EU-Asylpolitik: Von der Leyen fordert Abschiebezentren außerhalb Europas

Artikel von Von Josef Kelnberger, Brüsse
 
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      Initiative in der Asylpolitik: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. © Lisi Niesner/REUTERS

Die Kommissionspräsidentin legt den Staats- und Regierungschefs einen Zehn-Punkte-Plan vor, um die irreguläre Migration einzudämmen. Der hat es in sich.

Von der Leyen fordert Abschiebezentren außerhalb Europas

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will das Asylrecht in der Europäischen Union weiter verschärfen. In einem Brief an die 27 Staats- und Regierungschefs, die sich an diesem Donnerstag zum Gipfel in Brüssel treffen, entwirft sie einen Zehn-Punkte-Plan. Er soll helfen, die Zahl der in Europa ankommenden Migranten zu vermindern und abgelehnte Asylbewerber schneller zur Ausreise zu zwingen. Der brisanteste Punkt in dem Papier sind zweifellos sogenannte „return hubs“, also Abschiebezentren außerhalb der EU.

Der Wille, Asylverfahren in Staaten außerhalb der EU auszulagern, zieht sich durch alle aktuellen Debatten in der europäischen Flüchtlingspolitik. Von der Leyen kündigt an, das Konzept „sicherer Drittstaaten“ im kommenden Jahr rechtlich neu zu regeln. In dem Zusammenhang erwähnt sie in einem Satz die Abschiebezentren als „einen möglichen Schritt vorwärts“. Sie entspricht damit auch Forderungen aus der Europäischen Volkspartei, der sie als CDU-Politikerin angehört. In der Vergangenheit hatte die EU-Kommission solche Ideen abgelehnt.

Als Vorbild für die Auslagerung von Asylverfahren gilt Giorgia Melonis Abkommen mit dem EU-Beitrittsland Albanien. Die italienische Regierungschefin lässt Asylverfahren für Menschen, die außerhalb italienischer Gewässer aufgegriffen werden, unter italienischer Regie in albanischen Lagern durchführen. Von der Leyen erwähnt Meloni in ihrem Brief ausdrücklich: Die ganze EU könne von den Erfahrungen mit diesem Modell lernen, schreibt sie. Die meisten Vorschläge zur Zusammenarbeit mit Drittstaaten, die derzeit in Europa diskutiert werden, gehen jedoch über das Meloni-Modell hinaus: Es ginge nicht um EU-Beitrittsländer wie Albanien, sondern um afrikanische Staaten wie

Wie reagiert die Bundesregierung?

Mit Spannung wird in Brüssel erwartet, wie sich Bundeskanzler Olaf Scholz und die deutsche Regierung zur Idee von Abschiebezentren in Drittstaaten verhält. Sie hatte sich zuletzt einer Initiative von 17 europäischen Staaten angeschlossen, die fordert, einen neuen Rechtsrahmen zu schaffen, um Abschiebungen zu beschleunigen und zu erleichtern.

Von der Leyen beklagt in ihrem Brief selbst, nur 20 Prozent der abgelehnten Asylbewerber würden Europa auch wirklich verlassen. Deshalb sollen Verfahren gestrafft und europaweit harmonisiert werden. Abgelehnten Asylbewerbern will von der Leyen strengere Pflichten auferlegen. Und besondere Regeln sollen für die Abschiebung von straffällig gewordenen Asylbewerbern entwickelt werden, schreibt die Kommissionspräsidentin.

Der Brief dient als Grundlage für das Treffen der Staats- und Regierungschefs beim Gipfel in Brüssel. Fragen der Migration dürften dort das beherrschende Thema sein. Die Zahl der in Europa ankommenden Migranten ist zuletzt gesunken. Ursula von der Leyen führt das vor allem auf die Abkommen mit nordafrikanischen Ländern wie Tunesien zurück, die Migranten an der Überfahrt über das Mittelmeer hindern. Solche Verträge bezeichnet die Kommissionspräsidentin als Erfolgsmodell. Die Debatten um Verschärfungen des Asylrechts in Europa reißen angesichts der Wahlerfolge rechter Parteien in ganz Europa aber nicht ab. Und sie haben neue Fahrt aufgenommen durch das deutsche Vorgehen seit dem Messer-Anschlag von Solingen.

Deutschlands Grenzkontrollen als Gelegenheit für Verschärfungen

Die Bundesregierung hat Kontrollen an allen deutschen Grenzen eingeführt und in ungewohnt scharfer Form die Regierungen in Italien und Griechenland kritisiert, weil sie Asylbewerber, für deren Verfahren sie laut europäischem Recht zuständig wären, nicht zurücknehmen. Andere Staaten nehmen den deutschen Kurswechsel nun als Gelegenheit, Verschärfungen des Asylrechts voranzutreiben, denen sich Deutschland bislang verweigert hat.

Ursula von der Leyen kommt der Bundesregierung in ihrem Brief durchaus entgegen. So plädiert sie wie die deutsche Innenministerin Nancy Faeser dafür, Teile der im Frühjahr beschlossenen europäischen Asylrechtsreform vorzuziehen. Kern der Reform sind Lager an den EU-Außengrenzen, wo Asylbewerber mit geringer Aussicht auf Anerkennung festgehalten und schnell wieder abgeschoben werden sollen. Wegen des großen Aufwands bei der Umsetzung soll das System erst in zwei Jahren starten.

Von der Leyen schlägt nun vor, die umfassende Registrierung und Sicherheitsüberprüfung von Flüchtlingen sofort umzusetzen. Damit könnten die Dublin-Regeln wieder besser zur Geltung kommen: Verantwortlich für das Asylverfahren ist der Staat, in dem die Migranten europäischen Boden erreichen. Im Gegenzug, schreibt von der Leyen, könnten die neuen Regeln für die „Solidarität“ unter den Mitgliedstaaten sofort greifen, was konkret hieße: Italien und Griechenland dürften gewisse Kontingente von Asylbewerbern an andere Staaten abgeben, oder sie würden zumindest finanziell entschädigt.

Im Mittelpunkt der Debatten dürfte bei dem Gipfel auch der polnische Regierungschef Donald Tusk stehen. Er wird seinen Plan erklären, das Asylrecht für eine gewisse Zeit komplett außer Kraft zu setzen. Er begründet den Schritt damit, Russland und Belarus würden weiterhin Migranten an die polnische Grenze schicken, um Polen und die ganze EU zu destabilisieren. Die Kommission hat die polnische Regierung zu Beginn dieser Woche davor gewarnt, gegen europäisches Recht zu verstoßen. Allerdings werden bei dem Brüsseler Gipfel auch neue Wege diskutiert, sich gegen die sogenannte „Instrumentalisierung“ von Migranten zu wehren. Auch Ursula von der Leyen erwähnt dieses Problem in ihrem Brief als eine der zehn Prioritäten. Von einer Aussetzung des Asylrechts ist darin allerdings nicht die Rede.