Donnerstag, 30. Dezember 2021 Politik HAZ

„Ich bin eine Kämpferin für ein modernes Einwanderungsland

Reem Alabali-Radovan (SPD) ist die neue Integrationsbeauftragte
der Bundesregierung – Sie setzt auf schnellere Einbürgerungen

Frau Alabali-Radovan, Sie sind die erste Integrationsbeauftragte, die im Ausland geboren wurde, die eine eigene Fluchtgeschichte hat. Sehen Sie sich daher als Vertreterin der Geflüchteten und Neueinwanderer?

Ich sehe mich als Vermittlerin zwischen ihnen und der Bundesregierung, als Kämpferin für ein modernes Einwanderungsland. Ich könnte gar nicht alle Communitys vertreten, sie sind divers und haben ganz unterschiedlichen Positionen. Mir ist wichtig, mit allen im Austausch zu sein.

Sie und ihre Familie haben viele dieser Hürden erlebt. Ihre Eltern haben in Moskau studiert, kamen 1996 mit zwei russischen Ingenieursabschlüssen nach Deutschland. Die Abschlüsse wurden nicht anerkannt. Hat sich hier bereits genug verändert?

Es hat sich verbessert, aber die Anerkennung dauert oft immer noch zu lange. Das werden wir mit der Bundesregierung anpacken. Meine Eltern hätten jetzt zwar die Möglichkeit, ihre Abschlüsse nachzuholen. Aber das kommt für sie zu spät, sie mussten quasi von vorne anfangen.

Der Bundestag ist diverser als jemals zuvor. Das Kabinett ist nicht ganz so vielfältig. Nur Cem Özdemir und Sie haben einen Migrationshintergrund.

Nicht zu vergessen die Staatssekretärinnen und -sekretäre Cansel Kiziltepe im Bauministerium oder Mahmut Özdemir im Bundesinnenministerium und weitere. Wir gehen gute Schritte voran zu mehr Diversität. Das ist aber noch weiter ausbaufähig. Im öffentlichen Dienst gehen wir das mit dem Partizipationsgesetz an. Gerade in der Verwaltung gibt es großen Nachholbedarf.

Der Koalitionsvertrag verspricht schnellere Einbürgerung – und schnellere Abschiebungen. Welche neuen Möglichkeiten gibt es für Migranten, welcher Druck wird aufgebaut?

Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung ganz klar gesagt: Wir sind ein Einwanderungsland. Endlich bringen wir die längst überfälligen Maßnahmen auf den Weg, damit wir auch Integrationsland werden: die Möglichkeit der mehrfachen Staatsangehörigkeit oder die schnellere Einbürgerung. Jede und jeder soll die Chance haben, ihre Potenziale voll und ganz einzubringen. Wir werden Integrationskurse von Anfang an für alle ermöglichen und die Zugänge zu Ausbildung und Beruf stärken. Und wir ermöglichen endlich, dass Geduldete die Möglichkeit haben, aus einer unsicheren Bleibeperspektive herauszukommen, wenn sie gut integriert sind, studieren oder arbeiten. Natürlich müssen Menschen auch zurückgeführt werden, wenn Gerichte das abschließend entschieden haben. Auch das gehört zu unserem Rechtsstaat.

„Besondere Integrationsleistungen“ sollen bei der Einbürgerung, aber auch beim Bleiberecht für Geduldete honoriert werden – was heißt das?

Das werden wir in den kommenden Monaten klar definieren. Ich stelle mir vor, dass Ausländerbehörden die Möglichkeit bekommen, Fälle individuell zu prüfen. Integrationsleistung kann ganz unterschiedlich sein. Es gibt Menschen, die sich mit der deutschen Sprache schwertun, aber ehrenamtlich sehr engagiert sind und eine wichtige Rolle spielen in der Gemeinschaft vor Ort. Es muss die Möglichkeit geben, genauer hinzuschauen. Dafür müssen die Behörden genug Personal haben, dafür muss auch die Digitalisierung vorangetrieben werden.

Es gibt im Osten einen größeren Anteil an AfD-Wählern und mehr rassistische Übergriffe. Was können Sie da tun?

Ich stehe mit meiner Politik klar gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus – überall. Diese Themen begleiten mich schon mein ganzes Leben. Wir werden nun endlich das Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen. Es geht in vielen Projekten vor Ort um Teilhabe in der Gesellschaft. Ich werde mich dafür einsetzen, dass bei unserer Demokratiearbeit noch mehr die Menschen eingebunden werden, auch die, die davon direkt betroffen sind.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus steht für die Bundesregierung im Vordergrund. Gerät die Gefahr dschihadistischen Terrors aus dem Blick?

Nein. Aber es ist ein sehr wichtiges Zeichen, dass sowohl Bundesinnenministerin Nancy Faeser als auch Bundeskanzler Olaf Scholz klargemacht haben: die größte Gefahr für unser Land kommt von rechts. Vielen, die davon nicht direkt betroffen sind, ist das gar nicht so klar. Aber wir sehen auch an den Corona-Demonstrationen, die in den vergangenen Wochen zugenommen haben, dass Rechtsextremisten die aktuelle Lage ausnutzen. Denen geht es nicht um das Wohl der Menschen, denen geht es um Hass, Hetze und die Spaltung unserer Gesellschaft. Das betrifft uns alle. Wir müssen unsere Demokratie mit aller Kraft verteidigen. Das heißt sicher nicht, dass andere Maßnahmen dabei aus dem Blick geraten. Als Integrationsbeauftragte fördere ich auch Projekte gegen Islamismus. Da sehe ich eine weitere Schnittstelle zur Bundesinnenministerin.

Von Alisha Mendgen
und Jan Sternberg

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