Jetzt soll sich Deutschland vom „Migrationshintergrund“ verabschieden

Stand: 21.01.2021 | Lesedauer: 5 Minuten

Von Marcel Leubecher

Politikredakteur

Migrationshintergrund bei der Vorstellung einer Kampagne in NRW zum Thema erfolgreiche Integration

Quelle: picture alliance/dpa

Eine von der Regierung beauftragte Kommission zur Integrationspolitik will die Kategorie „Migrationshintergrund“ abschaffen. Viele würden sich durch den Begriff herabgesetzt fühlen. Eine Abschaffung hätte weitreichende Konsequenzen.

Kaum etwas verändert die deutsche Gesellschaft seit Jahrzehnten so stark wie die im internationalen Vergleich sehr starke Zuwanderung. Während ein Teil der Bevölkerung diesen Wandel vor allem als Bereicherung empfindet, fokussiert sich ein anderer Teil vor allem auf negative Begleiterscheinungen, wie Straßengewalt durch Zuwanderergruppen oder die durchschnittlich geringere Erwerbstätigkeit der Bevölkerung mit Migrationshintergrund.

Um angesichts der vielen Chancen und Probleme Handlungsempfehlungen für ihre künftige Politik zu erhalten, beauftragte die Bundesregierung vor zwei Jahren eine vor allem aus Sozialwissenschaftlern bestehende „Fachkommission zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit“, die jetzt ihren Abschlussbericht an die Bundeskanzlerin übergab.

Lesen Sie auch

Der Kampf gegen Zuwandererarmut ist kein „rechtes Narrativ“

Irritierenderweise distanziert sich die Fachkommission Integrationsfähigkeit gleich in der Einleitung ihres 200 Seiten langen Abschlussberichts partiell von ihrem Arbeitsauftrag: Im Zuge der Beratungen habe man „entschieden, vom Begriff der ‚Integrationsfähigkeit‘ Abstand zu nehmen“, da dieser „eine Verengung“ darstelle.

„So etwas wie die ‚Integrationsfähigkeit‘ von Ländern oder Gesellschaften und im Übrigen auch von Personen“ könne „nicht plausibel gemessen oder bestimmt werden“. Der Begriff vermittele, dass es „für Integration eine klare Grenze“ gebe, die „schon aus analytischen Gründen nicht existieren“ könne.

In Zukunft soll es „Eingewanderte und ihre Nachkommen“ heißen

Daher beschloss also die Fachkommission Integrationsfähigkeit, sich nicht auf Integrationsfähigkeit, „sondern auf die Frage zu konzentrieren, wie man die Integrationsprozesse so gestalten kann, dass sie in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht erfolgreich verlaufen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken“.

Unter den vielen Vorschlägen und Anregungen, wie dies besser gelingen könne, wurde in der öffentlichen Vorstellung des Berichts vor allem ein Punkt in den Vordergrund gestellt. Nämlich das Ziel, sich vom Begriff des „Migrationshintergrundes“ zu verabschieden und zukünftig nur noch von „Eingewanderten und ihren (direkten) Nachkommen“ zu reden.

Die Staatsministerin für Integration, Annette Widmann-Mauz, erklärte in der Pressekonferenz am Mittwoch: „Der Bericht der Fachkommission macht deutlich: 15 Jahre nach seiner Einführung ist der Begriff ‚Migrationshintergrund‘ nicht mehr zeitgemäß“, es sei „besonders wichtig“ diesen Begriff zu „ersetzen“.

-Mauz: „Wir können so einen Begriff nicht über Nacht in den Statistiken ersetzen, aber wir sollten es uns vornehmen“

Quelle: picture alliance/dpa/Reuters/Poo

Viele der 21 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund fühlten „sich durch den Begriff herabgesetzt“. Die im Kanzleramt angesiedelte Integrationsministerin skizzierte weiter ihr Vorhaben: „Wir können so einen Begriff nicht über Nacht in den Statistiken ersetzen, aber wir sollten es uns vornehmen.“

Es sei gut, eine Diskussion zu beginnen, „wie wir den Begriff ablösen, zugleich aber auch künftig Entwicklungen und Herausforderungen bei der Integration statistisch messbar machen können“, sagte die CDU-Politikerin, die gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) die Kommission bei ihrer fast zweijährigen Arbeit federführend begleitete.

