Eskandari-Grünberg: Einst Flüchtling, jetzt Bürgermeisterin in Frankfurt
Nargess Eskandari-Grünberg hat bereits einen bewegten Lebensweg hinter sich: Sie saß im Iran im Gefängnis, wurde später in Psychologie promoviert und will nun als neue Bürgermeisterin von Frankfurt maßgeblich mitgestalten.
Die Beziehung zwischen Nargess Eskandari-Grünberg und der Stadt Frankfurt begann an Weihnachten, genauer gesagt am Heiligabend 1985. Die damals 20-Jährige war als politisch Verfolgte aus dem Iran geflüchtet und am Flughafen gelandet. Mit ihrer kleinen Tochter fährt sie, so berichtet sie es, weiter zum Hauptbahnhof, nimmt ein Hotelzimmer und versucht, etwas zu Essen zu besorgen.
„Das war schwierig, damals war alles geschlossen. Es wurde ein recht trauriger Abend, alle waren im Kreise ihrer Familien, nur wir waren allein“, erinnert sich die Grünen-Politikerin, die seit September Dezernentin für Diversität und Bürgermeisterin der Mainmetropole ist.
Neues Leben in Deutschland
Nichtsdestotrotz war die Ankunft eine große Erleichterung („Als ich aus dem Flugzeug ausgestiegen bin, war es ein Befreiungsgefühl“) und der Anfang eines ganz neuen Lebens. Ein Leben, das sie bis an die Spitze der Stadtpolitik im Frankfurter Römer geführt hat. Dort regiert neuerdings ein Viererbündnis aus Grünen, SPD, FDP und der Volt-Partei. Oberbürgermeister der Stadt ist weiterhin Peter Feldmann von der SPD.
„Ich habe Frankfurt viel zu verdanken“, sagt Eskandari-Grünberg, die bereits seit fast 20 Jahren in verschiedenen Bereichen der Lokalpolitik aktiv ist. Natürlich wolle sie auch etwas zurückgeben. Wie sie ihre Politik gestalten will? Ihr gehe es vor allem um das gesellschaftliche Klima und den Zusammenhalt in der Stadt.
Menschen aus 180 Nationen
„In Frankfurt leben Menschen aus 180 Nationen. Diese Pluralität und Diversität zu gestalten, auf der Grundlage demokratischer Werte, ist nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen.“ Das bekommt sie auch selbst zu spüren. Für ihren unerschrockenen Einsatz wurde sie aus rechten Kreisen auch schon mal persönlich angegriffen.
Respekt zollt ihr dagegen die politische Gegenseite: Wenn es darum gehe, Farbe zu bekennen und Haltung zu zeigen, habe sie das getan – und zwar nicht aus einer „warmen Wohnzimmersituation“ heraus, sagte ihr Vorgänger, Ex-Bürgermeister Uwe Becker (CDU), am Tag ihrer Wahl im Stadtparlament. Eskandari-Grünberg habe „eine persönliche Vita, die auch unsere Stadt ausmacht, das Bunte, das Vielfältige“. Sie sei eingetreten für ein Miteinander, frei von Rassismus, Diskriminierung oder Antisemitismus. „Das verdient unser aller Achtung.“
„Eine starke Stimme für die Menschenwürde“
Eskandari-Grünberg setze sich für Ziele ein, die die CDU teile: Mehr Bildungschancen, bessere Integration, Gewaltschutz für Frauen, sagt der Oppositionsvorsitzende im Rathaus Römer, Nils Kößler. Sie mische sich mutig ein und sei „eine starke Stimme für die Menschenwürde“.
Ihr politisches Engagement hat sicher auch etwas mit der persönlichen Geschichte von Eskandari-Grünberg zu tun. Schon als Schülerin war sie im Iran nach eigenen Angaben auf die Straße gegangen, um für Freiheit und die Rechte von Frauen zu kämpfen. Als Verfolgte des Regimes kommt sie ins berüchtigte Gefängnis Evin, bekannt für Folter und unmenschliche Haftbedingungen.
Tochter ist Schauspielerin
Noch als Teenager bringt sie dort 1983 Tochter Maryam Zaree zur Welt, die heute als Schauspielerin („4 Blocks“, „Tatort“) und Filmemacherin arbeitet. Für ihren Film „Born in Evin“ hatte sich Zaree auf die Spuren ihrer Geschichte begeben, die eindrückliche Dokumentation wurde unter anderem 2020 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet.
Nach eineinhalb Jahren wird Eskandari-Grünberg aus der Haft entlassen. Mit gefälschten Papieren gelingt später die Ausreise aus dem Iran. Mutter und Tochter kommen nach Deutschland. „Für mich war klar, ich will in Freiheit leben, ich will studieren und ich wollte natürlich für Maryam eine bessere Welt.“
Deutsch lernen mit Kassetten
Die beiden wohnen zunächst in einer Flüchtlingsunterkunft. Deutsch bringt sie sich unter anderem mit Hilfe von Kassetten bei. Später studiert sie Psychologie, wird promoviert und betreibt eine eigene Praxis. Sie heiratet den Psychoanalytiker Kurt Grünberg, mit dem sie ein weiteres Kind bekommt. „Ich bin sehr zielstrebig und leistungsorientiert“, sagt Eskandari-Grünberg über sich selbst. Und ja, sie sei auf jeden Fall ein optimistischer Mensch – trotz des Leids und all der negativen Erfahrungen, die sie im Gefängnis gemacht hat. Denn: „Das Gute ist, was bleibt, das Böse ist kurzweilig.“
Bereits von 2008 bis 2016 war sie ehrenamtliche Dezernentin für Integration. Seit September führt sie die Behörde hauptamtlich und hat sie direkt unbenannt in Dezernat für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftliches Zusammenleben, was ihr zeitgemäßer erscheint. Vor ihren neuen Ämtern habe sie enormen Respekt. Es gehe vor allem darum, etwas zu bewegen. „Posten kommen und gehen, wichtig ist, was bleibt.“
dpa/dtj