„Ich hoffe, dass die Türkei den Weg der Demokratie wählt“

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Frank Schwabe (SPD) ist internationaler Wahlbeobachter des Europarats und wird die Wahlen in der Türkei vor Ort begleiten. Im DTJ-Interview erläutert er seine Rolle. Foto: Frank Schwabe

Frank Schwabe (SPD) schaut bei den Wahlen in der Türkei genau hin. Der Bundestagsabgeordnete leitet die Wahlbeobachtungsmission des Europarats. Für die Türkei wünscht er sich „mehr Demokratie, die Einhaltung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit“.

Frank Schwabe (SPD) ist ein erfahrener Politiker. Als Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarats bei den türkischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen äußerte er bereits vor einigen Wochen „große Besorgnis“ und sprach von einem „schwierigen Wahlumfeld“ im Land. Im Interview mit DTJ-Online betonte er bereits vorab seine Neutralität. Verständlich. Steht er doch Erdoğan-Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu als Sozialdemokrat zumindest ideologisch näher. Zwischen den Zeilen lässt sich jedoch vorsichtiger Optimismus erkennen. Lesen Sie selbst!

Herr Schwabe, in wenigen Tagen wird in der Türkei gewählt. Die Wahlen könnten knapp werden. Umso wichtiger ist, dass es mit rechten Dingen zugeht. Sie schauen bei den Wahlen genau hin. Können Sie kurz ihre Rolle skizzieren?

Bei der Wahlbeobachtung in der Türkei arbeiten zwei Organisationen in offizieller Mission zusammen: zum einen die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und zum anderen der Europarat. Die Türkei ist in beiden Organisationen Mitglied. Deswegen hat sie eine Wahlbeobachter-Mission eingeladen. Ich leite die Mission des Europarats.

Wann geht es für Sie persönlich in die Türkei und wie lange sind Sie vor Ort?

Ich war bereits vorab in der Türkei mit einer Vorwahlbeobachtungsmission. Wir haben an zwei Tagen viele Gespräche geführt. Rund um den Wahltag bin ich dann mit einer 42-köpfigen Mission fünf Tage lang vor Ort. Wir sind aber auch darauf vorbereitet, dass es möglicherweise bei den Präsidentschaftswahlen einen zweiten Wahlgang geben könnte und werden dort, falls nötig, in einem ähnlichen zeitlichen Umfang tätig sein. Der Wahltag ist aber immer nur ein Teil der Wahlen. Zwar öffnen dann die Wahllokale. Uns geht es aber viel mehr um das Umfeld von Wahlen und einen kontinuierlichen Beobachtungsprozess.

„Im Wahlkampf kam es auch zu Gewalttaten und Bedrohungen“

Die Wahl gilt als wegweisend für die Türkei. Der Wahlkampf geht in die heiße Phase. Wie ist ihr Eindruck bis hierhin?

In der Tat wird es offenbar eine sehr enge Wahl. Eine Wahl, bei der sich alle Beteiligten im Klaren sind, dass sie eine Weichenstellung für die Türkei darstellt. Es gibt eine hohe Polarisierung. Die Möglichkeiten für die Opposition sind eingeschränkt durch das gesamte politische Klima und ein Verbotsverfahren gegen die drittgrößte im Parlament vertretene Partei. Es kam auch zu Gewalttaten und Bedrohungen. Das sind alles Dinge, die wir natürlich zur Kenntnis nehmen und verurteilen. Zugleich rufen wir zu einem fairen Wahlkampf auf.

Die Erdbeben-Katastrophe, die wirtschaftliche Lage und das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Kemal Kılıçdaroğlu haben bei den Menschen im Land Spuren hinterlassen. Wie beurteilen Sie die politische Stimmung in der Türkei im Vorfeld der Wahlen? Wird es eine freie Wahl?

Das Umfeld der Wahlen ist unglaublich schwierig in der Türkei. Im Europarat gab es mehrfach Berichte zur Einschränkung der Medien, zu politischen Gefangenen, zu Repressionen gegen die Opposition. Nehmen Sie nur das Beispiel des Verbotsverfahrens gegen die HDP. Das entspricht natürlich nicht den Vorstellungen des Europarats von freien und fairen Wahlen. Auf der anderen Seite hat sich die türkische Gesellschaft als erstaunlich resilient herausgestellt. Trotz dieser Bedingungen ist es auch der Opposition möglich, bei diesen Wahlen zu gewinnen. Das ist durchaus erstaunlich in einem Land, in dem bestimmte Grundrechte doch sehr stark eingeschränkt sind.

