Eine Million Syrer in Deutschland – Die schrille Debatte verhindert einen echten Plan
Artikel von Jan Klauth
Die einen prognostizieren den Zusammenbruch des Arbeitsmarktes, sollten syrische Flüchtlinge vermehrt zurückkehren – die anderen wollen sie mit 1000-Euro-Prämien schnell zum Rückflug bewegen. Bei den entscheidenden Problemen kommen wir so aber kein Stück weiter.
Zuweilen fragt man sich, wer Friedrich Merz eigentlich berät. „Das eine Drittel, […] das in Deutschland arbeitet und integriert ist, kann selbstverständlich hierbleiben“, so der CDU-Chef im „Bericht aus Berlin“ mit Blick auf die hierzulande lebenden Syrer. „Aber zwei Drittel arbeiten nicht, das sind ganz überwiegend junge Männer und von denen können viele zurück.“
Diese Aussage ist bestenfalls halb richtig. Erstens liegt die Beschäftigungsquote syrischer Staatsangehöriger aktuell bei 41,7 Prozent. Zweitens ist die Arbeitslosenquote der Frauen aus Syrien um ein Vielfaches höher als die der Männer.
Nicht nur bei Merz läuft in der Syrien-Debatte gerade einiges durcheinander. Da ist einerseits die Unklarheit in Syrien selbst. Während vollkommen offen ist, wie sich das Land unter den Islamisten-Milizen, die Assad gestürzt haben, entwickelt, fliegt die Türkei weiterhin Angriffe auf die kurdischen Gebiete. Die CDU-Pläne, Flüchtlinge möglichst schnell mit einer 1000-Euro-Prämie zur Rückkehr zu drängen, kommen daher zu früh und blenden die volatile Lage vor Ort aus.
Dennoch muss langfristig über Lösungen nachgedacht und gleichzeitig die Lage auf dem Arbeitsmarkt ohne Scheuklappen analysiert werden. Lange hat man genau das vermieden. Zwar gibt es viele Erfolgsgeschichten von Syrern in Deutschland. Zu Recht wird darauf verwiesen, dass Tausende aus systemrelevanten Berufen nicht mehr wegzudenken sind.
Die Kehrseite der Medaille: Knapp die Hälfte der rund einer Million Syrer in Deutschland bezieht Bürgergeld, der Großteil ununterbrochen über viele Jahre.
Arbeitsminister Hubertus Heil und Kanzler Olaf Scholz fuhren bisher eine Verschleierungstaktik. Viel zu spät und erst nachdem hunderttausende ukrainische Staatsangehörige ins Bürgergeld gekommen waren, konnte man das Problem nicht mehr wegignorieren und hat im Herbst 2023 den „Jobturbo“ aufgesetzt.
Zwar sorgte er dafür, dass mehr Flüchtlinge in Arbeit kamen, schrammte aber weit an der eigenen Zielsetzung vorbei. Im Kanzleramt sprach man dennoch vom Erfolg.
Zieht man jedoch die geringfügige Beschäftigung ab, liegt die Beschäftigungsquote der syrischen Staatsangehörigen nur bei 34,4 Prozent (Stand September). Viele arbeiten zwar, sind aber auf ergänzende Transfers angewiesen. Unter dem Strich lebt der überwiegende Teil der Syrer nach wie vor von staatlichen Leistungen: Auch, weil der Zuzug in den vergangenen Jahren anhielt und viele erst seit Kurzem im Land sind. Gleiches gilt für Menschen aus Afghanistan und dem Irak.
In der Debatte fällt das meistens unter den Tisch, öfter wird eine andere Zahl zitiert: Demnach liegt die Beschäftigungsquote jener Flüchtlinge, die zwischen 2015 und 2022 kamen, bei 60 Prozent, unter den Männern gar bei 73 Prozent. Ein klarer Erfolgsbeleg – eigentlich.
Denn: Die Zahlen beruhen nur auf einer Stichprobenumfrage und wurden vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hochgerechnet (siehe Grafik). Im Vergleich zur Statistik der Bundesagentur für Arbeit klafft eine Lücke. Als Gradmesser, wie gut die Flüchtlingsintegration geklappt hat, taugen die Angaben daher nur bedingt.
Genau diese Rechnung wird aber oft von jenen angeführt, die nun den Zusammenbruch des deutschen Arbeitsmarktes herbeireden, sollten Flüchtlinge vermehrt in ihre Heimat zurückkehren. „Es würden ganze Bereiche im Gesundheitssektor wegfallen“, warnt etwa Innenministerin Nancy Faeser.
Auch das ist maßlos übertrieben. Ja, tausende Syrer sind eine wichtige Stütze des Gesundheitssystems geworden. Würden 100 Prozent dieser Gruppe zurückkehren – und diese Wahrscheinlichkeit geht gegen null – wäre das ein empfindlicher Schlag für die Branche. Existenzbedrohend wäre es aber keineswegs, wie auch die Forscher des IAB selbst klarstellen.