Muslime und Weihnachten: Fällt man vom Glauben ab, wenn man Plätzchen backt?

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Weihnachtsbeleuchtung am Berliner Prachtboulevard "Unter den Linden" unweit des Brandenburger Tores. Foto: Reuters

Ein Gastbeitrag von Kübra Dalkılıç

Als ich in der Grundschule war, fragten mich meine MitschülerInnen, ob der Weihnachtsmann bei uns MuslimInnen auch vorbeikomme. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich ehrlich gesagt darüber nie nachgedacht. Ich antwortete, dass wir kein Weihnachten feiern und er deswegen nicht komme. Aber beim Wichteln in der Schule, Plätzchen backen oder Singen von Weihnachtsliedern machte ich begeistert mit. Ich esse und habe auch damals wahnsinnig gern Lebkuchen oder Spekulatius gegessen. Auch besuche ich den Weihnachtsmarkt und bewundere die schön beleuchtete Stadt und die bunten Schaufenster.

Zwar bekomme ich keine Geschenke an Weihnachten, aber da in dieser Zeit Ferien sind, ist das eine gute Gelegenheit, mit der Familie beisammen zu sein. Auch wenn der Weihnachtsmann mich nicht besuchen kommt, finde ich die Weihnachtszeit trotzdem sehr schön.

Aber was genau bedeutet denn nun Weihnachten für Muslime?

Weihnachten ruft viele Assoziationen hervor. Jeder nimmt diese Zeit anders wahr und begegnet ihr auch dementsprechend. Der religiöse Anlass für Weihnachten ist die Geburt Jesu, weshalb es auch als christliches Fest gilt. Im islamischen Festkalender taucht Weihnachten zwar nicht auf, jedoch sagt dies nichts über die Stellung der Geburt Jesu im Islam aus. Jesus (Friede und Segen seien auf Ihm) ist einer der wichtigsten Propheten im Islam und seine Geburt sowie seine Mutter Maria spielen eine sehr wichtige Rolle. Die Geburtsgeschichte findet sich sogar im Koran wieder. Die koranische Version weist sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zu den Erzählungen im Matthäus- und Lukasevangelium auf.

Abgesehen davon, ob es Unterschiede gibt oder nicht: Die wundersame Geburt Jesu ist Tatsache (unabhängig davon, ob er am 24. Dezember oder an einem anderen Datum geboren worden ist). Somit ist das ein Anlass, sich zu freuen und die Freude zu teilen. Heißt denn nun aber „Freude teilen“ gleich Weihnachten feiern?

Diese und ähnliche Fragen werden in vielen innermuslimischen Kreisen gestellt, vor allem vor dem Hintergrund, wie mit den Symbolen (z.B. Weihnachtsbaum, Adventskalender, Adventskranz etc.) umgegangen werden soll. Da in Deutschland die Mehrheitsgesellschaft christlich geprägt ist, spiegelt sich die weihnachtliche Stimmung überall wieder. Sei es durch die Weihnachtsbäume, die Adventskalender oder den bunten Weihnachtsschmuck.

„Soll ich mein Kind zu Weihnachten beschenken?“

Die schön geschmückten Häuser und Vitrinen und die tollen Geschenke ziehen natürlich am meisten die Kinder an. Die muslimischen Kinder sind ebenfalls fasziniert von dieser Zeit. Auch sie wollen Geschenke bekommen. Denn in ihren Freundeskreisen oder in der Schule wird über den gesamten Dezember „Weihnachten“ thematisiert und jeder erzählt von seiner Wunschliste und davon, was es letztes Jahr zu Weihnachten gab. Dadurch entstehen neue Fragen. Fragen wie: „Soll ich mein Kind zu Weihnachten beschenken?“, „Soll ich mein Haus weihnachtlich dekorieren?“ oder „Darf man als Muslim Weihnachten feiern?“. Mit solchen Fragen sind die muslimischen Eltern jedes Jahr konfrontiert. Wie damit umgehen?

Zunächst gilt: Jede/r ist frei in dem, was er/sie tun und machen möchte. Jedoch kann nochmals unterstrichen werden, dass Weihnachten kein islamisches Fest ist. Dies schließt aber nicht aus, dass man im Dezember keinen Schoko-Adventskalender kaufen darf. Weihnachten ist ein religiöses Fest, aber nur, weil man Schokoladen-Weihnachtsmänner kauft, am Wichteln teilnimmt oder Plätzchen backt, fällt man nicht vom Glauben ab. Für MuslimInnen ist es wichtig, dass ihre Kinder wissen, dass aus muslimischer Sicht an dem Tag die Geburt des Propheten Jesus (Friede und Segen seien auf Ihm) gefeiert wird und nicht die Geburt des Sohn Gottes. Dies ist der eigentliche Grund, weshalb sich MuslimInnen von Weihnachten distanzieren.

Auf der einen Seite die distanzierte Haltung, auf der anderen Seite das natürliche Interesse des Kindes vorhanden: Das ist oft ein Dilemma für muslimische Familien. Wenn also muslimische Familien nicht möchten, dass ihre Kinder sich an Weihnachten vernachlässigt oder gar ausgeschlossen fühlen, so wäre ein Vorschlag, dass sie die erwartete Freude ihren Kindern an islamischen Festen geben. So denke ich, dass jedes Kind glücklich sein wird, egal ob zu Weihnachten, zum Annäherungsfest (auch bekannt als Opferfest) oder aber im Ramadan.

Viel wichtiger jedoch ist der gegenseitige Respekt. Das Fest des Gegenübers zu respektieren ist eine sehr wichtige und bedeutungsvolle Geste.

