Flucht und Migration: Wie viel Geld schicken Asylbewerber in ihre Heimatländer?

Geschichte von Von Constanze von Bullion und Florian Kappelsberge/ SZ

 

 

 

                                           asdg.jpg

Migrationsforscher bezweifeln, dass die Bezahlkarte Geldtransfers in die Heimat reduzieren wird: Geflüchtete Familie in der Erstaufnahmeeinrichtung
in Berlin-Reinickendorf. © Paul Zinken/picture alliance/dpa
 

Die Bezahlkarte soll verhindern, dass Schutzsuchende in Deutschland Sozialleistungen ins Ausland überweisen. Doch es dürfte nicht Geld allein sein, was die Menschen nach Deutschland zieht.

Wie viel Geld schicken Asylbewerber in ihre Heimatländer?

Bund und Länder wollen die Bezahlkarte für Geflüchtete einführen, in einigen Bundesländern wird sie schon ausgegeben. Mit der Chipkarte sollen Neuankömmlinge in Deutschland einkaufen, aber kein Geld in die Heimatländer oder an Schleuser überweisen können.

Schicken Geflüchtete in nennenswertem Umfang Geld aus Sozialleistungen in ihre Heimatländer?

"Darüber wissen wir nicht viel", sagt Matthias Lücke. Er ist Professor am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Auf Einladung des Mediendienstes Integration stellte er am Mittwoch Daten zu Rücküberweisungen in Herkunftsländer vor, zusammen mit dem Weltbank-Chefökonomen Dilip Ratha. Der Mediendienst ist ein Projekt des "Rats für Migration", ein bundesweiter Zusammenschluss von Migrationsforscherinnen und -forschern. Ein Ergebnis der Untersuchungen zu Rücküberweisungen: Ihr Umfang hat in den vergangenen Jahren weltweit stetig zugenommen - unabhängig davon, ob das Geld von Geflüchteten kam oder von Arbeitsmigranten mit regulären Jobs. In Deutschland haben sich Auslandstransfers nach Schätzungen der Bundesbank seit 2012 ungefähr verdoppelt. 2023 gingen sie erstmals wieder etwas zurück, was auch an statistischen Schwankungen liegen kann. Deutlich mehr Geld überwiesen wurde zuletzt nur in die Ukraine. Hier gibt es seit Kriegsbeginn ein Plus von 530 Prozent. Weil Ukrainerinnen und Ukrainer in der EU sofort regulär arbeiten dürfen, gelten solche Transfers grundsätzlich nicht als problematisch.

Was genau sind Rücküberweisungen?

Die Forschung fasst unter diesem Begriff private Geldsendungen zusammen, mit denen Menschen Angehörige oder Freunde im Herkunftsland unterstützen. Die Überweisungen lassen allerdings nicht erkennen, ob das Geld von einer Person stammt, die etwa auf dem deutschen Arbeitsmarkt einer regulären Beschäftigung nachgeht und frei über eigene Einkünfte verfügen kann - oder ob das Geld von Geflüchteten im Asylverfahren kommt, die die Überweisungen von Sozialleistungen abzweigen.

Wie viel wird insgesamt überwiesen?

Das lässt sich nur schätzen. Einzelüberweisungen ins Ausland sind erst ab 12 500 Euro meldepflichtig, die gesendeten Beträge liegen meist deutlich darunter. Viele Transfers laufen über digitale Kanäle oder informelle Netzwerke, was die Erfassung erschwert. Manche Länder wie Syrien haben auch kein funktionierendes Bankensystem. Die Bundesbank schätzt, dass 2023 rund 6,8 Milliarden Euro von Migrantinnen und Migranten in ihre Heimatländer geschickt wurden. "Das meiste Geld dürfte von Arbeitsmigranten stammen, die genug verdienen, um einen Teil ihres Lohnes nach Hause zu überweisen", sagt Ökonom Lücke. 75 Prozent der Zahlungen aus Deutschland flossen laut Bundesbank in EU-Länder wie Rumänien (604 Millionen Euro), Polen (534 Millionen Euro) oder Italien (389 Millionen Euro). Hauptzielländer außerhalb der EU waren die Türkei mit 843 Millionen, die Ukraine mit 451 Millionen, Syrien mit 360 Millionen, Serbien mit 255 Millionen und Afghanistan mit 139 Millionen Euro. Daneben registrierte die Bundesbank gut 15 Milliarden Euro an grenzüberschreitenden Arbeitnehmerentgelten, also Löhne , die etwa ausländische Saisonarbeiter oder Grenzpendler erhalten. Sie gehen fast ausschließlich in EU-Länder. Zusammen mit den Rücküberweisungen machen die Gesamttransfers aus Deutschland laut Bundesbank mehr als 22,4 Milliarden Euro aus, geschätzt. Laut Weltbank, die etwas anders rechnet, lagen sie im Jahr 2022 bei etwa 25 Milliarden Dollar.

