Deutsche Bank kündigt Konten von Erdogan-Gegnern in Deutschland

 

 

Recep Tayyip Erdogan: Seine Regierung verfolgt mutmaßliche Gülenisten auch im Ausland

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Ein nüchternes Schreiben, zwölf Zeilen lang – und die Sache war besiegelt. Die Deutsche Bank kündigte die Konten mehrerer türkischer Oppositioneller in Deutschland. Das erfuhr WELT AM SONNTAG von drei Betroffenen.

In den Schreiben der Bank an die Kunden von Mitte März heißt es, man habe das Recht, die Geschäftsbeziehung jederzeit zu beenden. Davon mache man nun Gebrauch. Einen Grund für die Kündigung gab die Bank in dem Brief nicht an. Doch die Betroffenen hegen einen Verdacht. Denn sie alle eint, dass die türkische Regierung sie für Terroristen hält – und seit Dezember 2021 auf einer „schwarzen Liste“ führt.

Einer der Kunden soll hier Murat Demir heißen. Aus Angst vor weiteren Repressionen möchte er nicht mit seinem echten Namen in der Zeitung auftauchen. Der Redaktion ist seine wahre Identität bekannt. Demir ist wie die beiden anderen Betroffenen Anhänger der Gülen-Bewegung. Die türkische Regierung macht die islamische Gruppierung für den gescheiterten Putschversuch im Jahr 2016 verantwortlich. In Deutschland ist die Gülen-Bewegung zwar nicht unumstritten, wird von den Sicherheitsbehörden aber nicht als verfassungsfeindlich eingestuft.

Die drei Betroffenen stellten Nachforschungen an, nachdem sie die Kündigung erhalten hatten. Und sie stellten fest: In der internationalen Finanzdatenbank World-Check ist seit Dezember 2021 eine Notiz über sie hinterlegt. World-Check ist ein privates Unternehmen, das laut eigenen Angaben Informationen über „politisch exponierte Personen“ bereitstellt. Zu den Kunden gehören laut World-Check einige der größten Banken der Welt. Sie nutzen den Dienst etwa, um zu überprüfen, ob gegen Kunden Sanktionen verhängt wurden oder Verbindungen zu Wirtschaftskriminalität, Geldwäsche, Terrorismus, Drogenhandel, Waffen und Menschenhandel bestehen.

Dieser Zeitung liegt ein Auszug aus der Datenbank vor. Darin heißt es über Demir, dieser sei Mitglied der Terrororganisation „Fetö“ – in der Türkei ist dies der gängige Name für die Gülen-Bewegung. Das dortige Finanzministerium habe demnach Demirs Vermögen eingefroren.

Verfolgung im Ausland

Ist es möglich, dass die Deutsche Bank – zum Beispiel im Zuge der Durchsetzung der Sanktionen gegen russische Vermögenswerte – eine neuerliche Überprüfung von World-Check-Einträgen veranlasste und in der Folge auch Gülen-Anhänger sanktionierte?

Das Unternehmen hält sich dazu bedeckt. Ob man auf die Datenbank World-Check zurückgreife, will die Deutsche Bank auf Anfrage nicht kommentieren. Auch zu individuellen Kundenbeziehungen könne man sich nicht äußern, teilte ein Sprecher mit. Gegenüber Demir erklärte die Deutsche Bank, es gebe keine politischen Gründe für die Auflösung seines Kontos. Viel eher handele es sich um einen normalen „prozessualen“ Vorgang. Demir habe das Konto bereits länger nicht mehr genutzt. Recherchen der WELT AM SONNTAG zeigen jedoch, dass es klare denunziatorische Hinweise über Demir gab – und einen Absender, der sie bewusst gestreut hat.

Die Gülen-Anhänger bezweifeln deshalb, dass die Deutsche Bank die ganze Wahrheit verrät. Zum einen geben die beiden anderen Betroffenen an, ihr Konto aktiv genutzt zu haben. Zum anderen wurden schon in anderen Ländern wie Großbritannien und Neuseeland Konten von Erdogan-Gegnern durch große Banken gekündigt – offenbar aufgrund von Druck aus Ankara. Die türkischen Behörden verfolgen die Gülenisten auch im Ausland mit allen Mitteln. Die Vereinten Nationen haben bereits mehr als 100 Fälle dokumentiert, in denen der türkische Geheimdienst türkische Staatsbürger sogar widerrechtlich aus dem Ausland entführt hat.

Doch wie landete Demir überhaupt auf der schwarzen Liste der türkischen Regierung? Auch das lässt sich über die Datenbank World-Check erstaunlich genau nachvollziehen.

Dort wurden mehrere Dokumente hinterlegt, die seine Verbindung zu einer Terrororganisation beweisen sollen. Darunter ist eine offizielle Bekanntmachung des türkischen Finanzministeriums über die Einfrierung von Demirs Vermögen in der Türkei. Und: ein Bericht der Anti-Terror-Abteilung der Polizei von Istanbul. Diesen hatten im schwedischen Exil lebende türkische Journalisten im Dezember 2021 öffentlich zugänglich gemacht. Demnach wurde Demirs Mitgliedschaft bei der Gülen-Bewegung von einem Informanten bereits im August 2016 per E-Mail an die Abteilung für Internetkriminalität der türkischen Polizei gemeldet.

Eine E-Mail mit Folgen

WELT AM SONNTAG konnte über die verwendete Mailadresse den Verfasser dieser E-Mail ausfindig machen. Er lebt in München. Neben Demir hatte er in seiner Mail noch sechs weitere Personen bei den türkischen Behörden denunziert, mehrere davon aus seinem unmittelbaren Wohnumfeld. Gegen mindestens drei von ihnen wurden später Ermittlungen eingeleitet. Der Denunziant, der Seyfettin Y. heißt, hatte nur wenige Tage vor Absenden der Nachricht an die Polizei bei Facebook den Aufruf an andere Türken gepostet. Diese sollten ihren „staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen“ und Gülen-Anhänger über eine staatliche Telefon-Hotline melden.

Eine E-Mail-Anfrage an die von Y. für seine Anzeige verwendete Adresse beantwortet er schnell: Es müsse ein „großes Missverständnis“ vorliegen. Er habe mit der Sache nichts zu tun. Seinen Nachnamen gebe es in Deutschland häufig. Konsequenzen hatte die Denunziation für den Verfasser wohl bis heute, sechs Jahre später, nicht.

Gegen Demir dagegen liegt in der Türkei seit 2020 ein Haftbefehl vor. In das Land seiner Eltern kann er deshalb nicht mehr reisen. Und auch in Deutschland ist er vorsichtig geworden. Eine neue Bank hat er bereits gefunden. Welche, verrät er nicht. „Ich will keine schlafenden Hunde wecken“, sagt er.