Lage schlimmer denn je: Das Ausländeramt Frankfurt schiebt rekordhohe 20'000 unbearbeitete Anträge vor sich her
Artikel von Michael Rasch, Frankfurt
Neue Zürcher Zeitung Deutschland ( NZZ )
Im November hatten die Verantwortlichen Besserung versprochen: Die Sicherheitsdezernentin Annette Rinn (FDP) und Karin Müller (CDU), die Leiterin des Ordnungsamtes, dem die Ausländerbehörde unterstellt ist, wollten die chaotischen Verhältnisse in Frankfurt verbessern. Damals schob das Ausländeramt rund 15 000 unbeantwortete Anträge, meist per E-Mail, vor sich her. Diese Zahl sank dann zwar kurzzeitig unter 12 000, erreichte jüngst aber eine neuen Rekord von gut 20 000, wie die «NZZ» aus dem Umkreis der Ausländerbehörde erfuhr
Primär zwei Gründe für Antragsanstieg
Die neuerliche Verschlechterung hat dem Vernehmen nach zwei Ursachen: Erstens führten regulatorische Änderungen zu einem neuen Antragsschub und zweitens verbesserte sich die personelle Ausstattung der Behörde nicht substanziell. Darunter leiden nun Tausende Antragsteller, die aufgrund fehlender Ausweispapiere Probleme bekommen und teilweise deshalb sogar ihren Job verlieren, weil beispielsweise die Aufenthaltserlaubnis abläuft.
Allerdings können die Antragsteller derzeit noch verschiedene E-Mail-Adressen nutzen, so dass es auch Doppelungen gibt, und sie stellen aufgrund der langen Antwortzeit oft Rückfragen. Beides treibt die Bruttozahl der Anträge nach oben. Doch auch wenn die Nettozahl deutlich unter 20 000 liegen mag, ist die Situation weiter dramatisch.
Mehrere tausend Flüchtlinge können seit Jahresbeginn unter deutlich erleichterten Bedingungen deutsche Ausweispapiere erhalten. Die Änderungen hätten die Antragsflut beim Ausländeramt stark erhöht, da sich solche Entwicklungen in der Gemeinschaft schnell herumsprächen, sagt jemand, der die Lage gut kennt, aber nicht genannt werden möchte.
Darüber hinaus hat das Erdbeben in der Türkei dafür gesorgt, dass die Anträge auf Familiennachzug aus dieser Region deutlich mehr geworden sind und auch die Nachfrage nach der Blauen Karte ist deutlich angestiegen. Sie ist eine von verschiedenen Aufenthaltstiteln für Ausländer. Dazu kommen bekannte zyklisch Entwicklungen, wie beispielsweise der Studienbeginn für das Sommersemester, der typischerweise zu einem höheren Antragsaufkommen führ
Gesetzesänderungen sorgen für Mehrarbeit
Zugleich hat sich die personelle Ausstattung der Ausländerbehörde nicht nachhaltig verbessert. Zwar hat das Amt seit Jahresbeginn zur Verstärkung einige Zeitarbeitskräfte sowie ein gutes Dutzend Auszubildende bekommen. Doch diese sind zumindest am Anfang eher eine Belastung als eine Entlastung, denn sie müssen zuerst intensiv geschult und in die Materie eingearbeitet werden. Zeitgleich hätten erneut erfahrene Mitarbeiter die Ausländerbehörde aus Frust verlassen, die nun an allen Ecken und Enden fehlten, heisst es. Und auch der Krankenstand sei immer noch auf einem hohen Niveau.
Frankfurt ist kein Einzelfall. In Deutschland kämpfen viele, vor allem grosse Ausländerbehörden, mit den gleichen Problemen. Laut einer nicht repräsentativen Umfrage bei mehr als 200 Ausländerbehörden des Südwestrundfunks (SWR) im Jahr 2022 kam heraus, dass fast jede zweite befragte Behörde mit Untätigkeitsklagen konfrontiert ist. Zwei Drittel der Umfrageteilnehmer bezeichneten die Situation der eigenen Behörde als «sehr angespannt». Es gebe zu wenig vorgesehene Planstellen, zu wenig geeignete Bewerber, einen hohen Krankenstand und es fehle an Räumlichkeiten. Vor allem in den vergangenen fünf Jahren sei die Arbeitsbelastung stark angestiegen, hiess es in der Umfrage.