Wie wäre es, den christlichen Nachbarn oder den christlichen Freunden eine Freude zu bereiten und ihnen eine Kleinigkeit zu schenken oder zu backen? Diese Werte sollten vor allem den Kindern vermittelt werden. Statt die Kinder mit „Das feiern wir nicht, das ist nicht unser Fest“ zu erziehen, wäre eine tolerante Einstellung empfehlenswert. Der Wunsch wäre daher – egal wessen Feiertag es sein mag – die Freude mit dem Nächsten zu teilen.

Weihnachten in der Türkei und in Syrien

Auf Weihnachten trifft man auch in manchen muslimisch geprägten Ländern, wie zum Beispiel der Türkei. Weihnachtsdekorationen und -bäume schmücken auch dort die Straßen und Häuser, diese werden jedoch von der eigentlichen Intention abgelöst und anlässlich des neuen Jahres dekoriert bzw. aufgestellt. Denn in der Türkei nehmen die meisten Menschen den Weihnachtsmann und den Weihnachtsbaum als ein Symbol für das neue Jahr wahr und kennen den Bezug zum eigentlichen Weihnachten nicht.

Ein Quervergleich dazu ist bzw. war Syrien. Auch in Syrien leb(t)en verschiedenste Religionsgruppen zusammen. Vor dem Krieg, so erzählte es mir ein Geflüchteter, feierten Christen gemeinsam mit ihren muslimischen Freunden und Nachbarn Weihnachten. Man teilte zwar nicht den Glühwein − stattdessen gab es für den muslimischen Gast einen nichtalkoholischen Punsch − aber die Freude und das Fest teilte man mit ihnen. Insbesondere wurde Weihnachten in mehrheitlich christlich geprägten Gebieten gefeiert.
So kann man feststellen, dass Weihnachten auch in Ländern zu finden ist, in denen die Christen die Minderheit bilden. Ganz egal, ob Weihnachten aus nicht religiösem Interesse oder aus Liebe zu den christlichen Freunden (mit-)gefeiert wird, auf Weihnachten trifft man auch in manchen muslimisch geprägten Ländern.

Nun aber wieder zurück nach Deutschland.

In interreligiösen Dialogen sucht man oft nach Ähnlichkeiten und Unterschieden oder auch nach Ersatzmustern. Auch in Bezug auf Weihnachten taucht öfters die Frage auf, ob es im Islam ein vergleichbares Fest gibt. Hierbei tendieren Muslime oft dazu, den Geburtstag des Propheten Muhammed (ﷺ Friede und Segen seien auf Ihm) als Vergleich zu nehmen (Maulid an-Nabi). Dabei muss man differenzieren, dass zum einen der Geburtstag des Propheten Muhammad (ﷺ) kein offizieller islamischer Feiertag – wie z.B. Ramadanfest und Annäherungsfest. Zum anderen werden an Maulid an-Nabi keine Bäume aufgestellt oder Geschenke. Organisierte Veranstaltungen findet sich wenn dann eher im kleinen Rahmen. Diesen Abend verbringen Muslime in der Regel spirituell mit Gebeten und Segenssprüchen in der Moschee oder im engen Familienkreis zuhause. Auch versuchen sie durch Lektüre das Leben und Wirken des Propheten (ﷺ) zu verstehen.

Auch wenn Muslime Weihnachten nicht feiern; jemandem eine Freude zu bereiten ist eine schöne Tugend. Sich gegenseitig zu respektieren und zu signalisieren, dass man die Werte des Gegenübers schätzt, ist sehr wichtig für die Harmonie innerhalb der Gesellschaft. Man sagt ja, dass die Weihnachtszeit die Zeit der Versöhnung und des Beisammenseins ist. So glaube ich fest daran, dass das gegenseitige Zeigen von Respekt zum Schmelzen von eisernen Wänden sorgen kann. In seinem Gedicht „Wann fängt Weihnachten an?“ schildert Rolf Krenzer die gegenseitige Wertschätzung mit folgenden schönen Worten:

Wann fängt Weihnachten an?

Wenn der Schwache dem Starken die Schwäche vergibt,
wenn der Starke die Kräfte des Schwachen liebt,
wenn der Habewas mit dem Habenichts teilt,
wenn der Laute bei dem Stummen verweilt

und begreift, was der Stumme ihm sagen will,
wenn das Leise laut wird und das Laute still,
wenn das Bedeutungsvolle bedeutungslos,
das scheinbar Unwichtige wichtig und groß,
wenn Mitten im Dunkel ein winziges Licht

Geborgenheit, helles Leben verspricht,
und Du zögerst nicht, sondern Du gehst

so wie Du bist, darauf zu,
dann, ja dann fängt Weihnachten an.

In diesem Sinne wünsche ich jedem, dem Weihnachten etwas bedeutet, ein gesegnetes Fest.

Feste sind für die Gesellschaft da. Für das gesellschaftliche Miteinander, damit Versöhnungen stattfinden und Familien/Freunde die Gelegenheit finden, sich zu besuchen. Somit hoffe ich, dass Fremde zu Freunden werden und jeder Tag ein Festtag für diese Gesellschaft wird.

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Kübra Dalkılıç studierte Islamische Theologie in Tübingen. Zurzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forum Dialog e.V. in den Bereichen Islam und interreligiöser Dialog.

Gastbeiträge sind Beiträge von Personen, die nicht zur DTJ-Redaktion gehören. Manchmal treten wir an Autorinnen und Autoren heran, um sie nach Gastbeiträgen zu fragen, manchmal ist es der umgekehrte Fall. Gastbeiträge geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.