Migrationspolitik: Grünen-Basis rebelliert gegen Parteiführung
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Nach dem Ja der Ampel zur EU-Asylreform brodelt es in der Partei. Vergeblich versuchen Außenministerin Baerbock und Fraktionschefin Haßelmann, die Brüsseler Einigung als Erfolg zu verkaufen.
Grünen-Basis rebelliert gegen Parteiführung
Offenbar ahnte man bei den Grünen schon, was sich da zusammenbraut. Die EU-Staaten hatten sich am Mittwochmittag erst Minuten zuvor auf einen Krisenmechanismus zur Eindämmung illegaler Migration nach Europa verständigt, da ließ Außenministerin Annalena Baerbock auch schon ihre Deutung des Beschlusses verschicken: "Wir haben in Brüssel bis zur letzten Minute hart und erfolgreich darum gerungen, dass es nicht zu einer Aufweichung von humanitären Mindeststandards kommt", erklärte Baerbock. Man begrüße die erreichten Verbesserungen, sagte wenig später auch Fraktionschefin Britta Haßelmann. Die Botschaft aus der Grünen-Führung: Man habe ja getan, was machbar gewesen sei. Das Ergebnis könne sich nun sehen lassen.
Doch genau daran gibt es innerhalb der Partei inzwischen erhebliche Zweifel. Schon seit Monaten tobt bei den Grünen eine heftige Auseinandersetzung über den richtigen Kurs der Asylpolitik in der eigenen Koalition. Besonders umstritten war dabei die am Mittwoch erfolgte Zustimmung zur europäischen Asylreform, die weite Teile der Partei für inhuman halten. In diesen Tagen aber wird deutlich: Der Unmut der Grünen Basis richtet sich längst nicht mehr nur gegen die Koalitionspartner SPD und FDP. Wütend ist man bei den Grünen inzwischen auch auf die eigene Parteispitze.
Öffentlich machte das am Mittwoch die parteiinterne Bundesarbeitsgemeinschaft Migration und Flucht. Man sei "entsetzt" über den Kurs der eigenen Führung, erklärten Svenja Borgschulte und Markus Schopp, der Sprecherin und dem Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft in einer gemeinsamen Erklärung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
Die Grüne gäben ihre humanitären Grundsätze auf, lautet ein Vorwurf
Denn die geplante GEAS-Reform sehe eine "historisch beispiellose Verschärfung des in der EU geltenden Asyl-Rechts vor". Entgegen den Behauptungen der eigenen Parteispitze könnten selbst Schutzsuchende aus Syrien und Afghanistan künftig in den geplanten geschlossenen Lagern an den Außengrenzen eingesperrt und ohne Prüfung ihrer Fluchtgründe in Drittstaaten außerhalb der EU abgeschoben werden, heißt es weiter. Das bedeute die "Aufgabe Grüner Kernpositionen". Die Parteispitze ignoriere Parteibeschlüsse und versuche die Basis mit "Falschbehauptung intern ruhigzustellen". Die Grünen gäben ihre humanitären Grundsätze auf, würden dadurch aber keine Probleme lösen, warnen die Chefs der Arbeitsgemeinschaft.
Die Warnungen reichen weit, wie der Streit um die Migrationspolitik die eigene Partei beeinflussen werde. "An der Basis brodelt die Stimmung", warnt das Papier. "Uns kontaktieren viele Mitglieder, die entweder ungläubig sind über den Kurs unserer Parteispitze oder frustriert überlegen, das Handtuch zu werfen und auszutreten." Die Arbeitsgemeinschaft geht davon aus, dass sie für viele Grüne spricht. Schließlich waren Zehntausende neue Mitglieder seit 2015 zu de
Grünen gekommen, weil sie sich für Geflüchtete einsetzen.
Wasser auf die Mühlen rechter Regierungen in Europa"
Auch die Grüne Jugend kritisierte die Einigung heftig. Die aktuelle Verständigung sei "Wasser auf die Mühlen rechter Regierungen in Europa", sagte der Co-Chef der Nachwuchsorganisation, Timon Dzienus. "Trotz Änderungen an der Krisenverordnung verschlechtert sich die humanitäre Lage für Geflüchtete weiter." Er halte die deutsche Zustimmung "zu dieser Chaosverordnung für falsch. Das individuelle Asylrecht wird so in ganz Europa weiter infrage gestellt", sagte Dzienus.
Vizekanzler Robert Habeck hatte kürzlich schon einen neuen Kurs der Grünen in der Migrationspolitik angedeutet. Seine Partei sei zu pragmatischen Lösungen bereit, um den Zuzug bereits an den EU-Außengrenzen zu senken, sagte der grüne Wirtschaftsminister unlängst in einem Interview. Wenn die Grünen das Recht auf Asyl weiter schützen wollten, dann müssten sie "die Wirklichkeit annehmen und die konkreten Probleme lösen - auch, wenn es bedeutet, moralisch schwierige Entscheidungen zu treffen." Die Grünen wüssten, dass sie eine Verantwortung tragen, sagte Habeck weiter.