Lesen Sie auch

„Das ist Selbstaufgabe, keine Integrationspolitik“

Die Kommission selbst empfiehlt, „das bisher im Rahmen des Mikrozensus verwendete statistische Konzept des ‚Migrationshintergrunds‘ aufzugeben“. Das betreffe „sowohl die Bezeichnung als solche als auch die Definition der Gruppen, die in diese Kategorie fallen“. Heute haben Personen laut Statistischem Bundesamt einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil ohne deutsche Staatsbürgerschaft geboren wurden.

Nach den Vorstellungen der Kommission soll stattdessen künftig eine Kategorie geschaffen werden, die alle Personen zusammenfasst, die „entweder selbst oder deren beide Elternteile seit 1950 in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik eingewandert sind“.

Lesen Sie auch

„Deutschland ist kein rassistisches Land. Ich sehe das doch“

Diese Kategorie soll dann „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“ heißen. Beispielsweise fällt ein hier geborenes Kind eines Syrers mit einer herkunftsdeutschen Mutter unter die Kategorie „Migrationshintergrund“. In der vorgeschlagenen Kategorie „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“ wären Kinder solcher und ähnlicher Konstellationen nicht enthalten, weil nicht beide Eltern zugewandert sind.

Der Begriff „Migrationshintergrund“ – beziehungsweise im internationalen Bereich „migrant background“ – wird schon lange in der Sozialforschung verwendet und wurde in der aktuellen Definition vom Statistischen Bundesamt erst 2005 als Kategorie eingeführt. Hintergrund war, dass durch zunehmende Einbürgerungen die Kategorie „Deutsch-Nichtdeutsch“ nicht mehr ausreichte, um Daten über den migrantischen Bevölkerungsteil zu erheben. Weil von Behörden über Polizei bis zur Bundesarbeitsagentur viele Institutionen mit der Kategorie des Statistischen Bundesamtes arbeiten, wäre eine Änderung recht aufwendig und würde Vergleiche über längere Zeiträume erschweren.

Lesen Sie auch

Ich mag mein Land, umso mehr, wenn ich sehe, was um uns herum passiert

Die Kommission Integrationsfähigkeit kritisiert noch weitere Begriffe: Beispielsweise sei die Verwendung von „Aufnahmegesellschaft“ deswegen „problematisch“, weil er oft so verstanden werde, „als ob dazu nur Personen gehörten, deren Eltern und Großeltern schon in Deutschland geboren wurden“.

Dabei seien auch die „bereits im Lande lebenden Einwanderinnen und Einwanderer“ Teil der Aufnahmegesellschaft. Ebenfalls „vermeidet die Fachkommission den Begriff der ,Mehrheitsgesellschaft‘“. Damit werde häufig eine „Wir“-Gruppe gegenüber den „anderen“, den Eingewanderten, konstruiert.

Ebenfalls sei es schwierig, die Begriffe „Flüchtling“ oder „Geflüchtete“ als Sammelbegriff für alle über das Asylsystem zugewanderte Menschen zu nutzen, man schlage deshalb „Schutzsuchende“ vor.

Lesen Sie auch

Staatsministerin Widmann-Mauz hob unter den vielen Impulsen der Kommission noch hervor, dass Deutschland ein vielfältiges Einwanderungsland mit einer vielfältigen Einwanderungsgesellschaft sei, und schloss die Behauptung an, „das war Deutschland schon immer“. Sie plädierte für eine „neue Kultur“, die Politik müsse „mehr dafür tun, dass sich Menschen einbürgern lassen“.

Für die CDU-Politikerin komme es jetzt darauf an, dass wir „Integration neu denken und von der Migration abkoppeln“, es gebe viele Gruppen in der Gesellschaft, die der Integration bedürften, ganz unabhängig von einer Wanderungsgeschichte ihrer Familie.

Arbeitsmarkt-Integration von Flüchtlingen ist auf einem guten Weg

Die Integration von Flüchtlingen und Asylsuchenden in den deutschen Arbeitsmarkt kommt einer neuen Studie zufolge gut voran. Und das auch trotz der Corona-Pandemie, die inzwischen vielerorts zu Rückschlägen geführt hat.

Quelle: WELT

Derya Caglar, die Vorsitzende der 25-köpfigen Fachkommission, sagte: „Das T