Lassen sich Rücküberweisungen nur von Asylbewerbern beziffern?

Nein. Die internationalen Bilanzen lassen lediglich erkennen, wo Rücküberweisungen zu- oder abnehmen. Solche Geldsendungen seien ein riesiges Phänomen, sagte Migrationsforscher Lücke der Süddeutschen Zeitung. Grundsätzlich gehe er aber davon aus, dass Geflüchtete daran nur einen sehr geringen Anteil haben. Zwar gebe es sicher Fälle, in denen Asylbewerber Familien in der Heimat unterstützen. Die geringe Summe der Asylbewerberleistungen schränke diesen Wunsch allerdings ein: Ein alleinstehender Erwachsener erhält derzeit pro Monat 460 Euro. Das liegt deutlich unterhalb des Bürgergeld-Regelsatzes von 563 Euro, der das Existenzminimum sichern soll.

Wie ist der Trend bei Transfers in Asylherkunftsländer?

Derzeit rückläufig. Nach Schätzungen der Bundesbank gingen die Zahlungen hier 2023 zurück, im Schnitt um elf Prozent auf rund 830 Millionen Euro. Ins Kriegsland Syrien etwa wurden 2023 rund zwölf Prozent weniger aus Deutschland überwiesen als im Vorjahr, in den Irak zehn Prozent weniger. Besonders stark war der Rückgang bei Transfers nach Afghanistan, er lag bei minus 15 Prozent. Ein großer Teil der Gelder dürfte hier von Geflüchteten stammen, die in Deutschland einen Job gefunden haben und Geld verdienen, sagte Weltbank-Ökonom Ratha. Menschen, die nicht nur kurzfristig, sondern mehrere Jahre und mit gesichertem Status im Ausland blieben, könnten generell mehr Geld nach Hause überweisen. Was heimgeschickt werde, sei allerdings nur ein kleiner Teil. "Interessanterweise geben sie 80 bis 90 Prozent ihres Einkommens in dem Land aus, in dem sie leben", so Ratha. Entsprechend niedriger seien die Summen, die Asylbewerber abzweigen könnten.

Was bewirken Rücküberweisungen in den Herkunftsländern?

Rücküberweisungen erreichen dort Verwandte, Freunde, die Nachbarschaft. Forscher beobachten, dass solche Transfers Armut zurückdrängen. "Rücküberweisungen helfen Familien, Kinder in die Schule zu schicken. Sie senken die Kindersterblichkeit, die Gesundheit der Mütter ist besser als in anderen Familien und die Schulabbrecherquote geringer", so Weltbank-Chefökonom Ratha. In ärmeren Ländern stellen sie nicht selten einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Nach Schätzungen der Weltbank machten Auslandstransfers 2022 in der Ukraine etwa elf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, in Tadschikistan sogar rund die Hälfte.

Wirken Rücküberweisungen als Pull-Faktor?

Unionsregierte Länder in Deutschland sehen in bar ausgezahlten Leistungen für Asylbewerber einen Anreiz für irreguläre Migration, auch weil sie es Asylbewerbern ermöglichten, Geld nach Hause zu schicken. Die Einführung der Bezahlkarte, die für Auslandsüberweisungen gesperrt ist, soll dem entgegenwirken. Inzwischen gibt es allerdings Studien, nach denen nicht Geld und Sozialleistungen der Hauptgrund sind für die Entscheidung, nach Deutschland zu gehen. Wichtiger seien Stabilität, Schutz vor Verfolgung oder bereits in der Bundesrepublik lebende Verwandte - und die Aussicht, durch reguläre Jobs auch die Familie zu Hause unterstützen zu können. Migrationsforscher Lücke sieht die Einführung der Bezahlkarte skeptisch. Er erwarte nicht, "dass eine solche Bezahlkarte dazu führt, dass weniger irreguläre Migration stattfindet", sagte er der SZ. Er halte das Vorhaben für Symbolpolitik. Auch Weltbank-Ökonom Ratha hält es für eine Illusion, mit Restriktionen für Überweisungen Migration verhindern zu können. Mit dem Elend in armen Regionen der Welt wachse der Druck auf die Menschen auszuwandern. "Wenn sie nicht bleiben können, werden sie nicht bleiben", so Ratha.

Lassen sich Auslandsüberweisungen mit der Bezahlkarte kappen?

Wenn Geflüchtete unbedingt Geld ins Herkunftsland schicken wollten, werde die Bezahlkarte mit Bargeldsperre das kaum verhindern, schätzt Lücke. "Als Ökonom kann ich sagen: Wo es eine Nachfrage gibt, wird es auch ein Angebot geben." Es brauche nicht viel Fantasie, um die Einschränkungen zu umgehen, etwa durch den Umtausch gekaufter Güter in Bargeld oder Geldsendungen über informelle Netzwerke. Transfers würden so nur in ein Dunkelfeld gedrängt.