EU-Migrationspolitik: Neue Wege für Abschiebungen gesucht

                                                             Artikel von Thomas Gutschker
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                                                    Migranten nach der Rettung auf der zu Spanien gehörenden Insel Lanzarote © dpa

 

Innovative Solutions“ – das wäre ein guter Name für ein Hightech-Unternehmen. Im EU-Kontext ist aber etwas ganz anders gemeint: Lösungen für die Asylkrise, die auf die Zusammenarbeit mit Drittstaaten setzen und Migranten abschrecken sollen. Der Begriff stammt aus dem Missionsschreiben, mit dem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihren designierten Innenkommissar Magnus Brunner ausstattete. „Sie werden weitere Überlegungen zu innovativen operativen Lösungen anstellen, um die irreguläre Migration zu bekämpfen“, so lautet ihr Auftrag an den Österreicher. Freilich hat das Nachdenken in Brüssel schon begonnen. In dieser Woche werden erstmals die EU-Innenminister über eine besondere Variante diskutieren.

Wenn sie an diesem Donnerstag in Luxemburg zusammenkommen, geht es darum, wie sich „die Wirksamkeit der EU-Rückführungspolitik verbessern“ lässt – so steht es auf der Tagesordnung. „Wir werden die Minister zu einem Gedankenaustausch darüber einladen, ob wir die rechtliche und praktische Machbarkeit von innova­tiven Lösungen auf Expertenebene diskutieren sollen“, erläuterte ein leitender EU-Diplomat, „insbesondere das Konzept von Rückkehrzentren“. Dieser Vorschlag wiederum stammt aus einem Brief, den 15 EU-Innenminister Mitte Mai der EU-Kommission geschrieben haben. Aus­reisepflichtige Asylbewerber könnten in solche Rückkehrzentren – das englische Wort lautet „return hubs“ – in kooperationsbereiten Drittstaaten gebracht werden, heißt es dort, während sie auf ihre endgültige Abschiebung warteten. Mög­liche Modelle sollten die EU-Kommission und die Mitgliedstaat erkunden.

Debatte über „abgespecktes“ Albanien-Modell

Diese Debatte beginnt nun, weil die ungarische EU-Ratspräsidentschaft die An­regung aufgenommen hat. Ganz neu ist die Idee nicht. Schon 2017 gab es Überlegungen, solche Rückkehrzentren in Tunesien einzurichten. Seinerzeit verhandelte Berlin mit Tunis, konnte aber nur die schnellere Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus Tunesien durchsetzen. Dieselbe Erfahrung machte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im vo­rigen Jahr. Auch sie wollte Migranten in das Land zurückschieben, die über Tunesien nach Italien gekommen waren. Doch widersetzte sich Präsident Kaïs Saïed diesem Ansinnen, während italienische Gerichte Tunesien als „nicht sicher“ einstuften. Die Lehre aus diesen gescheiterten Avancen war: Die Ablehnung dunkelhäutiger Menschen kann in Nordafrika noch größer sein als in Europa.

Deshalb richtet sich der Blick nicht nur nach Afrika, sondern auch in die euro­päische Nachbarschaft. Könnte man nicht Staaten des westlichen Balkans dafür gewinnen, abgelehnte Asylbewerber bei sich aufzunehmen? Immerhin sind fünf von ihnen Beitrittskandidaten, das verleiht der EU einen doppelten Hebel: Sie könnte die Regierungen unter sanften Druck setzen und zugleich sicherstellen, dass das notwendige Niveau an Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt. Die Abzuschiebenden könnten in Zentren untergebracht werden, die von der EU finanziert und von EU-Beamten betreut werden. De facto müssten es allerdings geschlossene Einrichtungen sein, damit die Betroffenen nicht gleich den nächsten Versuch unternehmen, in die EU zurückzukehren. Würde das über gewisse Zeit gelingen, könnte es andere Asylbewerber entmutigen, sich überhaupt auf den Weg zu machen. Solche Überlegungen gibt es in Brüssel, wenn auch bislang nur in vertrau­lichen Runden. Als „abgespeckte Variante des Albanien-Modells“ umschreibt sie ein Gesprächspartner. Gemeint ist der Deal, den Meloni Ende 2023 mit dem albanischen Regierungschef Edi Rama vereinbarte, nachdem sie mit Tunesien nicht weiter­gekommen war. Demnach darf Italien in Albanien zwei Aufnahmezentren errichten, um dort Asylanträge von Migranten zu prüfen, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet wurden. Für sie gilt nicht der hohe Schutzanspruch des europäischen Rechts, das erst greift, wenn ein Asyl­antrag auf dem Territorium eines EU-Staats oder an seiner Grenze gestellt wird. Wer Schutz erhält, darf nach Italien einreisen; wer abgelehnt wird, soll von Al­banien zurückgeführt werden. Scheitert dies, ist auch für solche Personen die Einreise frei.

Initiative kam aus Kopenhagen und Prag

Bei einem Rückkehrzentrum wären die rechtlichen Auflagen noch geringer – es geht ja um Menschen, denen rechtswirksam kein besonderer Schutz in Europa zusteht. Beachtet werden müsste neben den Grundrechten nur das Refoulementverbot der Genfer Flüchtlingskonvention; der Drittstaat dürfte die Betreffenden nicht einfach weiterschieben. Unter welchen Um­ständen sie untergebracht werden dürften, müssten europäische Gerichte entscheiden. Hier setzen jene an, die Rückkehrzentren für keine gute Idee halten. Immerhin hätten deutsche Gerichte sogar die Rückführung von Asylbewerbern nach Griechenland gestoppt, sagen Skeptiker, weil dort die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung drohe.

Die Initiative der 15 EU-Innenminister im Mai ging von Dänemark und der Tschechischen Republik aus. Vor allem Staaten im Norden, Osten und Süden trugen sie mit. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) war zwar an den Verhandlungen beteiligt, sah dann aber davon ab, den Brief mitzuzeichnen, um neuen Ärger mit den Grünen zu vermeiden. Denn im selben Schreiben wird auch die Drittstaatenregelung im neuen EU-Asylrecht infrage gestellt. Die Minister fordern die EU-Kommission auf, eine Bestimmung zu streichen, mit der Asylbewerber nur in sichere Drittstaaten zurückgewiesen werden können, zu denen sie eine „sinnvolle Verbindung“ aufweisen.

Auf diese Formulierung hatten die Grünen seinerzeit gepocht. Nun allerdings sieht es in Brüssel so aus, als würde sie ohnehin fallen. Es gebe eine qualifizierte Mehrheit im Rat, um das Verbindungs­kriterium aufzuheben, sagen Eingeweihte. Ein entsprechender Vorschlag der Kommission wird für den nächsten Sommer erwartet. Damit würde dann auch ein Ruanda-Modell möglich.

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