Er will Ministerpräsident werden: Cem Özdemirs Ankündigung im Wortlaut
Der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir will nach der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg Ministerpräsident werden. So begründet er seine Kandidatur.
„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
mein Name ist Cem Özdemir. Ich bin in Bad Urach, am Fuße der Schwäbischen Alb, geboren und aufgewachsen. Unser Land hat meine Werte, meine Überzeugungen und meine Sicht aufs Leben geprägt. Es hat mir Chancen eröffnet, mich gefordert und geerdet. In einer Zeit, in der sich vieles verändert, tut es gut zu wissen: Hier sind meine Wurzeln, hier bin ich daheim. Das empfinde ich als großes Glück.
Meine Eltern lernten sich in den 1960er Jahren in Urach kennen, nachdem sie als Gastarbeiter aus der Türkei ins Schwäbische gekommen waren. Es wurde ihre Heimat, die sie nie wieder verlassen haben. Mein Vater und meine Mutter arbeiteten zunächst in der Fabrik, später wagte meine Mutter mit ihrer Änderungsschneiderei den Schritt in die Selbständigkeit.
In der Schule tat ich mich anfangs schwer. Doch wie heißt es: Es braucht ein ganzes Dorf – oder in diesem Fall eine ganze Kleinstadt –, um ein Kind zu erziehen. Nachbarn, Freunde und ihre Familien haben mich unter ihre Fittiche genommen und unterstützt: Die einen halfen mir bei den Hausaufgaben, die anderen nahmen mich mit zum Wandern. Ob meine Nachhilfelehrerin, meine Lehrer auf der Realschule, meine Freunde aus dem Ort oder mein Trainer im Handballverein: Sie alle bestärkten mich. Ich bin ihnen bis heute von Herzen dankbar.
Ich habe erlebt, welche Kräfte es in einem weckt, wenn andere an dich glauben. Ich habe erfahren, dass Anstrengungen sich lohnen, wenn man nicht allein gelassen wird. Ich habe gelernt, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen – und was wir gemeinsam bewegen können, wenn wir uns engagieren und zusammenhalten.
Für das, was uns erfolgreich macht
Ich habe einen wachen Sinn für den Wert der Arbeit. Wohlstand verwalten – das kann nicht unser Ziel sein. Meine Überzeugung ist, dass Wohlstand immer wieder neu erarbeitet werden muss. Auf Schaffigkeit und Erfindungsreichtum kommt es an – heute mehr denn je. Wer in dieser Welt des Wandels nicht besser werden will, hat aufgehört, gut zu sein. Das gilt auch für unser Land.
Baden-Württemberg war nie reich an Rohstoffen. Unser Pfund war immer unser Mut und Erfindergeist. Bertha Benz ist nicht in ihrer Stube hocken geblieben, sondern fuhr im August 1888 mit dem von ihrem Mann Carl Benz entwickelten Automobil von Mannheim nach Pforzheim – und machte so seine grandiose Erfindung bekannt und begehrt. Daraus spricht ein Pioniergeist, den besonders unser Mittelstand in Baden-Württemberg verkörpert.
Unsere Familienunternehmen, unser Handwerk und unsere Weltmarktführer vereinen wirtschaftlichen Weitblick und soziale Verantwortung. Sie schaffen Werte, die bleiben. Unsere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind hervorragend ausgebildet und müssen sich weltweit vor niemandem verstecken. Gemeinsam haben sie den Ruf Baden-Württembergs als führendes Industrieland begründet.
Unsere Unternehmen haben den Anspruch, jeden Tag ein Stück besser zu werden, immer wieder über sich hinaus zu wachsen. Mein Anspruch ist, ihnen dafür die beste Rückendeckung zu geben: Eine Infrastruktur, die funktioniert. Fachkräfte, die sich reinwerfen. Regeln, die ermöglichen. Wir haben es selbst in der Hand, ganz vorne mit dabei zu sein, wenn an allen Ecken und Enden Neues entsteht: Künstliche Intelligenz, klimaneutrale Autos, Quantentechnologie, eine ganz neue, personalisierte Medizin, eine Welt ohne Abfall, mit völlig neuartigen Materialien – das ist Musik in den Ohren unserer Tüftler und Erfinderinnen. Da, wo es knirscht, müssen wir ran, um neue Ideen zu fördern, Investitionen zu erleichtern und so Arbeitsplätze mit Zukunft zu schaffen. Gerade jetzt, wo die Sorgen um unsere Wettbewerbsfähigkeit größer werden.
In Baden-Württemberg treffe ich überall Menschen, die anpacken, die Dinge möglich machen und sich von Widrigkeiten nicht entmutigen lassen. Ich treffe Menschen, die nicht zuerst nach dem Staat rufen, sondern selbst vorangehen und die anderen mitnehmen. Genau diesen Baden-Württemberg-Spirit brauchen wir. So werden wir auch morgen und übermorgen an der Spitze stehen – als erstes klimaneutrales Industrieland der Welt, gespeist aus den Quellen, die uns stark machen: Spitze in Forschung, einer ordentlichen Portion Mut und dem Ehrgeiz, Dinge besser zu machen.
Für das, was Zukunft verspricht
Das Wertvollste, was wir haben, sind unsere Kinder. Deshalb werde ich alles dafür tun, dass die jungen Menschen in diesem Land die bestmögliche Bildung bekommen – im Kindergarten und in der Schule, in der Berufsausbildung und an der Hochschule. Jedes Kind soll eine echte Chance haben, etwas aus seinem Leben machen zu können. Und wer sich anstrengt, soll auch dafür belohnt werden – wie wichtig dieser Grundsatz ist, weiß ich aus eigener Erfahrung.
