Akte Zschäpe geschlossen – viele Fragen offen

 
 
 
Die Bildkombo zeigt Beate Zschäpe inmitten der beiden Rechtsterroristen Uwe Mundlos (l.) und Uwe Böhnhardt. Foto: -/Bundeskriminalamt/dpa

Es war ein historisches Verfahren: Nach fünf Jahren NSU-Prozess wurde Beate Zschäpe wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Der BGH hat dies nun bestätigt. Ein finaler Schlussstrich ist das wohl nicht.

Es sind 31 Seiten, die den Angehörigen der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) wohl viel Last, Angst und Sorge von den Schultern nehmen. 31 Seiten, auf denen der Bundesgerichtshof feststellt: Die Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe ist zu Recht als Mittäterin an allen Verbrechen des NSU – und damit als Mörderin – zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

Auch wenn das Verfahren gegen einen von vier Mitangeklagten noch nicht abgeschlossen ist, so endet mit der BGH-Entscheidung nun ein zentrales Kapitel der Aufarbeitung der rassistisch motivierten Mordserie, die die Republik erschüttert hatte. Doch schon erste Reaktionen zeigen: Es ist nur ein erster juristischer Schlussstrich.

„Kein Schlussstrich“

Es sei Zeit, dass das Verfahren gegen Zschäpe endlich zu Ende gehe, lässt Gamze Kubasik, Tochter des 2006 in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, über ihren Anwalt mitteilen. Sie betont allerdings: „Diese Entscheidungen sind aber, wie schon das Urteil in München, kein Schlussstrich unter das Thema NSU. Sie dürfen es nicht sein!“

Die Verbrechen, um die es geht und für die Zschäpe verurteilt wurde, liegen viele Jahre zurück: Von 1998 bis 2011 lebte sie gemeinsam mit ihren Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund. Zwischen September 2000 und April 2007 ermordeten Mundlos und Böhnhardt neun türkisch– und griechischstämmige Kleinunternehmer und eine Polizistin – ohne dass ihnen die Ermittler je auf die Spur gekommen wären.

Mittäterin oder Mitwisserin?

Sie verübten zwei Bombenanschläge, überfielen Banken, Postfilialen und Supermärkte. Erst im November 2011 flog das Trio auf: Nach einem missglückten Überfall erschossen sich Mundlos und Böhnhardt, um der unmittelbar bevorstehenden Festnahme durch die Polizei zu entgehen. Zschäpe zündete die letzte gemeinsame Wohnung an, verschickte ein über die Jahre hinweg zusammengestelltes Bekennervideo und stellte sich.

In dem oft als historisch bezeichneten Prozess in München war dies über die gut fünf Jahre hinweg die entscheidendste Frage: Ist Beate Zschäpe eine Mittäterin im Sinne des Strafgesetzbuchs? Kann sie als Mörderin bestraft werden, auch wenn es keinen Beweis gibt, dass sie jemals an einem Tatort war, geschweige denn selbst geschossen hat?

Schuldig des Mordes in zehn Fällen

Es war gleichsam ein riesiges Mosaik, das das Oberlandesgericht (OLG) zusammensetzen musste. Mehr als fünf Jahre, von Mai 2013 bis Juli 2018, mehr als 430 Verhandlungstage dauerte der NSU-Prozess. Bis zum Schluss war unsicher, wie das Gericht entscheiden würde. Die Spannung war deshalb fast mit Händen zu greifen, als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl am 11. Juli 2018 das Urteil gegen Zschäpe verkündete: schuldig des Mordes in zehn Fallen – und deshalb lebenslange Haft.

Im schriftlichen Urteil hieß es: „Die Angeklagte Zschäpe hat jeweils gemeinschaftlich und vorsätzlich handelnd in zehn Fällen einen Menschen heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet.“ In allen Fällen sei eine Mittäterschaft Zschäpes gegeben, urteilte das Gericht.

Führende Rolle Zschäpes

Die Verteidiger Zschäpes hatten eine Mittäterschaft dagegen strikt zurückgewiesen. Dabei verwiesen sie auch auf frühere Entscheidungen des für die NSU-Revision zuständigen BGH-Senats – der hatte schon wiederholt Verurteilungen wegen Mittäterschaft kassiert. Die spannende Frage war nun: Wie würde der Senat in Sachen NSU entscheiden? Muss der Prozess am Ende zum Teil neu aufgerollt werden?

Die Antwort ist: Nein. Der BGH hat die Argumentation der Verteidiger nun zurückgewiesen und das Münchner Urteil – von zwei geringfügigen Korrekturen abgesehen – bestätigt. „Auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen führt eine Gesamtbetrachtung zu dem Ergebnis, dass die Angeklagte mittäterschaftlich handelte“, heißt es in der BGH-Entscheidung.

Zschäpe habe – so der BGH – in ausreichendem Maße Tatherrschaft und auch Tatinteresse gehabt. Dabei stellt der Senat besonders auf Zschäpes Rolle in der gesamten Verbrechensserie ab.

Zschäpe übte „wesentliche Funktion aus“

„Der Zweck der gesamten Deliktserie stand und fiel mit den von der Angeklagten zugesagten Handlungen“ – gemeint sind die Verschleierung der Abwesenheit der beiden Männer aus der gemeinsamen Wohnung während der jeweiligen Tatzeitpunkte, die Schaffung eines sicheren Rückzugsorts, und am Ende, nach dem Tod der beiden, der Versand des Bekennervideos.

„Sie übte daher eine wesentliche Funktion aus, von der das Gelingen des Gesamtvorhabens abhing“, so der BGH. „Da die Angeklagte somit gewichtige objektive Tatbeiträge leistete und ein starkes Tatinteresse hatte, war sie Mittäterin im Sinne des §25 Abs. 2 StGB.“

Kapitel Zschäpe abgeschlossen?

Das Kapitel Zschäpe ist damit abgeschlossen, auch wenn einer ihrer Anwälte über weitere Rechtsmittel nachdenkt – möglich wäre noch eine Verfassungsbeschwerde, wohl mit sehr fraglichen Erfolgsaussichten. Rechtskräftig sind auch die Urteile gegen drei Mitangeklagte – nur im Fall André E., der aus Sicht der Ankläger mit einer viel zu milden Strafe davon kam, stehen eine Verhandlung und die Entscheidung aus.

Doch ist die die juristische Aufarbeitung des NSU-Komplexes dann wirklich endgültig beendet? Noch immer laufen weitere Ermittlungen, unter anderem gegen neun namentlich bekannte mögliche Helfer.

Opfer sind unzufrieden

Hinzu kommt: Der juristische ist nur ein – wenn auch maßgeblicher – Teil, also die Klärung der individuellen Schuld oder Unschuld der Angeklagten. Das andere ist die aus Sicht vieler Nebenkläger unzureichende Aufarbeitung des Versagens von Ermittlern und Behörden.

Schon nach dem Urteilsspruch in München war dies eine offene Wunde vor allem bei den Hinterbliebenen der Opfer geblieben: dass bis heute viele Fragen ungeklärt sind. Warum musste ausgerechnet mein Vater, mein Ehemann, unser Sohn sterben? Gab es weitere Helfer? Und warum sind die Ermittler den Tätern so lange nicht auf die Spur gekommen?

Gamze Kubaşık betont nach der BGH-Entscheidung: „Meine Familie und ich werden erst dann wieder zur Ruhe kommen, wenn alle Helfer und Täter des NSU ermittelt sind.“ Und sie fordert, Zschäpe solle nun alle weiteren Namen nennen. „Sie hat nun nichts mehr zu verlieren.“

dpa/dtj