»Wo ich schreibe, ist die Türkei«
»Lassen Sie uns endlich akzeptieren: Wir leben auf einer Erde von Migranten.« Diesen eindringlichen Appell für grenzüberschreitende Solidarität richtete der vielfach ausgezeichnete Journalist und Autor Can Dündar in seiner »Hamburger Rede zum Exil« in der Elbphilharmonie an das Publikum. Den in Deutschland lebenden Türken Can Dündar hatte die Körber-Stiftung im Rahmen der aktuell in Hamburg laufenden »Tage des Exils« eingeladen, über seine Erfahrungen mit Verfolgung, Flucht und dem neuem Leben im Exil zu reflektieren.
Thomas Paulsen, Vorstand der Körber-Stiftung, verdeutlichte in seinem Grußwort die Bedeutung von Journalisten im Exil: »Sie setzen sich für Pressefreiheit und Demokratie ein und vereinen diejenigen, die in den Jahren 1933 bis 1945 aus Deutschland in die Türkei verbannt wurden, mit denen, die heute zu uns kommen.«
Als ehemaliger Chefredakteur der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet ist Can Dündar wegen seiner offenen Kritik an Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan einer mehrjährigen Haftstraße in der Türkei durch die Flucht ins deutsche Exil entgangen. Die öffentliche Bühne nutzte er, um den Anwesenden einen tiefen Einblick in die verwundete Seele der türkischen Oppositionellen und Exilierten zu geben, aber auch, um von den Chancen zu sprechen. »Das türkische Wort für Exil und Exilant lautet sürgün«, erläuterte er. »Es hat jedoch noch eine Nebenbedeutung: frisch ausgetriebener Spross.«
Immer wieder erinnerte Dündar an die Biografien deutscher Intellektueller, die vor den Nationalsozialisten geflohen waren, und zeigte Parallelen auf: »Das Exil ist eine schmerzhafte, entbehrungsreiche, bittere Lebenserfahrung. Aber es hat auch Aspekte, die einem Schriftsteller, einem Künstler, Akademiker, Intellektuellen oder Politiker neue Wege, neue Türen, neue Horizonte eröffnen«, sagte er. Und formulierte, in Anlehnung an Thomas Manns berühmtes Zitat aus dem Exil: »Wo ich schreibe, ist die Türkei.«
Dündars Rede war nicht nur der Höhepunkt der diesjährigen »Tage des Exils« Sie war gleichzeitig der Auftakt zum »Exile Media Forum«, zu dem die Körber-Stiftung am 30. Oktober deutsche und im Exil lebende Journalistinnen und Journalisten einlädt. Die Zahl der Journalisten und Medienschaffenden, die sich in Deutschland im Exil befinden und hier arbeiten, steigt. Doch was bedeutet es, im Exil journalistisch tätig zu sein? Wie verändert sich die deutsche Medienlandschaft vor dem Hintergrund von Migration und Globalisierung? Derartigen Fragen geht das Exile Media Forum zukünftig nach. Einmal im Jahr werden rund 100 Experten und Medienleute nach Hamburg geladen, um miteinander zu diskutieren, neue Trends aufzuspüren und Erfahrungen auszutauschen.
Im Anschluss an Dündars Rede spielte das Syrian Expat Philharmonic Orchestra vor allem Stücke, die erst nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs komponiert wurden und dadurch stark unter dessen Einfluss stehen. Das Orchester wurde 2015 von Raed Jazbeh gegründet. Der syrische Kontrabassist lebt seit 2013 in Deutschland im Exil. Auch die mehr als 70 Orchestermitglieder haben in Europa Zuflucht vor dem Bürgerkrieg gefunden. Mit dem Orchester wollen sie die durch den Krieg gefährdete reichhaltige Musikkultur Syriens bewahren und dem Publikum ihrer Exil-Heimat nahebringen.