Türkei muss zahlen: Deniz Yücels Haft war rechtswidrig


Deniz Yücel
Deniz Yücel, Journalist der "Welt", vor dem Amtsgericht Tiergarten. Foto: Michael Kappeler/dpa

Ein Jahr lang saß der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel in der Türkei in Haft – wegen angeblicher Terrorpropaganda. Das war menschenrechtswidrig, stellt nun ein wegweisendes, aber noch nicht rechtskräftiges Urteil fest. Die Türkei soll nun zahlen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Türkei wegen der Inhaftierung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel verurteilt. Die einjährige Untersuchungshaft Yücels wegen angeblicher Terrorpropaganda habe seine Menschenrechte auf Freiheit und Sicherheit sowie auf freie Meinungsäußerung verletzt, heißt es in dem Urteil.

Ankara muss nun 13.300 Euro Entschädigung an den Journalisten zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Prozessparteien können es innerhalb von drei Monaten anfechten. Yücel bezeichnete das Urteil in Teilen als „enttäuschend“. „Dass das Gericht die Rechtswidrigkeit meiner Verhaftung festgestellt hat, ist erfreulich“, sagte Yücel.

Ein Jahr im Gefängnis

„Enttäuschend finde ich aber, dass das Gericht weder meine Beschwerde auf Verletzung des Folterverbots anerkannt hat, noch, dass das Verfahren gegen mich politisch motiviert war.“ Gegen den letzten Punkt wolle er Widerspruch einlegen. Yücel wertete das Urteil als „Erfolg der türkischen Lobbyarbeit“ in Straßburg.

Das Straßburger Gericht hat sich mit der Frage der politischen Motivation nicht befasst und stattdessen auf die anderen festgestellten Menschenrechtsverletzungen verwiesen. Der „Welt“-Korrespondent war von Februar 2017 bis Februar 2018 ohne Anklageschrift im Hochsicherheitsgefängnis Silivri westlich von Istanbul inhaftiert.

Tauziehen zwischen Ankara und Berlin

Laut den Straßburger Richtern veranlasste ein türkisches Gericht seine Untersuchungshaft wegen des Verdachts, Terrorpropaganda zu verbreiten und zu Hass und Feindseligkeit anzustiften. Dabei stützte es sich auf Artikel Yücels über die Kurden-Politik der türkischen Regierung.

Erst nach langem politischen Tauziehen zwischen Ankara und Berlin kam der Deutsch-Türke frei und konnte ausreisen. Im Juli 2020 wurde der Journalist dann in Abwesenheit wegen Terrorpropaganda für die PKK zu rund zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Das Verfahren befindet sich in Revision.

Seit Putschversuch wächst der Druck

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan griff Yücel mehrmals öffentlich persönlich an, noch bevor er verurteilt wurde. In dem Urteil aus Straßburg heißt es nun, es habe keine plausiblen Gründe gegeben, Yücel einer Straftat zu verdächtigen. Die Richter hielten außerdem fest, dass es schädlich für die Meinungsfreiheit in einer Gesellschaft sei, wenn Menschen verhaftet würden, die kritische Meinungen äußerten.

Besonders seit dem Putschversuch 2016 ist in der Türkei der Druck auf kritische Stimmen massiv, viele Journalisten wurden zu Haftstrafen verurteilt, andere stehen auch heute noch vor Gericht. Erst vergangene Woche wurde eine Journalistin verhaftet, weil sie sich im TV kritisch über den Präsidenten geäußert hatte.

Viele Beschwerden gegen die Türkei

Die Medienlandschaft steht – direkt oder – fast vollständig unter Kontrolle der Regierung. Der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Róbert Ragnar Spanó, sagte, der Fall Yücel sei vergleichbar mit vielen Beschwerden gegen die Türkei, die sein Haus derzeit bearbeite.

dpa/dtj