Steinmeier bleibt Präsident – Plädoyer für Demokratie und Appell an Putin

 
 
 
Biontech-Gründerin Özlem Türeci (Mitte) steht mit anderen Wahlfrauen vor dem Plenum. Foto: Landesregierung Rheinland-Pfalz

Kontinuität in einer aufgewühlten Zeit: Der bisherige Bundespräsident ist auch der neue. Gewählt haben unter anderem auch einige türkeistämmige Promis und Politiker.

Mit einem deutlichen Appell an Russland sowie einem starken Plädoyer für Demokratie und Mut zu Veränderung geht Frank-Walter Steinmeier in eine zweite Amtszeit als Bundespräsident. „Seien wir nicht ängstlich! Packen wir die Zukunft bei den Hörnern“, forderte er am Sonntag vor der Bundesversammlung nach seiner Wiederwahl. Auf die Zukunft habe nichts bessere Antworten als die Demokratie. Zugleich macht Steinmeier klar: „Wer für die Demokratie streitet, der hat mich an seiner Seite. Wer sie angreift, wird mich als Gegner haben!“

Zuvor hatte die Bundesversammlung den 66-Jährigen mit großer Mehrheit erneut zum Staatsoberhaupt gewählt. Er ist der fünfte Bundespräsident mit einer zweiten Amtszeit. Offiziell beginnt sie am 19. März.

Deutliche Worte an Putin

Mit ungewohnt scharfen Worten wandte sich Steinmeier gleich zu Beginn seiner Rede an den russischen Präsidenten Wladimir Putin und gab ihm klar die Verantwortung für die Eskalation im Ukraine-Konflikt. „Ich appelliere an Präsident Putin: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine und suchen Sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt“, sagte Steinmeier. Der russische Präsident solle nicht den Fehler machen, die Stärke der Demokratie zu unterschätzen.

Aus Washington, Paris und Berlin komme in diesen Tagen die gleichlautende Botschaft: „Wir wollen friedliche Nachbarschaft im gegenseitigen Respekt.“ Frieden müsse immer wieder erarbeitet werden, im Dialog, aber wo nötig, auch mit Klarheit, Abschreckung und Entschlossenheit, betonte Steinmeier. Deutschlands Botschaft an die Nato-Partner in Osteuropa sei: „Sie können sich auf uns verlassen.“

Diskussion mit Corona-Politik-Gegnern suchen

Im ZDF betonte Steinmeier später, auch die Ukraine sollte keine Zweifel an der deutschen Bündnistreue haben. Er verwies auf die diplomatischen Bemühungen und die wirtschaftliche Hilfe Deutschlands für das Land. „Insofern sollten wir unser Licht auch nicht so sehr unter den Scheffel stellen.“

Vor der Bundesversammlung versprach der Bundespräsident, er werde der Auseinandersetzung mit radikalen Gegnern der Corona-Politik nicht aus dem Weg gehen. „Ich werde als Bundespräsident keine Kontroverse scheuen, Demokratie braucht Kontroverse“, sagte er. Die Pandemie habe tiefe Wunden in der Gesellschaft geschlagen. Es gebe heute Frust und Gereiztheit, auch seien Fehler gemacht worden. Aber: „Man zeige mir ein autoritäres System, das besser durch diese Krise gekommen wäre.“ Den Kampf gegen den Klimawandel bezeichnete Steinmeier als „Überlebensfrage der Menschheit“.

Kein ernsthafter Gegenkandidat

An seiner Wiederwahl hatte es von Anfang an keine Zweifel gegeben. Gleich im ersten Wahlgang erhielt er 1045 von 1425 gültigen Stimmen, also rund 73 Prozent. Steinmeier war von den Ampel-Parteien SPD, Grüne und FDP sowie von der CDU/CSU-Opposition nominiert worden.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte anschließend, Steinmeier sei in der Lage, in schwierigen Zeiten Orientierung zu geben. Diese sei nötig mit Blick auf die Pandemie und die Sicherung des Friedens in Europa. „Er ist der richtige Präsident genau zur richtigen Zeit.“ SPD-Chef Lars Klingbeil äußerte die Erwartung, dass sich Steinmeier in seiner zweiten Amtszeit noch stärker in gesellschaftliche Kontroversen einmischen und dem Land Orientierung geben werde.

