In der EU-Migrationspolitik deutet sich eine spektakuläre Wende an

 
 

|In der Migrationspolitik der EU deutet sich eine spektakuläre Wende an: Brüssel könnte künftig möglicherweise nun doch bereit sein, den Bau von Grenzzäunen finanziell zu unterstützen. Sollte es tatsächlich so kommen, so wäre das eine schwere politische Niederlage für EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. 

Die Lage an Polens Grenze wird immer katastrophaler, die Verzweiflung unter den Tausenden Migranten an der belarussisch-polnischen Grenze wächst. Bereits die dritte Nacht haben viele frierend in einem provisorischen Camp verbracht. Europa ringt unterdessen weiter um das richtige Vorgehen. Quelle: WELT © WELT Die Lage an Polens Grenze wird immer katastrophaler, die Verzweiflung unter den Tausenden Migranten an der belarussisch-polnischen Grenze wächst. Bereits die dritte Nacht haben viele frierend in einem provisorischen Camp verbracht. Europa ringt unterdessen weiter um das richtige Vorgehen. Quelle: WELT

Was ist passiert? Am Mittwoch brachte EU-Ratspräsident Charles Michel angesichts des Migrationsstreits zwischen Polen und Belarus überraschend eine Finanzierung von Grenzbefestigungen durch die EU ins Spiel. Die Europäische Kommission unter Führung von der Leyens hatte sich zuvor dagegen mehrfach vehement gewehrt.

Erst Ende Oktober, nur wenige Tage nach dem letzten EU-Gipfel in Brüssel, sagte die zuständige Innenkommissarin Ylva Johansson: „Wir finanzieren verschiedenste Maßnahmen zum Schutz der Außengrenzen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten ergriffen werden. Manche Länder wollen, dass dazu auch die Errichtung von Grenzzäunen zählt.

Dazu gab es keine Einigkeit der 27 auf dem EU-Gipfel vergangene Woche.“ Auch von der Leyen, so Johansson weiter, habe klar gemacht, „dass die Kommission kein Geld für die Einrichtung physischer Barrieren zur Verfügung stellt“. 

Druck auf von der Leyen gewaltig gestiegen

Bei einem Besuch in der polnischen Hauptstadt Warschau sagte Michel nun, die EU werde in den kommenden Tagen die Möglichkeit einer Finanzierung von „physischer Infrastruktur an den Grenzen“ diskutieren. Damit fordert er von der Leyen offen heraus.

Aber damit nicht genug: Der frühere belgische Regierungschef präsentierte auch das Ergebnis einer Stellungnahme der Rechtsexperten des Europäischen Rates – also der Vertretung der 27 Mitgliedsländer -, wonach es rechtlich durchaus möglich sei “physische Infrastruktur“ zum Grenzschutz aus EU-Mitteln zu finanzieren. Die finale Entscheidung muss aber die EU-Kommission treffen, denn nur sie allein kann die Finanzmittel freigeben. 

Fest steht: Der Druck auf Kommissionspräsidentin von der Leyen ist angesichts einer verschärften Migrationskrise an der Grenze zwischen Polen und Belarus in den letzten Tagen gewaltig gestiegen. Mehrere Tausend illegale Migranten aus vorwiegend arabischen Ländern, die sich auf dem Territorium von Belarus befinden, versuchen die Grenzbarrieren zu Polen zu durchbrechen und damit auch in die EU zu gelangen.

Nach Litauen und Lettland gerät nun auch Polen wegen des staatlich organisierten Menschenschmuggels durch die Regierung in Minsk immer mehr in die Enge. Alle drei Staaten fordern Unterstützung aus Brüssel - auch beim Bau von Zäunen und Mauern. 

Nun herrscht auch juristische Klarheit

Bereits vor einem Monat hatten zwölf EU-Länder in einem Brief an die EU-Kommission gefordert, dass physische Grenzbarrieren zumindest in Teilen aus dem gemeinsamen Haushalt bezahlt werden sollten.

Der Brief der zwölf Staaten wurde beim EU-Gipfel am 21. Oktober ausführlich beraten. Allerdings war vielen Regierungschefs damals offenbar noch nicht ganz klar, ob die EU auch wirklich Grenzzäune zum Schutz der EU-Außengrenzen mitfinanzieren darf. Nun hat der Juristische Dienst des EU-Rates nach den Worten Michels Klarheit geschaffen: Die darf Zäune finanzieren. 

Ursula von der Leyen unter Druck © Getty Images/Ian Forsyth Ursula von der Leyen unter Druck

Ein hochrangiger EU-Vertreter betonte zudem, dass die EU-Staats- und Regierungschefs in ihrer Abschlusserklärung vom EU-Gipfel im Oktober ausdrücklich festgehalten hatten, dass man „keine Versuche von Drittstaaten akzeptieren wird, Migranten für politische Zwecke zu instrumentalisieren“. Das war damals schon eine klare Botschaft an den belarussischen Machthaber Aleksander Lukaschenko.

Noch wichtiger ist nach den Worten des hohen EU-Vertreters aber Paragraf 20 der Abschlusserklärung. Dort heißt es: „Der Europäische Rat ersucht die Kommission, alle erforderlichen Änderungen am Rechtsrahmen der EU sowie konkrete Maßnahmen mit einer angemessenen finanziellen Unterstützung vorzuschlagen, um eine sofortige und angebrachte Reaktion im Einklang mit EU-Recht und internationalen Verpflichtungen der EU, einschließlich der Grundrechte, sicherzustellen.“ 

„Die EU-Kommission wiederholt die gleichen Fehler“

Aus Sicht einflussreicher EU-Kreise verpflichtet dieser Passus die EU-Kommission zu einer offenen Debatte anstatt sich – wie geschehen - von vornherein darauf festzulegen und eine Mitfinanzierung von Grenzzäunen abzulehnen. Es wird in diesem Zusammenhang aus Kreisen der Mitgliedstaaten auch darauf verwiesen, dass „es Litauen, mit einer fast 700 Kilometer langen Grenze zu Belarus nicht möglich sein wird, einen Grenzzaun alleine zu finanzieren“. 

Am Mittwoch telefonierte Österreichs Innenminister Karl Nehammer mit seinem polnischen Amtskollegen Mariusz Kaminski. Bei dem Gespräch forderte Kaminski neben härteren Sanktionen gegen Minsk vor allem finanziellen Hilfen für die Errichtung eines Grenzzauns an der mehr als 400 Kilometer langen Grenze zwischen Polen und Belarus.

Nehammer ist empört über die EU-Kommission: „Die EU-Kommission wiederholt die gleichen Fehler, die schon bei der Migrationskrise in Litauen gemacht worden sind. Auch da hatte Brüssel eine finanzielle Unterstützung für einen Grenzzaun abgelehnt und wollte nur bei der Aufnahme von illegalen Migranten helfen“, sagte er WELT. Das sei ein „völlig falsches Signal an die Schlepper“.

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