Erdogans Türkei als Ort der Folter: „Viele Menschen sind ums Leben gekommen“
Artikel von Erkan Pehlivan FR
NGOs schlagen Alarm
Erdogans Türkei als Ort der Folter: „Viele Menschen sind ums Leben gekommen“
In einem Bericht machen drei große NGOs auf Folter in türkischen Gefängnissen aufmerksam. Grund sei vor allem wachsender Autoritarismus.
Ankara - Die Menschenrechtslage in der Türkei verschlechtert sich zunehmend. Das bestätigen internationale Nichtregierungsorganisationen. Auch in den Gefängnissen sieht die Situation sehr schlecht aus, berichten drei große NGOs in ihrem gemeinsamen Bericht „Wir verteidigen die Menschenrechte und sagen Nein zu Folter“. „Das ganze Land ist zu einem Ort der Folter geworden”, lautet das Urteil der Experten der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV, des Menschenrechtsvereins IHD und des Türkische Ärztebundes TTB.
Türkei: Mehr Folterfälle durch Zunahme von Autoritarismus
„Mit der Zunahme des Autoritarismus der Regierung werden in den Haftanstalten Folter und andere Misshandlungen fortgesetzt”, kritisiert der Bericht. Die Einhaltung von Gesetzen und Regeln werde nicht kontrolliert. In der Türkei herrsche Willkür; Haftdauern seien zu lang und Präventionsmechanismen funktionierten nicht. „Tatsächlich erhielt die TIHV im Jahr 2022 die höchste Zahl von Anträgen von Folterüberlebenden und ihren Angehörigen in ihrer 32-jährigen Geschichte“, schreiben die Autoren.
Folter werde allerdings nicht nur während der Haft angewendet. Folter und Misshandlungen während Demonstrationen, in Wohnungen und Arbeitsplätzen hätten Dimensionen erreicht, die es in früheren Zeiten nicht gab. Gerade bei den Pride-Demonstrationen am Wochenende war die türkische Polizei mit brutaler Gewalt gegen die Teilnehmer vorgegangen. Seit Jahren werden diese Pride-Märsche in der Türkei verboten und mit Gewalt aufgelöst.Nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 habe die Gewalt in den Gefängnissen zugenommen, hieß es weiter. Bereits in der Nacht des Umsturzversuchs seien tausende Soldaten festgenommen und in Sporthallen festgehalten und gefoltert worden. In einem selbstgedrehten Video hatte der Major Barış Dedebag selbst erzählt, wie er vor allem Offiziere, geschlagen und getreten hat. Viele der Offiziere, die von Debedag verhört wurden, trugen deutliche Spuren von Folter, unter anderem aufgeschwollene Gesichter und Narben. Vor allem Erdogan-Anhäger feiern Debedag wegen seiner Vorgehensweise als Helden.
Menschenrechtsorganisationen legen Folterfälle immer wieder offen
© Tolga Adanali/IMAGO
Die auf Menschenrechte spezialisierte Journalistin Sevinç Özarslan bestätigt im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA die massiven Menschenrechtsverstöße in den türkischen Gefängnissen. „Folter ist nicht nur etwas, was Menschenrechtsorganisationen offenlegen. Sie wird auch vom türkischen Verfassungsgericht bestätigt“, sagte die Journalistin im deutschen Exil.
So hatte das türkische Verfassungsgericht jüngst bestätigt, dass Eyüp Kesen, ehemaliger Mitarbeiter des Staatssenders TRT, nach seiner Verhaftung am 22. Dezember 2016 in Polizeigewahrsam gefoltert wurde. Die Richter haben dem Medienschaffenden deswegen 150.000 Lira, umgerechnet 5360 Euro, Schmerzensgeld zugesprochen.
Türkisches Verfassungsgericht bestätigt Folter in Haftanstalten
„Diese Folterfälle sind inzwischen bewiesen. In den vergangenen sieben Jahren sind viele Menschen in den türkischen Gefängnissen und in Polizeigewahrsam ums Leben gekommen. Erst in den vergangenen Tagen ist der ehemalige Polizeidirektor Bayram Tekin im Gefängnis von Sincan in Ankara ums Leben gekommen“, erklärte Ozarslan. Offiziell sei die Todesursache ein Herzinfarkt. Doch wie es dazu kam, wird wie in vielen Fällen nicht unabhängig untersucht. Bis zu 83 Menschen sollen alleine 2022 auf verdächtige Weise in den Gefängnissen und in Polizeigewahrsam ums Leben gekommen sein.
Um in Zukunft Folter zu verhndern empfehlen die drei Organisationen deswegen verschiedene Maßnahmen:
Türkei hat Kultur der Straflosigkeit bei Folter
Die Ursache für die schlechte Menschenrechtslage in der Türkei sei vor allem, dass Folterer keine Verfolgung fürchten müssten. „Der wichtigste Grund für dieses Ausmaß an Folter in unserem Land ist die Existenz einer sehr ernsten Kultur der Straflosigkeit, die mit dem absoluten Charakter des Folterverbots unvereinbar ist. In erster Linie muss der Politik der Straflosigkeit, die zunehmend zur Regel wird, ein Ende gesetzt werden“, fassen die Menschenrechtsexperten zusammen. (Erkan Pe