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Die Todesliste der Türkei und was Sedat Peker damit zu tun hat
Türkische Dissidenten im Visier: Kann die Bundesrepublik Cevheri Güven, Erk Acarer, Can Dündar und Co. schützen? Quelle: ShuttersNach dem Angriff auf den türkischen Exil-Journalisten Erk Acarer Anfang Juli wurde eine „Todesliste“ mit den Namen türkischer Personen in Deutschland publik. Neben dem Journalisten tauchen darin Namen wie Cevheri Güven und Can Dündar auf. Was das mit Ankara zu tun hat.
Als Can Dündar Ende 2015 in der Türkei verhaftet wurde, gab es internationale Reaktionen darauf. Der jahrelange Druck auf die Pressefreiheit in der Türkei wurde endlich stärker wahrgenommen. Denn Dündar war schon immer international gut vernetzt.
Als er im Mai 2016 in Ankara einem Anschlag nur knapp entging, verließ der Journalist mit einem Linienflugzeug das Land gen Deutschland. Angekommen in der Bundesrepublik, schlüpfte Dündar in die Rolle des Chefredakteurs in einem eigens für ihn gegründeten Medium.
Dündar provozierte Ankara mit „özgürüz“
Mithilfe des gemeinnützigen Recherchenetzwerks Correctiv wurde das Medium „özgürüz“ ins Leben gerufen. Obschon die Plattform einen vielversprechenden Start hinlegte, ebbten Reichweite und Relevanz des Projekts schnell wieder ab. Dennoch ist Dündar in Deutschland das Gesicht von „özgürüz“ – und steht damit auch federführend für die andauernde Türkei-Kritik des Mediums.
Seine Reichweite und der Effekt seiner Kampagnen werden auch in Ankara wahrgenommen. Es scheint, als hätte die türkische Regierung eine solch erfolgreiche Kampagne gegen die Türkei – ausgehend von einem einzigen Exil-Journalisten – nicht kommen sehen.
Dündar und 54 weitere Personen auf türkischer Todesliste
Dündar hatte bereits kurz nach seiner Ankunft in Deutschland zahlreiche Preise erhalten. Die Verleihungen nutzte er als Bühne, um auf die Repressalien der türkischen Regierung aufmerksam zu machen. Das konnte der Türkei nicht gefallen.
Heute findet sich Dündars Name, gemeinsam mit 54 weiteren, auf einer sogenannten „Todesliste“. Genau genommen stehen darin die Namen von 55 türkischen Exilant:innen, Journalist:innen, Politiker:innen, prominente Kulturschaffenden sowie Homosexuellen. Sie eint ihre „Kritik an der türkischen Regierung“, wie es in dem Dokument, das DTJ-Online vorliegt, heißt.
Auch Rapper Ezhel auf Todesliste
Der Verfasser der Liste ist unbekannt. Doch laut einigen Betroffenen, wie etwa dem Journalist Cevheri Güven, kamen diesmal die deutschen Sicherheitsbehörden proaktiv auf die Betroffenen zu. „Ich hatte zuvor telefonisch Kontakt zu den Sicherheitsbehörden aufgenommen, doch diesmal kamen sie persönlich und unterrichteten uns von einer akuten Gefährdungslage“, berichtet Güven.
Zwar tauchen in der Liste auch Personen auf, die als lautstarke Regime-Gegner bekannt sind. Doch eine ernsthafte Bedrohung für die türkische Regierung sind sie nicht. Etwa der türkische Modedesigner und bekennende Homosexuelle Barbaros Şansal oder der Rapper Ezhel.
Stimmungsmache gegen türkische Regierung?
Beide bewiesen in der Vergangenheit: Sie können Stimmung gegen die türkische Regierung machen. Dennoch werden beide wohl kaum ihren Sturz verursachen. Nicht umsonst sagt Ezhel in seinem Song „Allahından bul“ (auf Deutsch: „Strafen soll dich Allah“), dass er kein Terrorist sein könne, solange seine „Waffe die Musik“ sei.
Mit seinen satirischen und politischen Messages kann Ezhel vermutlich die Generation Z erreichen – einen Regimewandel indes eher nicht. Gleiches gilt für Şansal. Trotz aller Kritik wird es ihm mit seiner Unterstützung der türkischen LGBTQ+ Community kaum gelingen, Recep Tayyip Erdoğan vom Thron zu stoßen. Journalisten wie Cevheri Güven oder Erk Acarer sind da ein anderes Kaliber.
Angriff auf Exil-Journalisten wegen Todesliste?
Letzterer wurde am 7. Juli vor seinem Haus in Berlin von zwei türkischen Personen angegriffen und geschlagen (DTJ-Online berichtete). Dabei erlitt der Journalist, der für das Exilmedium Artı TV arbeitet, schwere Körperverletzungen. „Sie haben gesagt, ich solle aufhören zu schreiben“, sagte Acarer über die Täter, die er „kenne“.
Die deutschen Behörden legten bis heute keinerlei Ermittlungsergebnisse in der Angelegenheit vor. Doch mit der aktuellen und äußerst konkreten Gefährdungslage verschärft sich die Situation der Schutzsuchenden noch einmal.
Welche Rolle spielt Sedat Peker?
Die Frage, warum die Eskalationsspirale gerade jetzt wieder nach oben führt, beschäftigt die Öffentlichkeit. Expert:innen hegen eine erste Vermutung: In der Liste der 55 Personen spielen Güven und Acarer, gemeinsam mit Ahmet Nesin und Celal Başlangıç, die größte Rolle in der Berichterstattung zu den Enthüllungen rund um „Sedat Peker„.
Der Mafia-Pate hielt die türkische Öffentlichkeit mit seinen Enthüllungen über Korruption und Kriminalität hochrangiger türkischer Regierungsmitglieder und ihrer Vetter in diesem Frühsommer auf Trab. Nur wenige Medienschaffende, übrigens auch die wenigsten von ihnen, die im Exil sind, trauen sich aus Angst vor der Reaktion des türkischen Regimes an das Thema heran.
Acarer und Güven belegen Peker-Enthüllungen zum Teil
Peker ist der Stachel im Fleisch der türkischen Regierung. Zu viele Interna aus seinen Videos und Tweets haben sich bereits belegen lassen. Die türkische Öffentlichkeit hält Peker längst für einen glaubwürdigen Whistleblower. In manchen Punkten, die der flüchtige Mafiaboss offenlässt, spielen Investigativjournalisten wie Güven und Acarer eine Rolle.
Mit seinen Kommentaren zu Pekers Enthüllungen erreicht Güven mittlerweile selbst hunderttausende Menschen. Seine Beteiligung geht sogar soweit, das Peker persönlich Stellung zu Güvens Kommentar-Videos bezieht.
„Warte nur!“
Die Strategie des türkischen Mafia-Paten ist klar. Er geht einen gefährlichen Weg. Die Sicherheit für ihn und seine Familie ist nicht mehr gewährleistet, obwohl Peker seine Schritte minutiös plant. Den einen Schritt zu viel ist er bislang nicht gegangen, obschon er es bei jeder Gelegenheit befürchtet. Es scheint, bislang kenne er immer einen Ausweg.
Im vermeintlich sicheren Exil preschen Güven und Acarer vor. Doch auch Deutschland scheint für sie kein sicherer Hafen zu sein. Denn trotz Personenschützern vor seinem Haus gab es bei Acarer jüngst erneut einen Vorfall (DTJ-Online berichtete).