Asylpolitik: Neue Härte

Geht es nach den Sondierern, wohnen Asylbewerber künftig in Massenunterkünften – abgeschnitten vom Rest der Bevölkerung.

Von Caterina Lobenstein

  1. Januar 2018 5 Kommentare

Aus der ZEIT Nr. 05/2018

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Mit der Flüchtlingsdebatte verhält es sich so: Je lauter sie geführt wird, umso leichter überhört man, was wirklich wichtig ist. Anfang Januar zum Beispiel sagte Manfred Weber, stellvertretender CSU-Chef, auf der Klausurtagung seiner Partei am Chiemsee einen Satz, der großen Widerhall fand: "Im Jahr 2018 ist das zentrale europäische Thema die finale Lösung der Flüchtlingsfrage." Weber sprach über den Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge in Europa, aber weil viele, die das hörten, sich an den Ton der Wannseekonferenz erinnert fühlten, folgte, was folgen musste: ein Shitstorm. Ausländische Medien berichteten. Intellektuelle zeigten sich besorgt. Twitter drehte durch: Nazi! Geschichtsvergessen! Wer so spricht, will auch das tausendjährige Oktoberfest! Patrona Bavariae geht kotzen!

Die Öffentlichkeit hatte sich noch nicht beruhigt, da legte ein anderer Politiker nach. Herbert Kickl, österreichischer Innenminister und bekannt für seine Zwischenrufe von rechts außen, schlug Mitte Januar vor, Asylbewerber künftig "konzentriert an einem Ort zu halten". Auch das weckte böse Erinnerungen. Und löste den nächsten Shitstorm aus.

Es dauerte eine Weile, bis wieder Stille herrschte. Die aber war umso bemerkenswerter, weil sie genau in jenen Tagen einkehrte, in denen ein Satz an die Öffentlichkeit drang, der viel weitreichendere Folgen haben dürfte als die Worte von Weber und Kickl. Er fiel nicht am Chiemsee, sondern in Berlin, wo die Unionsparteien und die SPD am Verhandlungstisch saßen und nach nächtelangem Ringen ein Sondierungspapier vorlegten.

Der Satz steht auf Seite 21 des Papiers, er besagt, dass Asylbewerber künftig in sogenannten Ankunfts- und Rückführungszentren wohnen sollen. Das sind Heime mit mehreren Tausend Bewohnern, in denen die Menschen bis zu zwei Jahre lang leben müssen. In den bayerischen Städten Bamberg und Manching gibt es solche Zentren schon. Nach dem Willen von Union und SPD sollen sie künftig in ganz Deutschland eingerichtet werden. Aus der Politik der dezentralen Unterbringung, um die sich viele Städte und Gemeinden in den vergangenen Jahren bemüht haben, würde dann eine Politik der Massenlager. Herbert Kickl würde sagen: eine Politik der Konzentration.

Und diese Politik wird Folgen haben – für die Flüchtlinge und für die deutsche Bevölkerung.

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Dieser Artikel stammt aus der ZEIT Nr. 05/2018. Hier können Sie die gesamte Ausgabe lesen.

Spricht man in diesen Tagen mit Menschen, die sich persönlich um Asylbewerber kümmern, mit ehrenamtlichen Helfern also, die ihnen Deutsch beibringen, mit Arbeitgebern, die ihnen Jobs verschaffen, oder mit Mitarbeitern von Sozialeinrichtungen, die ihnen Unterkunft und Beratung bieten, stößt man überall auf dieselbe Sorge. Viele von ihnen fürchten, dass eine künftige große Koalition die Integration der Flüchtlinge nicht fördern, sondern erschweren wird: Weil die Menschen, die in Massenlagern wie Manching und Bamberg wohnen, nicht arbeiten dürfen. Weil ihre Kinder nicht auf reguläre Schulen gehen. Weil es in der Umgebung kaum deutsche Nachbarn gibt, dafür aber jede Menge abgelehnte Asylbewerber.

Denn die Lager sind nicht nur Ankunfts-, sondern auch Rückkehrzentren. Das heißt: Asylbewerber mit guten Chancen auf einen Schutzstatus leben monate-, manchmal jahrelang Tür an Tür mit Aschiebekandidaten, die sich längst aufgegeben haben. "Integrationsfeindlich" sei diese Art der Unterbringung, sagt Ruth Weinzierl, Asylexpertin der Diakonie, eines der großen Sozialträger, die in Deutschland Flüchtlingsheime betreiben und Asylbewerber beraten. "Es geht den Parteien offensichtlich nicht um Integration, sondern vor allem darum, dass möglichst viele Menschen ausreisen, und zwar um jeden Preis."

