Özdemir über Einwanderungsgeschichte seiner Eltern: „Und daraus ist dann ein ganzes Leben geworden“

 
 
 Vor 60 Jahren kamen die Eltern des Grünen-Politikers aus der Türkei nach Deutschland. Eine Schneiderschere und ein Mantel aus Schurwolle erinnern ihn an sie.
Der Bundestagsabgeordnete Cem Oezdemir (Grüne). © Foto: imago images/ULMER Pressebildagentur Der Bundestagsabgeordnete Cem Oezdemir (Grüne).

Vor 60 Jahren wurde das Anwerbungsabkommen mit der Türkei unterzeichnet, in dessen Folge viele Türkinnen und Türken nach Deutschland kamen, um hier zu arbeiten. Auch die Eltern des Grünen-Politikers Cem Özdemir waren in den 60er-Jahren nach Deutschland eingewandert, fünf Jahre später kam ihr Sohn zur Welt.

Zum Jubiläum beteiligte sich Cem Özdemir an der SWR2 Aktion „Meine kleinen Schätze - Geschichten von Migration“ und nannte zwei Gegenstände, die ihn an seine Eltern erinnern: Der Wintermantel seines Vaters und die Schneiderschere seiner Mutter.

„Der Mantel meines 2015 verstorbenen Vaters bedeutet mir sehr viel“ , sagte der Bundestagsabgeordnete dem Sender. „Er gehört zu den wenigen Gegenständen, die mich an ihn erinnern und die ich eines Tages an meine Kinder weitergeben kann.“

Den Mantel mit schwarz-weißem Fischgrätenmuster habe der Vater vor 57 Jahren in Bad Urach bekommen. Dort habe dieser seine Mutter kennengelernt und geheiratet. Weil sein Vater nachts aufstehen musste, um früh in einer Spinnerei zu arbeiten, schenkte ihm seine Frau das warme Kleidungsstück. Sein Vater sei die Kälte in Deutschland nicht gewohnt gewesen, erzählt Özdemir im SWR-Betrag.

Nach dem Tod seines Vaters sei ihm der Mantel so wichtig geworden, dass er ihn jahrelang im Schrank hängen gelassen habe - aus Angst ihn zu verlieren. „Wenn der Mantel weg wäre, würde ich meinen Vater fast ein weiteres Mal verlieren, so fühlt sich das an.“

Das zweite wichtige Erinnerungsstück sei die Schneiderschere seiner Mutter. Bis zu ihrem Tod habe diese ihre eigene Änderungsschneiderei im schwäbischen Bad Urach geführt. „Die Schere gehörte zu ihrem Handwerkszeug“, sagte Özdemir dem SWR. „Wenn ich an meine Mutter denke, dann sitzt sie in ihrer Schneiderei, zwischen Stoffen und Kleidern, vor sich die Nähmaschine. Sie lächelt und hat die große Schere in der Hand.“

Es sei sicher nicht der Traum seiner Mutter gewesen, aus der großen Weltstadt Istanbul kommend, im kleinen Bad Urach zu landen. Aber sie habe es zu ihrem Traum gemacht. Mit einem Haus, auf das die Eltern ihr Leben lang gespart hätten und der eigenen Änderungsschneiderei.

„Man hat sich die Wohnung gekauft, ganz schwäbisch fürs Häusle gespart, das Kind ging auf die Schule, dann wollte man noch warten, bis die Schule fertig ist. Ja, und daraus ist dann ein ganzes Leben geworden“, erzählte Özdemir dem SWR.

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Seine Eltern hätten wie Tausende andere Migrantinnen und Migranten damals hart gearbeitet und so zum Wirtschaftswunder beigetragen, sagte Özdemir der „Augsburger Allgemeine“ in einem Interview. „Rückblickend können wir darauf stolz und dankbar sein“, betonte der Grünen-Bundestagsabgeordnete: „Diese Geschichte von Deutschland als Einwanderungsland ist auch ein Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass alle gleiche Chancen auf Bildung und ein gutes Leben bekommen, egal wie der Nachname klingt.“

Da liege aber „noch ein weiter Weg vor uns, was die schrecklichen Anschläge von Hanau uns traurig vor Augen geführt haben“, fügte Özdemir hinzu: „Es tut gut, die große Mehrheit der Menschen in unserem Land dabei hinter sich zu wissen.“ Deutschland sei heute bunt und vielfältig - „auch dank unseres großartigen Grundgesetzes als gemeinsamer Basis unseres Zusammenlebens“. (Tsp, mit KNA)

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