Donnerstag, 30. Dezember 2021 Hannover

Wir brauchen eine Aufbruchstimmung“

Thomas Schremmer ist neuer Personalratschef in Hannovers Rathaus / Mit der HAZ spricht er über die
Corona-Belastung in den Ämtern und über Lust und Frust bei der Arbeit in der Stadtverwaltung

Foto: Katrin Kutter

Interview.

Herr Schremmer, Sie sind seit Kurzem neuer Vorsitzender des Gesamtpersonalrats der Stadt Hannover und vertreten die Interessen von mehr als 11 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie viele von ihnen haben Sie schon kennengelernt?

Da ich schon seit 20 Jahren dem Personalrat angehöre und seit 32 Jahren Angestellter der Stadt Hannover bin, habe ich mehr Personen kennengelernt, als mir jetzt ad hoc einfallen. Als Vorsitzender des Gesamtpersonalrats habe ich aber eine neue Rolle und komme mit vielen neuen Menschen ins Gespräch.

Durch die Abteilungen tingeln, Hände schütteln – das dürfte angesichts der vierten Corona-Welle immer schwieriger werden.

In der Tat. Aber ich habe schon das Bedürfnis, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen persönlich kennenzulernen.

Bleiben wir beim Thema Corona. Die Stadt achtet jetzt auf die Einhaltung der 3G-Regel in Bürgerämtern. In Ratssitzungen gilt 2G, in städtischen Bädern 2G plus, in den Büros der Stadtmitarbeiter vermutlich 3G und Maskenpflicht. Blicken Sie noch durch?

Wir haben mittlerweile mehrere sehr umfangreiche Dienstanweisungen, die auch noch jeweils angepasst werden müssen. Also ehrlich gesagt: Einfache und klare Regelungen mit längeren Halbwertszeiten wären mir lieber. Aktuell ist es ein wenig zu viel des Guten.

Wie halten Sie es verwaltungsintern mit Impfungen? Rufen Sie als Personalrat aktiv zum Impfen auf?

Durchaus. Wir werben für das Impfen. Zudem bietet unser betriebsärztlicher Dienst sowohl Booster- als auch Erstimpfungen an. Das wird auch sehr gut angenommen.

Und wie hoch liegt die Impfquote bei den Stadtbeschäftigten?

Genaue Zahlen habe ich nicht, aber die Verwaltung dürfte ein Abbild der Gesellschaft sein. Ich schätze die Impfquote auf 70 bis 75 Prozent, möglicherweise liegt sie auch höher.

Die ersten Corona-Wellen und die Lockdowns im vergangenen Jahr haben die Stadtverwaltung kalt erwischt. Ämter mussten schließen, ein Bearbeitungsstau entstand, der noch immer mühsam abgearbeitet wird. Sind die Behörden nun besser vorbereitet?

Ja, die Corona-Krise hat uns in gewisser Weise einen Schub gegeben. Arbeiten im Homeoffice ist in vielen Bereichen keine Hürde mehr, die Beschäftigten kommunizieren in Videokonferenzen und auch digital sind wir stärker geworden.

Dennoch scheint es in Sachen Digitalisierung noch viel Luft nach oben zu geben. Wird in den Ämtern nicht viel zu viel Papier hin- und hergeschoben? Im neuen Verwaltungszentrum am Schützenplatz gibt es beispielsweise noch eine Rohrpost.

Grundsätzlich halte ich es für richtig, möglichst viele Arbeitsschritte zu digitalisieren. Aber das heißt ja nicht, dass der Computer die Arbeit selbstständig erledigt. Es braucht immer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die die Prozesse steuern. Helfen würde aber ein vollständiges Dokumenten-Managementsystem, das den Gang zum Aktenschrank erübrigt.

Als Arbeitnehmervertreter sehen Sie Digitalisierung also nicht als Werk des Teufels, das Arbeitsplätze kostet?

Nein, da haben wir ganz andere Probleme.

Zum Beispiel den Fachkräftemangel in der Verwaltung. 700 Stellen sind derzeit unbesetzt. Ist die Stadt als Arbeitgeberin so unattraktiv?

Nein, eigentlich nicht. Im Grunde bieten wir alles, was sich junge Menschen vom Arbeitgeber wünschen: Eine sinnvolle Tätigkeit, Gestaltungsspielraum, einen sicheren Arbeitsplatz, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und auch neue Arbeitsformen.

Aber zu wenig Geld.

Auch nicht in allen Bereichen, aber Sie haben Recht, zum Beispiel bei technischen Berufen sind die Gehälter in der Privatwirtschaft deutlich höher. Wir müssen flexibler werden bei der Einstufung von Beschäftigten in unser Tarifgefüge. Da sollten wir den zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum nutzen. Zudem wünsche ich mir auch vom Arbeitgeberverband mehr Entgegenkommen.

Je mehr Stellen unbesetzt bleiben, desto höher wird die Arbeitsbelastung für die Belegschaft. Wie groß ist der Frust in den Ämtern?

Die gesundheitliche Belastung wird immer höher. Manche älteren Kolleginnen und Kollegen empfinden es als Erlösung, wenn sie in den Ruhestand gehen. Das darf nicht so bleiben. Wir brauchen wieder eine Aufbruchstimmung mit besseren Arbeitsbedingungen. Für die Menschen in Hannover zu arbeiten, ist doch an sich schon etwas Befriedigendes. Eigentlich sollten sich ältere Kolleginnen und Kollegen also mit einem weinenden Auge in ihren Ruhestand verabschieden. Für einen solchen neuen Geist in der Verwaltung will ich mich mit aller Kraft einsetzen.