Neben dem fehlenden Personal und einer teilweise mangelhaften Digitalisierung kämpfen die Behörden auch mit immer neuen Gesetzen sowie unzähligen Varianten der Aufenthaltserlaubnis. Die Einführung des elektronischen Aufenthaltstitels führte einst beispielsweise zu einer Verdoppelung der Besuche in den Ausländerbehörden. Auch neue Gesetze wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz haben eine steigende Belastung der Ausländerbehörden bei oft gleicher Stellenzahl zur Folge.
Heftige Kritik am Magistrat
In der Stadt am Main kommen auf einen Mitarbeiter etwa 1400 Antragsteller, womit Frankfurt zu den am stärksten belasteten Behörden in Deutschland zählt. In mancher ostdeutschen Stadt liegt das Verhältnis dagegen «nur» bei 1 zu 350. In Frankfurt führten die durch die «NZZ» öffentlich gemachten Missstände schliesslich zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde der Commerzbank wegen Untätigkeit, die in Medien und Öffentlichkeit für viel Wirbel sorgte. Die Commerzbank hatte einen Mitarbeiter freigestellt, weil es diesem in acht Monaten trotz diverser Versuche nicht gelungen war, sein Visum zu verlängern.
«Die Frankfurter Politik lässt das Ausländeramt im Stich», sagt Kerry Reddington von der Kommunalen Ausländerinnen- und Ausländervertretung (KAV). Der Magistrat versage bei der Unterstützung der Behörde und nehme die Lage nicht ernst. Darunter würden nicht nur Asylbewerber leiden, sondern auch Antragsteller mit dringend benötigten Berufen wie Ärzten, Pfleger und Lastwagenfahrer. Rund ein Drittel der Antragsteller seien Akademiker. Auch unter dem neuen Oberbürgermeister Mike Josef werde die Lage offenbar nicht besser, sondern die Stadt versuche, das Problem auszusitzen.
Grosse Hoffnungen setzen Dezernentin Rinn und Ordnungsamtsleiterin Müller dem Vernehmen nach nun auf die Einführung eines neuen digitalen Kontaktformulars. Die Zuversicht wird offenbar auch von den Mitarbeitern der Ausländerbehörde geteilt. Ab dem 28. Juni sollen alle digitalen Anträge für Leistungen des Amtes nur noch über das neue Formular und mit Einreichung aller Unterlagen möglich sein.
Es wird in zehn Sprachen zur Verfügung stehen, darunter Mandarin. Anträge über die diversen Funktionspostfächer sind dann nicht mehr möglich. Die noch im System befindlichen alten Anträge müssen jedoch noch abgearbeitet werden, was allein viele Monate Zeit in Anspruch nehmen dürfte.
Mögliche Ausgliederung des Ausländeramts
Wenngleich das neue Tool voraussichtlich eine erhebliche Verbesserung bringen wird, dürfte es angesichts des schieren Antragsvolumens die Probleme der Ausländerbehörde allein nicht beheben. Dazu sind nach Ansicht von Beobachtern eine Aufstockung des Personals, grundsätzlich bessere Arbeitsbedingungen, sowie der politische Wille nötig. Möglicherweise würde auch eine Ausgliederung des Ausländeramtes aus dem Ordnungsamt helfen. Manche Städte führen die Ausländerbehörde als selbständige Organisation innerhalb der Verwaltung.
Die Medienstelle des Ordnungsamtes liess Fragen der «NZZ» zu den jüngsten Vorgängen in der Behörde am Freitag unbeantwortet und verwies nur allgemein auf eine Pressekonferenz am kommenden Dienstag, bei der es um die Vorstellung des «digitalen Antragsprogramms und weiterer Serviceoptimierungen» gehen soll.