Chemiewaffen-Vorwurf: Fincancı wegen Terrorpropaganda verurteilt
Die Chefin der türkischen Ärztekammer (TTB) und bekannte Menschenrechtlerin Şebnem Korur Fincancı ist in der Türkei zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Ein Istanbuler Gericht befand die 63-Jährige am Mittwoch der Terrorpropaganda schuldig und verhängte zwei Jahre und acht Monate Haft gegen sie. Fincancı muss nicht ins Gefängnis, unter anderem wegen der vorausgegangenen Zeit in Untersuchungshaft. Dafür könnte sie Approbation als Ärztin verlieren. Die TTB-Chefin gilt auch als ausgesprochene Kritikerin des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan.
Die Vorwürfe beziehen sich auf ein Interview Fincancıs mit dem Sender Medya Haber TV. Dem Verständnis der türkischen Staatsanwaltschaft zufolge betreibt der Sender Propaganda für die PKK, die nicht nur in der Türkei als Terrororganisation gelistet ist. Das Verteidigungsministerium hatte Beschwerde gegen die Ärztekammerchefin eingereicht. Fincancı wies die Vorwürfe zurück.
Chemiewaffen im Einsatz gegen terroristische PKK?
In dem Interview hatte sich Fincancı für eine unabhängige Untersuchung der unbestätigten Vorwürfe ausgesprochen, wonach das türkische Militär Chemiewaffen im Kampf gegen die auch in Deutschland als Terrororganisation eingestufte PKK im Nordirak eingesetzt haben soll. Die türkische Regierung hatte die Vorwürfe vehement zurückgewiesen.
Nach der Urteilsverkündung stimmte das Publikum Sprechchöre in dem überfüllten Gerichtssaal an und feierte die Entscheidung zur Entlassung Fincancıs aus der Untersuchungshaft. Manche riefen, erst am Beginn des „Widerstandes“ zu stehen. Fincancı hatte seit Oktober 2022 in Untersuchungshaft gesessen.
Nach der Verkündung des Urteils dankte sie zunächst der Presse, die trotz des Drucks über ihren Fall berichtet habe. Weiter sagte sie: „Angst nützt nichts. Wir sollten nicht vergessen, was wir erlebt haben. Sie haben die Verantwortung, es der Öffentlichkeit zu vermitteln, genauso wie es die Verantwortung von uns Ärzten ist. Wenn diese Tage vorüber sind, werden wir gemeinsam diejenigen sehen, die ihre Verantwortung erfüllt haben, und diejenigen, die dies nicht getan haben. Deshalb möchte ich denen danken, die dieser Verantwortung nachkommen und sich mit uns solidarisieren.“
dpa/dtj