Rechtsextreme Krawalle in Großbritannien: Eine Warnung für Deutschland
Wir sehen die Bilder aus Großbritannien, wie der rechte Mob Polizisten und Flüchtlingsunterkünfte angreift, und reiben uns verwundert die Augen. Die Briten kennen Unruhen und Zusammenstöße, aber in diesem Ausmaß und über das ganze Land – das ist neu. Müssen wir uns auch in Deutschland davor fürchten? Die Antwort lautet: Das gab es schon in der Bundesrepublik, in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen. 30 Jahre ist das jetzt her – und doch kommt es wieder näher.
In Großbritannien ist die soziale Frage akut
Nach den rechten Krawallen gab es auch gewaltsame Gegenaktionen von linken und muslimischen Gruppen. Und um das nicht zu vergessen: Mitte Juli kam es zu Ausschreitungen in Leeds, Polizisten wurden angegriffen, Autos brannten. Auslöser war das Vorgehen des Jugendamts, es wollte ein Kind aus einer Familie holen. Der Stadtteil ist ein sozialer Brennpunkt, viele Nachfahren von Einwanderern leben dort, ein Drittel sind Muslime. Rechtspopulisten verbreiteten Bilder der Randale samt: „England ist gefallen.“
Die Zündschnur für gesellschaftliche Konflikte ist kurz. Viel kürzer als die Politik es derzeit wahrhaben will.
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Vor allem England ist tief gespalten. In dieser Lage reicht ein Funke, um einen Flächenbrand zu entfachen. Besonders akut ist die soziale Frage. Seit dem Brexit, mit dem die Konservativen – erfolglos – weniger Migration versprachen, erlebt das Land einen Abstieg – und wird zum Pulverfass.
Vieles ließe sich mit Recht dagegen anführen, dass Deutschland ein ähnlicher Ausbruch rechter Gewalt nicht droht: Die meisten Parteien distanzieren sich klar vom Rechtsextremismus. Gewalt als Mittel des politischen Protests ist lagerübergreifend geächtet. Und der Sozialstaat federt anders als in Großbritannien die schlimmsten Härten ab.
Nur in Sicherheit wiegen sollten wir uns nicht. Auch in Deutschland herrscht allgemeine Unzufriedenheit. Die Infrastruktur ist marode, die Wirtschaft brummt nicht mehr, Wirtschaft und Bundesregierung haben sich entfremdet wie nie, die Ampel hickhackt sich durch die Legislatur.
Seither mobilisiert ein rechtsextremistisches Netzwerk zu den Protesten in mehreren Städten, es gab Ausschreitungen, Polizisten, Moscheen und Geschäfte wurden angegriffen. Die Polizei wirkte anfangs hilflos, als die Rechtsextremen sich im Netz organisierten. In Deutschland wäre es in diesem Ausmaß nur schwer vorstellbar, dass Staats- und Verfassungsschutz so blind und unvorbereitet gewesen wären.
Wärmepumpe, Bürgergeld, Kindergrundsicherung – im Land fragen sich nicht wenige, ob die Politik in dieser Welt der Krisen nicht andere Aufgaben zu meistern hätte. Zumindest um den Eindruck von Stabilität und wirtschaftlicher Zuversicht zu vermitteln – vor allem von Handlungsfähigkeit. Zum Beispiel in der Migrationspolitik, über die selbst drei Generationen von Einwanderern inzwischen nur den Kopf schütteln.
In diesem gesellschaftlichen Klima verbreiten sich auch in Deutschland rechtsextreme Vorstellungen, was vor Jahren nicht sagbar war, ist es nun. Rechtsextremismus wird entgrenzt und normalisiert. Von der Rückkehr der Baseballschlägerjahre ist schon die Rede.
Vielleicht ist das übertrieben, denn es verharmlost das Ausmaß der rechten Gewalt in den 1990er Jahren. Noch. Die Ostwahlen stehen bevor, die in Teilen rechtsextreme AfD ist in Umfragen stärkste Kraft, für große Teile der Jugend ist „rechts sein“ das neue Ding. Der Blick nach Großbritannien muss eine Warnung sein. Die Zündschnur für gesellschaftliche Konflikte ist kurz. Viel kürzer als die Politik es derzeit wahrhaben will.