Die von Ihnen angesprochene Leidenschaft haben wir bei jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Pop-up-Bürgeramts im Ihmezentrum erlebt. Dort bekommen Kunden tagesaktuelle Termine, um Ausweise zu beantragen, und sind am Ende hoch zufrieden. Ein Vorbild?

Ja. Aber das funktioniert nur, wenn die Arbeit nicht überhand nimmt. Ich plädiere dafür, in bestimmten sensiblen Bereichen, etwa Jugendamt und Kitas, mehr Leute einzustellen, als es der Stellenplan vorgibt. Die Arbeit verteilt sich auf mehr Schultern, die Kolleginnen und Kollegen sind motivierter und engagierter.

Da dürfte der Kämmerer anderer Ansicht sein. Die Personalkosten sind schon jetzt hoch – und die Stadtfinanzen wegen der Corona-Krise ohnehin desaströs.

Einspruch. Aufgrund der vielen offenen Stellen unterschreiten wir den Ansatz für Personalausgaben in diesem Jahr erneut um 18 Millionen Euro. Hier wäre also durchaus Spielraum.

Müssen Sie nicht fürchten, dass eher Stellen abgebaut werden? Der Kämmerer hat eine umfassende Aufgabenkritik angekündigt und will dadurch verwaltungsintern 40 Millionen Euro einsparen.

Ich sehe eine Aufgabenkritik sehr skeptisch. Allein der Begriff ist irreführend: Wollen wir ernsthaft die Dienstleistung für die Bürger „kritisieren“ und nicht die fehlende Finanzierung?

Tatsächlich geht es darum zu prüfen, von welchen Aufgaben sich die Stadt trennen möchte.

Ja genau. Aber dann müssen wir uns auch darüber unterhalten, was das für die Stadt und ihre Einwohnerinnen und Einwohner bedeutet. Welche Konsequenzen hat es, wenn wir Bäder schließen und Kulturstätten aufgeben? Wissen Sie, wir haben schon 2003 eine solche Aufgabenkritik vorgenommen und die Auswirkungen aufgelistet. Das Ganze hat nie das Licht der Öffentlichkeit erblickt, weil es politisch natürlich alles andere als beliebt ist.

Dennoch lässt sich die desolate Haushaltslage nicht wegdiskutieren. Irgendwo muss die Stadtverwaltung doch sparen.

Mir geht es eher darum, die Einnahmeseite zu stärken. Letztlich sind Land und Bund in der Pflicht, die Kommunen finanziell so auszustatten, dass sie über die Runden kommen. Stattdessen werden den Städten und Gemeinden immer neue Aufgaben auferlegt. Ich erwarte von der Rathausspitze, dass sie sich bei der neuen Bundesregierung für eine bessere Gemeindefinanzierung einsetzt.

Herr Onay saß ja bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel-Parteien mit am Tisch. Schauen wir mal, ob sich etwas ändert. Herr Schremmer, wir beobachten einen Gesinnungswandel beim Personalrat.

Wie meinen Sie das?

Naja, der neue Haustarifvertrag für die Stadt Hannover lässt erstmals zu, dass Aufträge auch an Externe vergeben werden dürfen und die Stadt nicht alles selbst erledigen muss. Damit hat sich Verdi zunächst sehr schwer getan. Hat sich in den Köpfen der Personalräte wirklich etwas verändert?

Von Gesinnungswandel würde ich nicht sprechen. Wir waren schon immer innovativ, denken Sie nur an die Transformation der alten Ordnungsämter. Wir als Personalrat haben damals gesagt, dass es so nicht weitergehen könne und die Ämter kundenfreundlicher werden müssten. Daraus entstanden die Bürgerämter mit ihren bedarfsgerechteren Öffnungszeiten. Und neu ist die Vergabe von Aufträgen an externe Firmen auch nicht. Die Reinigung der öffentlichen Gebäude haben wir schon immer teilweise an Unternehmen vergeben.

Die Rathausaffäre um illegale Zulagen für Spitzenbeamte hat die Stadtverwaltung verunsichert. Das ist jetzt ein paar Jahre her. Drückt die Affäre immer noch auf die Stimmung?

Ja schon. Die Verunsicherung sitzt tief und führt dazu, dass die Kolleginnen und Kollegen große Angst haben, Fehler zu machen. Darunter leidet der Mut, nach gründlicher Prüfung der Fakten eigene Entscheidungen zu treffen.

Onay hatte angekündigt eine Whistleblower-Stelle zu schaffen, damit Stadtbeschäftigte einen Ansprechpartner haben, wenn sie den Eindruck bekommen, ihre Vorgesetzten verstoßen gegen Recht und Gesetz. Gibt es die Stelle jetzt?

Das wird vorbereitet als eine Art Pilotprojekt.

Herr Schremmer, muss man inzwischen eigentlich ein grünes Parteibuch haben, um bei der Stadtverwaltung Karriere machen zu können?

Nein. Allein die eigenen Fähigkeiten sind ausschlaggebend, um einen Posten zu bekommen. Wissen Sie, wir bei der Stadt stellen Leute nicht nach Gutdünken ein. Wir haben moderne Auswahlverfahren, um geeignete Kandidatinnen und Kandidaten herauszufiltern. Das läuft ähnlich wie in Unternehmen. Manche Stellenbewerber sind dann schon überrascht.

Sie waren ein paar Jahre Mitglied der Grünen-Landtagsfraktion zusammen mit Belit Onay. Jetzt ist Onay Ihr Chef. Sind die gemeinsamen politischen Jahre ein Vorteil oder eher hinderlich?

Ein Vorteil, denn ich kenne Belit Onay gut. Aber ich habe zugleich einen Heimvorteil, weil ich die Stadtverwaltung sehr viel länger kenne als er.

Von Andreas Schinkel

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