Gießen: 125 Strafanzeigen nach Eritrea-Festival

Artikel von Jens Witte Der Spiegel

 Gießen: 125 Strafanzeigen nach Eritrea-Festival

Gießen: 125 Strafanzeigen nach Eritrea-Festival © Helmut Fricke / dpa

 26 verletzte Polizisten, 131 Menschen in Gewahrsam genommen: Gewaltsame Ausschreitungen beim umstrittenen Eritrea-Festival in Gießen haben eine Debatte über die Zukunft der Veranstaltung ausgelöst.

Wegen der Krawalle rund um das umstrittene Eritrea-Festival in Gießen sind nach Angaben der Polizei bislang 125 Strafanzeigen erstattet worden. Dabei sei es fast ausschließlich um Landfriedensbruch gegangen, teilte die Polizei am Sonntagabend in einem vorläufigen Resümee ihres viertägigen Einsatzes während des Festivals mit. 131 Personen seien in Gewahrsam genommen worden.

Zudem sprach die Polizei am Abend von 26 verletzten Beamten. Sieben der Beamten hätten schwerere Verletzungen wie einen Knochenbruch, offene Schürfwunden und Bänderrisse erlitten. Es sei nicht bekannt, dass Besucher oder Gegner der Veranstaltung schwerer verletzt worden seien oder unbeteiligte Dritte Verletzungen erlitten hätten.

Insgesamt seien an den vier Einsatztagen im Zusammenhang mit der Veranstaltung in der mittelhessischen Stadt in mehr als 1800 Fällen Personen kontrolliert oder ihre Identität festgestellt worden.

Gegner der Veranstaltung hatten den Angaben zufolge am Samstag Beamte mit Stein- und Flaschenwürfen attackiert und Rauchbomben gezündet. Sie durchbrachen demnach Absperrungen und versuchten, auf das Festivalgelände zu gelangen. Die Polizisten setzten Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Auch in der Stadt kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei. Am Sonntag sei die Lage friedlich geblieben, hieß es. Auch die Nacht zu Montag sei ruhig verlaufen.

Veranstalter des Festivals war der Zentralrat der Eritreer in Deutschland, der wegen seiner Nähe zu dem Regime in dem Land am Horn von Afrika als umstritten gilt. In Eritrea regiert Präsident Isayas Afewerki in einer Ein-Parteien-Diktatur. Meinungs- und Pressefreiheit sind stark eingeschränkt. Auch Menschenrechtsorganisationen haben wiederholt von schweren Missständen berichtet. Schon im August 2022 war es bei der vorangegangenen Veranstaltung zu gewaltsamen Ausschreitungen mit verletzten Besuchern und Polizisten gekommen.

Die Stadt Gießen hatte vergeblich versucht, gerichtlich ein Verbot des Festivals durchzusetzen, auch weil die Polizei zuvor Kenntnis bekommen hatte, dass womöglich gewaltbereite Störer anreisen würden. Am Samstag waren mehr als tausend Polizisten in Gießen im Einsatz, zwischenzeitlich wurden weitere Kräfte aus ganz Hessen alarmiert. Auch ein Wasserwerfer stand bereit.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verurteilte die Gewalt. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte die Bundesregierung auf, den Botschafter des Landes einzubestellen. »Der eritreischen Regierung muss deutlich gemacht werden, dass eritreische Konflikte nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden dürfen«, sagte er. »Unsere Polizistinnen und Polizisten sind nicht der Prellbock für Konflikte von Drittstaaten.«

Die Bilder, die aus unserer Stadt am Wochenende durch die Welt gingen, sind unerträglich«

Das Festival war nach Angaben der Stadt vor mehr als zehn Jahren von Frankfurt nach Gießen gezogen, wohl wegen der zentralen Lage der mittelhessischen Stadt und der für das Fest geeigneten Halle, die außerhalb der Innenstadt liegt.

Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im hessischen Landtag, Heike Hofmann, sprach sich dafür aus, nicht nur das Sicherheitskonzept, sondern den Fortbestand des Festivals insgesamt kritisch zu hinterfragen. Es stelle sich die Frage, »ob die als ›Familienfest‹ deklarierte Veranstaltung, die von Kritikerinnen und Kritikern als Propagandaveranstaltung des diktatorischen Regimes in Eritrea eingeordnet wird, noch einmal stattfinden« könne.

Auch der Gießener Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) fordert eine Aufarbeitung. »Die Bilder, die aus unserer Stadt am Wochenende durch die Welt gingen, sind unerträglich«, wurde Becher in einer Mitteilung der Stadt zitiert. Tausende Unbeteiligte seien in ihrem alltäglichen Leben mehr als einen ganzen Tag massiv eingeschränkt worden. »Man muss angesichts dessen tatsächlich die Frage stellen: Stehen diese Einschränkungen noch im richtigen Verhältnis zu dem Wunsch des Veranstalters, ein Fest zu feiern? Diese Frage gehört auf allen Ebenen – politisch wie juristisch – aufgearbeitet.«

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte die Politik zum Handeln auf. »Die Bundesregierung muss ihrem Koalitionsvertrag gerecht werden und Integrationspolitik auf Bundesebene neu angehen und mit den Ländern einen klaren Kurs finden«, erklärte der hessische GdP-Landesvorsitzende Jens Mohrherr. Er sei über die massive Gewalt gegen die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten erschüttert. Es dürfe nun nicht einfach zur Tagesordnung übergegangen werden