Türkei: Schwache Lira lässt türkisches Handelsdefizit explodieren
Artikel von Lutz Reiche
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan setzt auf Wachstum durch Exporte. Die kletterten 2022 zwar auf Rekordniveau, doch machte die schwache türkische Lira dem Präsidenten einen dicken Strich durch die Rechnung.
Das türkische Defizit in der Handelsbilanz hat sich 2022 trotz eines Exportrekords mehr als verdoppelt. Die Einfuhren übertrafen die Ausfuhren um mehr als 110 Milliarden Dollar, wie das Handelsministerium am Montag mitteilte. Das ist ein Anstieg von gut 138 Prozent im Vergleich zu 2021. Nach den Worten von Präsident Recep Tayyip Erdoğan (68) wuchsen die türkischen Exporte im abgelaufenen Jahr um 12,9 Prozent und erreichten mit 254,2 Milliarden Dollar einen neuen Höchstwert. Allerdings legten die Importe noch deutlich stärker zu, und zwar um 34,3 Prozent auf mehr als 364 Milliarden Dollar.
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Ein Grund dafür dürfte die seit langem schwächelnde Landeswährung Lira sein. Diese hat 2021 um mehr als 40 Prozent zum Dollar abgewertet, 2022 dann um weitere 30 Prozent. Dadurch werden Importe – auf die das rohstoffarme Land angewiesen ist – merklich teurer. Zugleich werden aber auch türkische Waren auf den Weltmärkten preislich wettbewerbsfähiger.
Schwache Lira: Doppelte Belastung für Unternehmen
Im vergangenen Jahr wurden mehr als 70 Prozent der türkischen Importe in Dollar abgerechnet und fast die Hälfte der Importe in Euro. Der Euro erholte sich zwar zuletzt wieder etwas, doch lasten ein starker Dollar und ein zugleich schwächerer Euro doppelt auf türkischen Exportunternehmen. Denn Unternehmen müssen mehr Geld für Dollar-Importe ausgeben, während ein großer Teil der Exporte in den Euro-Raum wegen der relativen Schwäche des Euro gegenüber dem Dollar nicht genug einspielt.
Ein Grund für die drastische Abwertung der Lira ist die hohe Inflation. Die Teuerungsrate erreichte im November 84,4 Prozent – nach 85,5 Prozent im Oktober. Dennoch hat die türkische Zentralbank ihren Leitzins im abgelaufenen Jahr auf 9,0 Prozent gesenkt. Bei Ökonomen sorgt der Kurs der Notenbank für Kopfschütteln. Die große Mehrheit der Experten empfiehlt, die starke Teuerung mit höheren Zinsen zu bekämpfen, wie das etwa die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank (EZB) versuchen. Argentinien, wo die Inflationsrate ebenfalls bei mehr als 80 Prozent liegt, hat den Leitzins auf mittlerweile 75 Prozent festgesetzt.
Höhere Zinsen könnten die Lira wieder attraktiver machen für Investoren und damit die Inflation im Zaum halten. Trotz der starken Teuerung setzte Erdogan aber auf Zinssenkungen durch die Notenbank. "Solange Euer Bruder in dieser Position ist, werden die Zinsen mit jedem Tag, jeder Woche, jeden Monat fallen", sagte der Präsident vor einigen Wochen. Er will mit günstigen Krediten die Produktion und die Exporte anschieben, was wiederum für mehr Beschäftigung sorgen soll.