Dortmund ist weiter ein Hotspot rechter Gewalt“
Artikel von Matthias Korfmann/ WAZ
Demonstration von Neonazis in Essen.
Die Zunahme rechtsextremistischer Gewalttaten sei in Wirklichkeit in NRW noch viel besorgniserregender als es die Polizeiliche Kriminalstatistik abbilde, warnen die beiden zentralen Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt in NRW, Opferberatung Rheinland und Back up.
Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten in einem Jahr verdoppelt
„Wir haben für das Jahr 2024 insgesamt 526 rechte, rassistische, antisemitische oder anders menschenfeindlich motivierte Gewalttaten in NRW dokumentiert. Das ist ein Anstieg um 48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und markiert einen neuen Höchststand, seitdem die Beratungsstellen diese Fälle erfassen“, sagte Sabrina Honoso von der Opferberatung Rheinland am Dienstag im Landtag. Mindestens 728 Menschen seien bedroht, verletzt oder angegriffen worden, darunter mindestens 54 Kinder und Jugendliche. Acht Todesopfer seien gezählt worden, alle im Rheinland.
Täglich würden hierzulande mindestens zwei Menschen Opfer rechter Gewalt. „Dieser Anstieg ist dramatisch. Er steht für eine wachsende Enthemmung, für eine Normalisierung rechter Gewalt und für eine zunehmende Brutalisierung“, so Honoso weiter.
Die offizielle Statistik des Verfassungsschutzes bildet nur einen Teil der Fälle ab
Das jüngste Lagebild Rechtsextremismus, das NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im März vorstellte, enthält dagegen „nur“ 154 Gewaltdelikte durch Rechtsextreme und einen Anstieg um 33 Prozent im Vergleich zu 2023. Die beiden Opferberatungsstellen sprechen sogar von einer „systematischen Verschleierung des tatsächlichen Ausmaßes rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ durch die Behörden.
Lesen Sie hier zum Lagebild Rechtsextremismus: Viel mehr Straftaten in NRW
Fabian Reeker von der Opferberatung Rheinland führt diese Diskrepanz auf eine „doppelte Erfassungslücke“ zurück. Erstens scheuten viele Opfer den Weg zur Polizei. Ihre Fälle würden also dort nie aktenkundig. Zweitens würden viele Taten durch Polizeibeamte fälschlicherweise nicht der rechten Gewalt zugeordnet. Die Opferberatungsstellen in NRW
dokumentieren indes auch solche Fälle. Besonders auffällig sei der Anstieg bei diesen Straftaten in Aachen, Essen, Solingen und Mönchengladbach. In Dortmund lägen die Fallzahlen weiter auf hohem Niveau.
Weniger Rechtsextremisten in Dortmund, aber immer noch viele Übergriffe
„Dortmund ist immer noch ein Hotspot rechter Gewalt. Es gibt zahlreiche Übergriffe, eine starke Neonazi-Szene, eine starke extreme Rechte, auch viele junge Akteure“, sagte Thomas Billstein von Back up. Allerdings seien einige Rechtsextremisten aus Dortmund in andere Orte in Deutschland abgewandert. Back up zählte im vergangenen Jahr in Dortmund insgesamt 43 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten. Zum Vergleich: In Köln sollen es 75 gewesen sein, in Düsseldorf 37, in Essen 26 und in Bochum zwölf.
Die Opferberatung in NRW
Die Opferberatung Rheinland in Düsseldorf und Back up in Dortmund sind seit 13 Jahren die beiden spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in NRW. In dieser Zeit begleitete sie rund 1400 Gewaltopfer. Seit 2017 veröffentlichen die beiden Büros gemeinsame Jahresstatistiken. Finanziert werden sie mit Geld des Bundes und des Landes NRW.
Betroffene finden hier, wie es heißt, „parteiliche Beratung und Unterstützung bei der emotionalen Verarbeitung eines Angriffs“. Die Hilfe sei vertraulich, kostenlos und orientierten sich an den Wünschen der Betroffenen, auf Wunsch auch anonym.
Die Opferberatung Rheinland ist unter 0178 8113900, Back up unter der Rufnummer 0172 104 54 32 erreichbar. Infos im Internet unter www.opferberatung-rheinland.de beziehungsweise http://backup-nrw.org
Die Opferberatung Rheinland und Back up betonen, dass die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ das bestätige, was die Betroffenen und die Opferberater seit Langem wüssten. „Die AfD ist mitverantwortlich dafür, dass Rassismus, Antisemitismus, NS-Propaganda, aber auch der der Anstieg rechter Gewalttaten verharmlost und normalisiert wird“, meint Fabian Reeker.
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Angesichts der Zunahme rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten fordern die Opferberatungen eine verlässlichere und dauerhafte Finanzierung ihrer Arbeit durch Bund und Land. Polizistinnen und Polizisten müssten besser darin geschult werden, rechte Straftaten auch zu erkennen. Schließlich dringen die beiden Büros auf eine unabhängige Ermittlungsstelle, an die sich Betroffene unabhängig von der Polizei wenden könnten