Sarrazin sieht SPD muslimisch unterwandert – Kühnert höhnt: „Beginnen Sitzung mit Fadschr-Gebet“

Von Reinhard Werner

In einem Interview mit dem Portal „Tichys Einblick“ hat Berlins Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin der SPD-Führung vorgeworfen, von „fundamental orientierten Muslimen“ unterwandert zu sein. Namen nannte er keine. Gegen Sarrazin läuft zurzeit ein Parteiausschlussverfahren.

Nachdem die Landesschiedskommission der Berliner SPD die Zulässigkeit des Parteiausschlusses des früheren Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin bestätigt hat, will dieser nun vor dem Bundesschiedsgericht in Berufung gehen. Sollte diese keinen Erfolg haben, wollen Sarrazin und seine Anwälte, wie sie bereits zuvor angekündigt hatten, die ordentlichen Gerichte bemühen, um den Parteiausschluss anzufechten.

Unterdessen hat Sarrazin in einem Interview mit dem Magazin „Tichys Einblick“ seine Kritik an der SPD-Führung ausgeweitet und angedeutet, die Partei sei bis in die Spitzen von radikalen Muslimen unterwandert. Wörtlich erklärte Sarrazin:

Die gegenwärtige SPD-Führung ist offenbar teilweise in den Händen fundamental orientierter Muslime, die eine kritische Diskussion des Islam in Deutschland grundsätzlich verhindern wollen.“

SPD verlor unter religiösen Muslimen deutlich an Zuspruch

Konkrete Namen nannte er nicht. Aus der SPD-Führung wird mit Ironie auf die Darstellung reagiert. Parteivize Kevin Kühnert schrieb auf Twitter, man habe „die Präsidiumssitzung am Montag wie nun üblich mit dem Fadschr-Gebet begonnen“. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli ergänzte: „Alkohol und Schweinefleisch wurden für SPD-Sitzungen abgeschafft. Es gibt einen Arbeitskreis ‚Scharia‘. Und im Ramadan werden in diesem Jahr alle dazu verpflichtet zu fasten.“

Unter türkischstämmigen Wählern hatte die SPD Untersuchungen zufolge in den vergangenen Jahren massiv an Terrain verloren. Beobachter gehen davon aus, dass die Sarrazin-Debatte erheblich dazu beigetragen hatte. Zudem hatte die SPD in den 2000er Jahren überwiegend auf religionskritische Kandidaten aus der Einwanderercommunity gesetzt – wie im Fall der ehemaligen Kölner Bundestagsabgeordneten Lale Akgün, die 2009 nach zwei Legislaturperioden auch infolge deutlicher Stimmenverluste unter religiösen muslimischen Wählern ihr Kölner Direktmandat verlor.

Ehemalige muslimische SPD-Wähler wanderten teils zur CDU, teils zu eigenen Kleinparteien wie BIG oder AD-Demokraten. Teilweise wurden sie zu Nichtwählern.

Sarrazin klagte im Interview, dass sich die Partei in der Frage der Religionskritik verändert habe:

Die SPD wäre niemals auf die Idee gekommen in den 70er, 80er, 90er oder auch noch frühen 2000er Jahren jemanden wegen eines Buches, welches religionskritisch ist, aus der Partei auszuschließen. Im Gegenteil, die SPD war durch ihre marxistischen Wurzeln eine durchaus religionskritische Partei.“

C:UserstestAppDataLocalTempmsohtmlclip1�1clip_image001.gif

Klingbeil wirft Sarrazin „antimuslimische und kulturrassistische Äußerungen“ vor

Dabei hätte ein kritisches Buch über die Katholische Kirche nicht zu einem Ausschlussverfahren geführt, meint der Ex-Bundesbankvorstand weiter.

Anlass für das Verfahren – und damit den mittlerweile dritten Versuch, Sarrazin aus der Partei zu werfen – war die Veröffentlichung des Buches „Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“.

In einem 18-seitigen Bericht hatte ein von der SPD-Spitze eingesetztes Gremium seiner Einschätzung Ausdruck verliehen, wonach Sarrazin insgesamt acht Kernthesen in seinem Buch vorgebracht habe, die eine pauschale Herabwürdigung von Einwanderern und Muslimen darstellten. Diese seien „mit Grundsätzen der Sozialdemokratie unvereinbar“. Durch „antimuslimische und kulturrassistische Äußerungen“ und Verletzung der innerparteilichen Solidarität habe Sarrazin, so der antragstellende SPD-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf, der Partei schweren Schaden zugefügt.