Lob von allen Seiten

Die Spitze der Grünen hob hervor, es brauche in dieser Zeit eine starke Stimme für den demokratischen Zusammenhalt. „Frank-Walter Steinmeier ist so ein Brückenbauer, der integrierend in die Gesellschaft wirkt“, erklärten die designierten Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Fraktionsvorsitzenden Katharina Dröge und Britta Haßelmann.

FDP-Chef Christian Lindner nannte Steinmeier auf Twitter eine „berechenbare Größe und eine Stimme für das Beste, was unsere Demokratie ausmacht“. FDP-Fraktionschef Christian Dürr wünschte viel Erfolg für die zweite Amtszeit, „die in gesellschaftlich angespannten Zeiten beginnt“. CDU-Chef Friedrich Merz gratulierte Steinmeier via Twitter, CSU-Chef Markus Söder bescheinigte ihm Souveränität in schwierigen Zeiten. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte: „Er ist ein Bundespräsident, der Deutschland jetzt gut tut.“

Macron gratuliert auf deutsch

Aus Paris gratulierte Frankreichs Regierungschef Emmanuel Macron auf deutsch. „Mögen wir auch weiterhin gemeinsam die kostbare Freundschaft stärken, die Deutschland und Frankreich verbindet, und die europäischen Werte fördern, die wir teilen“, schrieb er auf Twitter. Italiens Staatschef Sergio Mattarella, der mit Steinmeier befreundet ist, äußerte „Freude und eine tiefe Genugtuung“.

Die Kandidaten der anderen Parteien blieben wie erwartet chancenlos. Auf den von der Linken aufgestellten Mediziner Gerhard Trabert (65) entfielen 96 Stimmen, der von der AfD nominierte CDU-Politiker und Ökonom Max Otte (57) erhielt 140 Stimmen. Für die von den Freien Wählern ins Rennen geschickte Physikerin Stefanie Gebauer (41) stimmten 58 Delegierte. SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU stellten zusammen 1223 der 1472 Mitglieder der Bundesversammlung.

Bundespräsident kommt von der SPD

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) nutzte die Bundesversammlung zu einem Appell für mehr Mut und Respekt angesichts der aktuellen Krisen. Sie rief Bürger und Politiker auf, auch unter den erschwerten Bedingungen von Corona-Pandemie, Ukraine-Konflikt, Klimawandel und Preissteigerungen nicht die Nerven zu verlieren. „Jede Zeit stellt neue Aufgaben. Mit jedem Schritt vorwärts sind Risiken verbunden“, sagte sie. „Trauen wir uns dennoch Veränderung und Fortschritt zu!“

Der 66-jährige Steinmeier, der seine Parteizugehörigkeit zur SPD als Staatsoberhaupt ruhen lässt, ist seit 2017 Bundespräsident. Zuvor war er von 2005 bis 2009 und dann wieder von 2013 bis 2017 Außenminister. Bei der Bundestagswahl 2009 scheiterte er als SPD-Kanzlerkandidat.

Auch Merkel und Türeci durften wählen

Die Bundesversammlung ist das größte parlamentarische Gremium in Deutschland. Ihre einzige Aufgabe ist die Wahl des Staatsoberhaupts alle fünf Jahre. Sie setzt sich zusammen aus den Abgeordneten des Deutschen Bundestags und einer gleich großen Zahl von Mitgliedern, die die 16 Landtage entsenden. Sie umfasste diesmal 1472 Wahlfrauen und -männer – so viele wie nie zuvor. Wegen der Corona-Pandemie kamen diese nicht wie üblich im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes zusammen, sondern im benachbarten Paul-Löbe-Haus, wo mehr Platz ist.

Mit dabei war am Sonntag auch Ex-Kanzlerin Angela Merkel, die vor der Wahl langen Applaus erhielt. Auf der Liste der Wahlleute standen außerdem Prominente wie Fußball-Bundestrainer Hansi Flick, der Musiker Roland Kaiser, der Astronaut Alexander Gerst, der Virologe Christian Drosten und Biontech-Mitgründerin und Impfstoff-Entwicklerin Dr. Özlem Türeci.

dpa/dtj