Grüne streiten über Migrationspolitik: Habeck zwingt seiner Partei den Kurs auf

 

Robert Habeck brachte seine Partei auf Kurs.

 
Robert Habeck brachte seine Partei auf Kurs.

© dpa/Kay Nietfeld

Grüne streiten über Migrationspolitik: Habeck zwingt seiner Partei den Kurs auf

Schon lange verärgern Kompromisse bei der Asylpolitik Teile der Grünen-Basis. Auf dem Parteitag kommt es zu einer emotionalen Debatte, bei der es kurzzeitig um den Fortbestand der Ampel geht.

Mit jeder Rede wird die Miene von Robert Habeck säuerlicher. Mit verschränkten Armen sitzt der Wirtschaftsminister und Vizekanzler auf dem Grünen-Parteitag in der ersten Reihe und lauscht den Reden, die von der Bühne direkt vor ihm gehalten werden. Und das, was Habeck von seinen Parteifreunden zu hören bekommt, ist lautstarke Kritik an seinem Kurs in der Migrationspolitik.

„Die Antwort auf den Rechtsruck kann doch nicht sein, den Faschisten immer weiter entgegenzukommen“, sagt die grüne Kommunalpolitikerin Louisa Baumann.

Vasili Franco, Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus, kritisiert: „Es ist unehrlich von Ordnung zu sprechen, wenn täglich im Mittelmeer Menschen ertrinken.“ Die Sprecherin der Grünen Jugend, Katharina Stolla, spricht Habeck direkt an: „Eine unmenschliche Asylpolitik ist keine Realität, sondern eine politische Entscheidung“, ruft sie und der halbe Saal applaudiert im Stehen.

Zwei Tage lang konnte die Parteitagsregie der Grünen zufrieden sein. Ohne größere Zwischenfälle hatten die Grünen ihre Europawahlliste gewählt, die Bundesvorsitzenden im Amt bestätigt und weitgehend einig über die Reform der Schuldenbremse debattiert. Doch in der dritten Nachtsitzung von Karlsruhe entlädt sich der Frust vieler Grüner in der Debatte über den Kurs der Grünen in der Migrationspolitik.

Die Kritik wächst von Rede zu Rede

Verschärfte Abschieberegeln, die Absenkung von Sozialleistungen von Geflüchteten, die Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten – viele Beschlüsse der Ampel-Regierung und Ministerpräsidenten in den vergangenen Wochen haben vor allem Parteilinke verärgert. Dass die Grünen-Spitze die Kompromisse im Bund und auch auf europäischer Ebene mitträgt, irritiert viele an der Basis.

Und so wächst die Kritik an Außenministerin Annalena Baerbock, dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, und an Habeck von Rede zu Rede. Viele werben für einen Antrag der Grünen Jugend, der den Grünen-Mandatsträgern jegliche Asylrechtsverschärfungen verbieten will.

Es gibt tobenden Applaus. In der ersten Reihe wird die Grünen-Spitze zunehmend nervös. Immer wieder beraten sich die Partei- und Fraktionschefs der Grünen mit Habeck und Baerbock, es wird telefoniert, hektisch an Reden gefeilt.

Habeck: „Misstrauensvotum in Verkleidung“

Schließlich tritt Habeck ans Rednerpult. „Es war klar, dass dies die schwierigste und emotionalste Debatte wird“, sagt er. Er sei jedoch irritiert, von der „Fußballstadionstimmung“ im Saal, sagt er. Er begegnet der Kritik nicht inhaltlich, sondern warnt vor den Konsequenzen des Antrags der Grünen Jugend. „Wie immer ihr abstimmt, macht euch klar, dass es kein Spiel ist.“

Habeck verknüpft die Debatte um die Migrationspolitik mit dem Fortbestand der Regierung. Der Antrag der Grünen Jugend sei ein „Misstrauensvotum in Verkleidung“, so Habeck. „Die Wahrheit ist, dass dieser Antrag auffordert, die Regierung zu verlassen.“ Es ist eine unausgesprochene Drohung an die Partei. Habeck wirft das Gewicht der Regierungsbeteiligung der Grünen in diesem Moment in die Waagschale.

Delegierte berichten später, dass Landesvorsitzende auf ihr Wahlverhalten Druck ausgeübt hätten. Auch die grüne Familienministerin Lisa Paus, so heißt es, sei durch die Gänge gelaufen und habe vor dem Ende der Ampel gewarnt.

Dem widerspricht die frühere Sprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich, die direkt nach Habeck spricht. „Nein, wir wollen nicht das Ende dieser Regierung. Wir wollen den Beginn einer neuen Asylpolitik.“ Zu häufig hätten die Grünen Kompromisse eingehen müssen.

Doch es gibt an diesem Abend auch inhaltliche Erklärungsversuche für den Kurs der Parteispitze. „Wir können nicht so tun, als sei jetzt so alles in Ordnung“, sagt Parteichef Omid Nouripour zu Beginn der Debatte.

60 Prozent der Kommunen in Deutschland seien bereits überfordert, die Migration müsse besser gesteuert werden. Deshalb habe die Ampel ein Einwanderungsgesetz verabschiedet. In der Folge brauche es dann aber auch mehr Ordnung, um irreguläre Migration einzuschränken. „Wer Ordnung nicht zulässt, bekommt auch keine Humanität“, sagt Nouripour.

Natürlich müssten die Maßnahmen in der Migrationspolitik rechtens sein. Es gehe daher nicht, Seenotrettung zu kriminalisieren und auch eine Obergrenze für Geflüchtete wollten die Grünen nicht. Leidenschaftlich wirbt der Parteichef für die Balance von Humanität und Ordnung. Dafür sei ein Fortschritt bei der gemeinsamen europäischen Asylpolitik nötig: „So wie es ist, kann es nicht bleiben“, sagt Nouripour.

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Ganz am Ende ergreift Außenministerin Baerbock nochmal das Wort. „Ich kann das nicht einhalten“, sagt sie mit Blick auf den Antrag der Grünen Jugend. Sie könne dann nämlich nicht mehr mitverhandeln, wenn in Europa über Asyl entschieden werde. Dann entscheide allein der ungarische Außenminister.

Auch Robert Habeck solle im Kanzleramt mit Olaf Scholz (SPD) weiter mitverhandeln. „Ich will, dass Robert sitzen bleiben und verhandeln kann“, ruft sie.

Mit einem gemeinsamen Kraftakt gelingt es der Parteispitze, die Stimmung im Saal zu drehen. Rund zwei Drittel der Delegierten stimmen am Schluss für den Antrag des Bundesvorstands. Es ist ein erzwungener Erfolg. Der Preis dafür war der Blick in den Abgrund.