Ich stehe mit Leib und Seele für das Aufstiegsversprechen unserer sozialen Marktwirtschaft. Deshalb will ich es mit neuem Leben füllen. Dafür müssen wir gemeinsam Bildung und Wissen an die erste Stelle setzen. Jedes unentdeckte Käpsele hat es verdient, entdeckt zu werden. Dafür brauchen wir die wahre Superheldenkraft in unserem Land – sie steckt in unseren Erzieherinnen und Erziehern, in unseren Lehrerinnen und Lehrern. Ich will diese Kraft aktiv fördern. Mit mehr Freiraum und Verantwortung für die Schulen vor Ort, denn gute Schule wächst von unten. Dazu gehört auch ein gesundes Mittagessen für alle Kinder. Vor allem möchte ich einen Schwerpunkt auf die Kleinsten legen: Auf das Lernen in Kindergarten und Grundschule. Denn hier werden die Grundlagen dafür gelegt, dass ein Kind später im Leben durchstarten und seine Träume verwirklichen kann. Ich bin überzeugt: Eine gute Bildung ist die beste Wirtschaftspolitik – und zugleich die beste Sozialpolitik.
Für das, was uns Sicherheit und Halt gibt
Wir können nur dann frei und sicher zusammenleben, wenn alle sich an die Regeln halten. Ohne einen sicheren öffentlichen Raum sind Zusammenhalt und ein starkes Gemeinwesen nicht möglich. Als Demokratie müssen wir uns wehrhaft zeigen gegen alle, die unsere freie Lebensweise angreifen –Islamisten, Antisemiten, Rechtsextreme. Meine Linie ist klar: Keine Freiheit den Feinden der Freiheit. Keine Toleranz den Feinden der Toleranz. Wir verteidigen die Grundpfeiler unseres Landes – liberale Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und europäische Integration – mit aller Kraft.
Zugleich werde ich das stärken, was uns beieinander hält: Eine gute Daseinsvorsorge vor Ort, auf die sich alle verlassen können. Das Engagement der vielen Ehrenamtlichen, die sich in ihrer Freizeit für andere und für unser Gemeinwesen einsetzen – im Sportverein oder der Bürgerinitiative, bei der freiwilligen Feuerwehr oder in der Nachbarschaftshilfe.
Für das, was die Grundlagen unseres Lebens bewahrt
Heimat, das ist Geborgenheit. Der Ort, wo man dazugehört. Heimat – das ist auch ein Versprechen. Ein Versprechen auf ein gutes Leben. Das setzt voraus, dass wir die Grundlagen allen Lebens bewahren. Ich fühle mich zuhause, wenn ich auf die Schwäbische Alb mit ihren artenreichen Wacholderheiden blicke, genauso wie in unseren Streuobstwiesen oder Weinreben, in den Schwarzwaldtälern oder Moorlandschaften. Sie machen unsere Heimat aus. Sie erinnern uns daran, wie wichtig es ist, unsere Natur zu schützen und zu erhalten. Das ist unser aller Verantwortung.
Dafür müssen wir uns noch mehr anstrengen: Beim Ausbau der sauberen Energie aus Sonne und Wind, beim klimafreundlichen Umbau unserer Wirtschaft, beim emissionsfreien Verkehr, beim Schutz der Artenvielfalt. Allein in den ersten neun Monaten dieses Jahres haben weit über 170.000 Hausbesitzer und Mieter in Baden-Württemberg eine Solaranlage aufs Dach oder an den Balkon geschraubt. Das macht mich zuversichtlich. Es sind Mühen, die sich lohnen, denn wir können dabei so viel gewinnen: Neuen Wohlstand, gute Arbeitsplätze und eine lebenswerte Zukunft für unsere Kinder und Enkelkinder auf diesem Planeten.
Entschieden für Baden-Württemberg
Heimatverbunden und weltoffen, klar und pragmatisch, tüchtig und manchmal auch eigensinnig – so sind wir Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger. Die Menschen, die hier leben, liegen mir am Herzen. Sie haben mir und meinen Eltern viel gegeben und ermöglicht.
Winfried Kretschmann wird nach 15 guten Jahren für unser Land nicht erneut als Ministerpräsident antreten. Mir ist sehr bewusst, welch große Verantwortung es bedeutet, dieses wunderbare Land als Ministerpräsident zu führen. Ich habe mich deshalb gründlich geprüft. Dabei habe ich viel an meine Eltern gedacht, besonders an eine Mahnung meiner Mutter: „Cem, dieses Land hat dir ermöglicht, Abgeordneter zu werden. Das ist eine große Ehre. Vor allem aber ist es die Verpflichtung, immer alles für dieses Land zu geben.“
Meine Entscheidung steht: Ich möchte Ihnen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, als Ministerpräsident von Baden-Württemberg dienen und alles für dieses Land geben.
Dabei bedeutet es mir viel, dass Winfried Kretschmann meine Entscheidung aus vollem Herzen unterstützt. Und Winfried kennt mich lange und gut. Er begleitet meinen politischen Weg von Beginn an und war mir immer ein wichtiger Freund und Ratgeber. Für uns beide steht das Wohl des Landes immer an erster Stelle.
Bis zur Landtagswahl im Frühjahr 2026 ist es noch eine lange Zeit. Das Gute ist: Bei Winfried Kretschmann sind Sie weiter in den besten Händen. Wie es danach weitergeht, liegt bei Ihnen. Ich bin überzeugt: Wenn wir uns treu bleiben und zugleich nach neuen Wegen suchen, wenn wir uns gemeinsam anstrengen und mutig vorangehen, dann liegt das Beste noch vor uns. Als Ihr Ministerpräsident möchte ich dazu meinen Beitrag leisten: Entschieden für meine Heimat. Entschieden mit aller Kraft. Hauptsache Baden-Württemberg.
Cem Özdemir“