt kurz vor der Pleite?
Nein. Zwar sind die Kassenkredite für hannoversche Verhältnisse außerordentlich hoch, aber im Vergleich zum Haushaltsvolumen und zur Anzahl der Einwohner relativieren sich die Zahlen. Rund 14 Prozent vom Gesamthaushalt machen die Kassenkredite derzeit aus. Die Kämmerei hat sich in der Corona-Krise sogar einen erhöhten Kreditrahmen von 800 Millionen Euro vom Rat genehmigen lassen, ohne dass die Kommunalaufsicht, eine Behörde des Innenministeriums, zustimmen musste. Diesen Rahmen hat die Stadt aber nie ganz ausgeschöpft. Bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegt Hannover derzeit bei 560 Euro pro Einwohner. Das hört sich viel an, aber Kommunen in Nordrhein-Westfalen kennen ganz andere Zahlen. In Oberhausen liegt die Pro-Kopf-Verschuldung bei 7300 Euro, in Mühlheim an der Ruhr bei 6400 Euro. Die Kassenkredite übersteigen in diesen Kommunen die Milliardengrenze.
Die Fassade bröckelt: Darum ist Hannovers Bauamt seit vielen Jahren eingerüstet. 45 Millionen Euro kostet eine Sanierung des Gebäudes.
© Quelle: Michael Thomas
Wie kommt die Stadt runter von den Schulden?
Die Rathausspitze setzt auf eine sogenannte Aufgabenkritik. Das bedeutet, dass sich die Verwaltung von verschiedenen Dienstleistungen trennt, um laufende Ausgaben zu reduzieren. Welche Leistungen das sein könnten, sollen jetzt Unternehmensberater herausfinden. Sie durchforsten derzeit die Abteilungen und legen voraussichtlich noch in diesem Jahr Vorschläge vor, wo der Rotstift angesetzt werden könnte. Zugleich könnte die Stadt ihre Einnahmen erhöhen, indem sie an der Gebühren- und Steuerschraube dreht.
Was könnte Hannover mit 300 bis 350 Millionen Euro anfangen?
Wenn es nicht laufende Rechnungen wären, die die Stadt mit den Kassenkrediten finanzieren müsste, könnte man mit einer solchen Summe viel machen. Etwa das Stadtbahnnetz ausweiten: Die Stadtbahnverlängerung nach Hemmingen kostet rund 77 Millionen Euro für etwas mehr als drei Kilometer Länge. Oder marode öffentliche Gebäude flott machen: Das seit Jahren eingerüstete Bauamt neben dem Rathaus müsste komplett saniert werden. Die Kosten schätzt die Stadt auf 45 Millionen Euro. Oder die Bäder erneuern: 21 Millionen Euro kostet die Reparatur der hannoverschen Schwimmbäder, nicht eingerechnet ist der Neubau des Fössebads für mindestens 30 Millionen Euro.