Migration: Wohnungsnot verschärft Integrationsprobleme
Artikel von Von Roland Preuß, Berlin / sz sz.de
In Flüchtlingsunterkünften wie hier in Essen kommen Geflüchtete nur anfangs unter. Später suchen sie sich selbst Wohnungen – wie sich nun zeigt, tun sie das bevorzugt in wirtschaftlich schwachen Regionen. © Foto: Hans Blossey/imago
Eine neue Studie zeigt: Geflüchtete ziehen nicht dorthin, wo es viel Arbeit gibt, sondern vor allem in Städte mit hoher Arbeitslosigkeit – weil sie sich dort eine Wohnung leisten können. Etwa ins Ruhrgebiet, oder nach Ostdeutschland.
Wohnungsnot verschärft Integrationsprobleme
In der Theorie klingt alles so stimmig: Lässt man Geflüchteten die Wahl, wo sie in Deutschland leben wollen, so ziehen sie bevorzugt dorthin, wo sie eine gute Arbeit finden. In Boomregionen, wo Leute gesucht werden, oft auch solche für einfachere Tätigkeiten, wenn die Migranten (noch) keinen Ausbildungsabschluss mitbringen. Die Aussicht auf Arbeit gilt in der Migrationsforschung als starkes Motiv für Wanderungen. Eine neue Studie zeigt nun aber: In Deutschland ziehen Flüchtlinge oft in wirtschaftlich schwache Städte mit hoher Arbeitslosigkeit, weil sie nur dort günstige Wohnungen finden. Die Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) soll an diesem Montag veröffentlicht werden. Sie lag der Süddeutschen Zeitung vorab vor.
Der Wohnungsmangel im Land ist demnach ein gravierendes Problem für die Integration der Menschen. „Angesichts der Zustände auf dem Mietmarkt ist es für einkommensschwache Flüchtlinge oft schlicht nicht möglich, eine Wohnung in prosperierenden Regionen zu finden“, sagt Jonas Wiedner, einer der Autoren der Studie. Dies führe dazu, dass sie in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit zögen. „Das wiederum kann die Integration in den Arbeitsmarkt erschweren, wie wir aus anderen Studien wissen“, sagt Wiedner. Eine Arbeitsstelle aber gilt als zentral für die Integration der Menschen in die Gesellschaft. Für ihre Studie hatten die Forschenden die Umzüge von mehr als 2400 Geflüchteten zwischen 2015 und 2019 untersucht, also nach dem starken Zuzug von Flüchtlingen vor allem aus Syrien.
In dem Zeitraum verzeichneten frühere Industriestädte wie Duisburg (plus 5,6 Prozentpunkte) oder Salzgitter (plus 7,2) mit vielen leer stehenden Wohnungen einen überproportionalen Anstieg an Flüchtlingen. Während bundesweit der Anteil anerkannter Geflüchteter um 2,9 Prozentpunkte stieg, waren es laut Studie in vielen Städten des Ruhrgebiets deutlich mehr als 5 Prozentpunkte. In vielen prosperierenden Regionen Bayerns, in denen Arbeitskräfte dringend gesucht werden, stieg der Bevölkerungsanteil von Flüchtlingen dagegen kaum. Im Landkreis Eichstätt zum Beispiel nur um 0,1 Prozentpunkte. In München und Umgebung wuchs der Anteil der Geflüchteten demnach ebenfalls nur vergleichsweise wenig an.
Es trifft gerade die Kommunen, die ohnehin viel zu stemmen haben
Anders ist die Lage in Ostdeutschland, dort zogen Geflüchtete in die Städte. In Cottbus in Brandenburg zum Beispiel stieg der Flüchtlingsanteil von 0,7 auf 7,2 Prozent, ähnliche Zuwächse gab es auch in anderen größeren Städten Ostdeutschlands. Im gesamten Osten verzeichneten die Forscher nur einen Anstieg von 0,9 auf 2,9 Prozent. In der Gesamtschau zeigt sich: Je höher die Arbeitslosigkeit in einer Region ist, desto stärker steigt der Flüchtlingsanteil an der Bevölkerung. Damit müssten gerade Kommunen, die ohnehin größere soziale Herausforderungen zu bewältigen haben, zusätzlich die Integration der Flüchtlinge stemmen. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen deutschlandweit Hunderttausende Wohnungen, jährlich müssten etwa 373 000 neu entstehen, um den Bedarf zu decken, vor allem in Großstädten. Tatsächlich fertiggestellt wurden in den Jahren 2021 bis 2023 jedoch jeweils nur rund 294 000 Wohnungen.
Eigentlich soll die Zuweisung von Geflüchteten an alle Bundesländer und die sogenannte Wohnsitzauflage Geflüchtete gleichmäßig über das Land verteilen. Die Wohnsitzauflage verpflichtet anerkannte Flüchtlinge grundsätzlich, drei Jahre in einem zugewiesenen Ort oder einem zugewiesenen Bundesland zu wohnen. Die Regelung war 2016 durchgesetzt worden, um einer Ballung von Flüchtlingen entgegenzuwirken. Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl kritisieren dies als schädlich für die Integration, weil die Regel keine Rücksicht nehme auf Interessen, Qualifikationen oder soziale Bindungen der Menschen. Nun zeigt sich: Wenn Menschen nach dieser Zeit umziehen, so wandern sie ab in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit. Dies bedeute allerdings nicht automatisch, dass die Wohnsitzauflage die Situation verbessere, heißt es in der Studie.
Laut der Studie könnte der Bau günstiger Wohnungen helfen, gezielt in den Regionen, in denen Arbeitskräfte fehlen. Zudem schlägt Studien-Co-Autor Wiedner vor, dass Kommunen künftig anmelden, inwiefern sie zusätzliche Geflüchtete aufnehmen können und welches Profil gewünscht ist, etwa, welche Berufe in der Region besonders gefragt sind.