Warum deutsch-türkische Abgeordnete im Bundestag keine „Alibi-Türken“ sind

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Grünen-Politiker Cem Özdemir während einer Rede im Bundestag. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Der neue Bundestag ist gewählt. Mehr als 100 Kandidat:innen mit türkischer Zuwanderungsgeschichte hatten sich für den Einzug in den 20. Deutschen Bundestag beworben. Etwa ein Fünftel davon schaffte es. Was treibt sie an?

Cem Özdemir, Serap Güler oder Aydan Özoğuz: Diese Namen sind bekannt. Sie sind schon lange im politischen Deutschland angekommen. Ein Blick auf ihre Karrieren offenbart: Die meisten von ihnen konnten vor allem jenseits integrationspolitischer Themen punkten.

Dass Türkei-stämmige Politiker im Bundestag dennoch weiterhin eine Nachricht wert sind, zeigt, dass dies nicht selbstverständlich ist, zumindest für Journalist:innen. Oft flaut die Aufmerksamkeit nach der Wahl schnell ab. Viele Errungenschaften dieser Politiker:innen mit türkischen Wurzeln sind für die Mehrheitsgesellschaft nicht sichtbar.

„Quoten-Türken“ mit Kontakten?

Als „Quoten-Türken“ verschrien, ist die Realität eine andere. Viele Türkei-stämmige Politiker:innen kümmern sich um wichtige Angelegenheiten, die die Allgemeinheit betreffen. Viele von ihnen pflegen dennoch enge Kontakte zur deutsch-türkischen Community.

Wir haben einige näher unter die Lupe genommen und erklären, für welche Themen sie in ihrer parlamentarischen Arbeit stehen wollen.

SPD stellt die meisten Türkei-stämmigen Abgeordneten

Die SPD stellt die meisten Bundestagsabgeordneten mit türkischer Zuwanderungsgeschichte. Sie sind zu acht: Hakan Demir, Metin Hakverdi, Macit Karaahmetoğlu, Cansel Kızıltepe, Mahmut Özdemir, Aydan Özoğuz, Derya Türk-Nachbaur und Gülistan Yüksel.

Einige dieser Namen sind bereits bekannt. Zum Beispiel der des Rechtsanwalts Metin Hakverdi, der seit 2013 im Bundestag sitzt. Er konzentriert sich weniger auf Türke-spezifische oder türkische Themen. Deshalb kennen ihn auch nur die wenigsten in der Community.

Internationale Beziehungen und Transatlantismus

In seiner langjährigen Arbeit als Politiker war er vielmehr im Bereich internationale Beziehungen, beispielsweise innerhalb der EU und mit Balkan-Ländern unterwegs. Auch in den transatlantischen Beziehungen hat Hakverdi eine nicht unwichtige Rolle eingenommen.

Ein weiterer Sozialdemokrat, der erneut in den Bundestag einzieht, ist Mahmut Özdemir. Özdemir, der sich schon im Alter von 14 Jahren das ambitionierte Ziel gesetzt hat, Außenminister zu werden, hat nie mit seiner Zuwanderungsgeschichte um Stimmen gebuhlt. Zwar hat er einen sehr guten Draht in die türkische Community in Duisburg, versuchte jedoch nie den „Alibi-Migranten“ zu spielen und trat dafür als Mitglied des Innenausschusses oder als stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Recht- und Verbraucherschutz für allgemeine Themen ein.

Er ist Mitglied der parlamentarischen Gruppe Binnenschifffahrt. Der Duisburger Deutsch-Türke will bewusst keine Nischenpolitik betreiben. Als seine politischen Vorbilder nennt er den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den früheren SPD-Parteichef Franz Müntefering.

Dağdelen betreibt klassisch Linke-Politik

Bei den Linken sind neben der prominenten Politikerin Sevim Dağdelen, die oft mit ihren Türkei-kritischen Positionen polarisiert und dafür kritisiert wird, auch Gökay Akbulut und Ateş Gürpınar in den 20. Deutschen Bundestag eingezogen. Besonders Dağdelen dürften den allermeisten ein Begriff sein.

Zwar wird ihr vorgeworfen, die Terrororganisation PKK zu verteidigen, doch ihre Karriere und Standpunkte sind klassisch für linke Politik. Sie stellt mit ihrer Fraktion zum Beispiel Anträge zum Bundeswehrabzug aus Mali oder spezifische Anfragen zu Rüstungsgenehmigungen.

Cem Özdemir will Minister werden

Ein weiterer prominenter Politiker ist Cem Özdemir, dem diesmal sogar eine Ministerrolle zukommen könnte. Neben ihm sind von den Grünen Ekin Deligöz, Filiz Polat und Melis Sekmen eingezogen. Damit zählen die Grünen insgesamt vier deutsch-türkische Bundestagsabgeordnete.

Cem Özdemir, der zu den deutsch-türkischen Politikern der ersten Stunde im Bundestag zählt, hört man inhaltlich nicht mehr an, dass er einmal mit integrationspolitischen Themen punktete. Regelmäßig sitzt er in Talkshows und Fragerunden, um über Koalitionsverhandlungen, Klimaschutz und Verkehrspolitik zu diskutieren