Untermauert wurde der Antrag durch ein entsprechendes Gutachten der Historikerin Yasemin Shooman und der Islamexpertin Sarah Albrecht sowie eine Stellungnahme der Islamwissenschaftlerin Johanna Pink.

Sarrazins Anwaltsteam hatte ein eigenes Gutachten vorgelegt, das der Epoch Times vorliegt. Verfasst wurde es vom Orientalisten und Islamwissenschaftler Tilman Nagel. Dieser gelangt zu der Schlussfolgerung, die von Shooman und Albrecht verfasste Expertise sei „gänzlich ungeeignet, sich ein wissenschaftlich abgesichertes Bild von Sarrazins Buch zu machen“ und beruhe „weitgehend auf Ressentiments“.

Gutachten: Shooman-Albrecht-Expertise argumentiere „losgelöst von ihrem Untersuchungsgegensta

Nagel wirft den Gutachterinnen unter anderem vor, in sinnentstellender, verkürzender und aus dem Zusammenhang gerissener Weise Zitate aus Sarrazins Buch aneinanderzureihen und sogar Aussagen Dritter, die er nur zitiere oder kommentiere, ihm selbst anzulasten. Es komme in ihrem Gutachten eine Voreingenommenheit zum Ausdruck und die Autorinnen würden „losgelöst von ihrem Untersuchungsgegenstand“ argumentieren. Shooman, die Programmleiterin der Akademie des Jüdischen Museums in Berlin, stehe zudem selbst in der Kritik, weil sie ihre damalige Funktion missbraucht habe, um Vertretern eines antizionistischen Antisemitismus, beispielsweise der Boykottbewegung BDS, Plattformen zu bieten.

Auch Sarrazin selbst beharrt darauf, er habe sein Buch „nach wissenschaftlichen Standards abgefasst“. In seinem Buch werde niemand beleidigt und nicht schief argumentiert. „Ich breite Fakten aus, analysiere Fakten und Zusammenhänge“, betont Sarrazin. Lars Klingbeil, der den Parteivorstand im Verfahren vertritt, hätte auch auf Nachfrage keine entsprechenden Stellen nennen können. Klingbeil bestreitet diese Darstellung und verweist auf „mehrere öffentliche Äußerungen, die alle belegen, dass Herr Dr. Sarrazin antimuslimisch und rassistisch argumentiert“.

Sarrazins bis dato veröffentlichte Bücher haben Millionenauflagen erreicht. In seinem 2018 erschienenen Buch argumentiert er, die durch die religiöse Prägung bedingte kulturelle Andersartigkeit einer Mehrheit der Muslime und deren Geburtenrate würden die „offene Gesellschaft“, die Demokratie und den Wohlstand gefährden, weil Integration kaum möglich sei. Auf der Grundlage dieser Auffassung plädiert er für deutlich gesteigerten Assimilationsdruck, Begrenzung oder Unterbindung der Einwanderung von Muslimen nach Deutschland und eine – wie es Nagel umschreibt – „der muslimischen Welt zugewandte Politik, die den Menschen dort diene und helfe, eine günstige Zukunftsperspektive zu entwickeln“.

Zentralrat der Juden empfiehlt „Wechsel zur NPD“

Die Schiedskommission des SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf hatte Sarrazins Thesen in erster Instanz als „klar rassistisch“ gewertet und im Sommer 2019 den Parteiausschluss beschlossen.

Auf „Tichys Einblick“ lehnte Sarrazin auf Nachfrage einen möglichen Wechsel zur AfD ab, aus deren Reihen ihm bereits mehrfach entsprechende Angebote gemacht worden waren.

Als die AfD im Winter 2013 gegründet wurde, haben Bernd Lücke und Hans-Olaf Henkel mich gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle“, erklärt der Ex-Bundesbankvorstand. „Ich habe das abgelehnt und die Risiken und Nebenwirkungen erläutert, die ich damals sah. Vor einiger Zeit traf ich Henkel und er sagte mir, ich hätte ja leider Recht gehabt.“

Zudem betrachte er seine politische Laufbahn als beendet und wolle sich stattdessen künftig weiter als Autor politischer Sachbücher zu Wort melden. Deren Inhalte seien „an der Wahrheit orientiert und überparteilich angelegt“ – und jeder, von der Linkspartei bis zur AfD, sei „eingeladen, meine Bücher zu lesen und aus ihnen zu lernen“.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland empfahl Sarrazin bereits 2010 einen Wechsel zur NPD.
(Mit Material der dpa)