„Es gibt eine starke Polarisierung“

Es deutet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen an: Wie schätzen Sie die Aussichten des amtierenden Präsidenten bei den Wahlen ein?

In der Tat, trotz aller Schwierigkeiten und Einschränkungen in der Türkei zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Wie das am Ende ausgeht, das weiß ich nicht. Es ist auch jetzt nicht meine Rolle das zu bewerten. Was ich weiß: Wir werden als Wahlbeobachter alles dafür tun, dass am Wahltag gleiche Wahlbedingungen für alle herrschen, und dass das Ergebnis auch von allen akzeptiert und respektiert wird.

Die Opposition hat auch die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie priorisiert. Welche Rolle spielt die Krise der Demokratie für die Wählerinnen und Wähler?

Es gibt eine starke Polarisierung. Das führte aber auch dazu, dass die Opposition über ganz viele ideologische Unterschiede hinweg geeint auftritt. Für uns als Vertreter des Europarats gilt der Einhaltung demokratischer Standards unser Hauptaugenmerk. Und auch als Wahlbeobachter haben wir auf die Freilassung von Osman Kavala und Selahattin Demirtaş gedrängt. Das ist nicht unsere eigene Idee, das sind Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Aus der Opposition haben wir – über alle ideologischen Unterschiede hinweg – klare Signale empfangen, dass diese Urteile nach einem etwaigen Wahlsieg umgesetzt werden würden. Und das ist natürlich von zentraler Bedeutung für den Europarat. Zu deren Vorgaben hat sich die Türkei ja freiwillig verpflichtet. Aber egal wie die Wahl ausgeht, die Urteile des EGMR müssen von jeder Regierung umgesetzt werden.

Gesetzt den Fall, dass Erdoğan die Wahl für sich entscheidet. Was würde das für Land und Leute sowie die türkische Demokratie bedeuten?

Das kann und will ich angesichts meiner zur Neutralität verpflichtenden Rolle hier nicht bewerten. Aber wir drängen darauf, dass alle Akteure nach dieser Wahl die Werte des Europarats achten und die Regeln einhalten. Alles Weitere wird man nach der Wahl sehen.

„Nach der Wahl wird ein neues Kapitel aufgeschlagen“

Nehmen wir mal an, Kemal Kılıçdaroğlu wird zum neuen Präsidenten gewählt. Was ist von ihm zu erwarten?

Auch dazu kann ich hier nichts im Detail sagen. Aber noch einmal: Wir haben sowohl mit Regierungsvertretern als auch mit Oppositionellen gesprochen und unsere Sichtweise klargemacht. Der Europarat steht für handfeste Werte wie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Als Mitgliedsstaat muss sich auch die Türkei daran messen lassen. So oder so wird nach der Wahl ein neues Kapitel im Umgang mit dem Europarat aufgeschlagen werden müssen.

Wie sehen Sie die langfristigen Aussichten für die Türkei in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte, und welche Rolle könnten die Wahlen am 14. Mai dabei spielen?

Ich hoffe, dass die Wahlen dazu führen werden, dass die Türkei sich dafür entscheidet, den Weg der Demokratie und der Menschenrechte zu gehen. Und ich sehe auch innerhalb der Regierungspartei unterschiedliche Positionen zu den jüngsten Entwicklungen. Die oppositionellen Parteien sehen das, was die Türkei in den vergangenen Jahren im Bereich der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaates in Kauf nehmen musste in Kauf nehmen musste, als problematischen Weg an. Und deswegen hoffe ich, dass es am Ende durch diese Wahlen die Chance geben wird, demokratische Werte zu stärken. Bei welchem Ausgang der Wahlen auch immer.

Kommen wir zurück zu Ihnen: Was wäre für Sie als internationaler Wahlbeobachter ein Erfolgserlebnis? Was würde Sie nach dem Urnengang positiv stimmen?

Wir erleben leider weiterhin die Einschränkung der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaates in der Türkei. Und das wird auch bis zum Wahltag nicht weggehen. Es wäre viel gewonnen, wenn es bei den nächsten Wahlen Rahmenbedingungen gäbe, die allen Beteiligten dieselben Chancen ermöglichen.