Ohne Kontakt zu Einheimischen gelingt keine Integration

2017 veröffentlichte der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration eine große Studie. Die Forscher wollten wissen: "Wie gelingt Integration?" Sie befragten dazu Dutzende Flüchtlinge in ausführlichen Interviews. Neben dem Wunsch, möglichst schnell eine Wohnung, eine Arbeit und Gewissheit über den Aufenthaltsstatus zu erhalten, nannten die meisten Flüchtlinge: "persönliche Begegnung und zwischenmenschliche Kontakte". Wie wichtig es für die Neuankömmlinge sei, überhaupt eine Möglichkeit zu bekommen, mit Einheimischen ins Gespräch zu kommen, etwas von ihnen zu erfahren, das werde "bislang unterschätzt", schreiben die Forscher.

Polizisten, Pfarrer, Ehrenamtliche und Asylberater, die in den bayerischen Massenlagern in Bamberg und Manching arbeiten – jenen Zentren also, die der großen Koalition als Vorbild für ganz Deutschland dienen –, klagen seit Jahren über die dortigen Zustände. Laut dem bayerischen Flüchtlingsrat haben die Bewohner kaum Kontakt zu Einheimischen, zu Psychologen oder Rechtsberatern. Auf einen Berater kommen zurzeit mehrere Hundert Asylbewerber.

Laut der Bamberger Polizei hat sich, seit Eröffnung des Lagers, die Kriminalitätsrate im näheren Umkreis deutlich erhöht. Darüber hinaus zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), wie schädlich eine Kasernierung von Asylbewerbern für deren Chancen ist, eine Arbeitsstelle zu finden. Das IAB hat im vergangenen Jahr die bislang detaillierteste Befragung von Flüchtlingen in Deutschland durchgeführt und herausgefunden, dass 45 Prozent der berufstätigen Flüchtlinge ihren Job über einen persönlichen Kontakt zum Arbeitgeber gefunden haben. Den jedoch knüpft man eher selten, wenn man in einer Massenunterkunft am Stadtrand wohnt. Die klassische Jobsuche über Vermittler der Arbeitsagentur oder Bewerbungsschreiben ist für Flüchtlinge schwieriger – vor allem weil es ihnen an Deutschkenntnissen fehlt.

Viele Asylbewerber haben laut der Studie des IAB noch Schulden bei Schleppern oder müssen Verwandte in der Heimat versorgen. Je schwerer diese Menschen Zugang zum regulären Arbeitsmarkt fänden, warnen die Forscher, desto größer sei die Gefahr, dass sie schwarz arbeiten.

Dazu kommt, dass zwar viele Arbeitgeber bereit wären, Flüchtlinge auszubilden – aber nicht sichergehen können, ob ihr Lehrling überhaupt in Deutschland bleiben darf. Bei Flüchtlingen mit eher geringer Bleibeperspektive entscheiden die Ausländerbehörden weitgehend nach eigenem Ermessen, ob sie arbeiten dürfen oder nicht. Das betrifft auch Afghanen, obwohl immerhin knapp die Hälfte von ihnen in Deutschland bleiben kann. Mareike Ziegler, die bei der Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern das Integrationsteam leitet, vermisst im Sondierungspapier von SPD und Union die Klarheit, die Arbeitgeber benötigen, um Flüchtlingen Jobs zu geben: "Wir brauchen Verlässlichkeit, damit die Unternehmen nachhaltiger planen können."

Die Handelskammern fordern seit Langem eine Stichtagsregelung: Wer bereits in Deutschland lebt und qualifiziert ist oder einen Ausbildungsplatz in der Tasche hat, soll bleiben dürfen. Das helfe nicht nur den Flüchtlingen, sondern eben auch den Arbeitgebern.

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Einen Shitstorm haben sie bislang nicht erzeugt, die Forscher und Asylberater, die Arbeitgeber, Pfarrer und Helfer. Aber sie verfügen über Expertise, die für die Verhandlungen um eine künftige Integrationspolitik von großem Wert sein können. Weil sie dort sind, wo Integration passiert: nicht am Sondierungstisch in Berlin. Sondern in den Heimen und Betrieben vor Ort.