Frankreich: Was zu den Angriffen auf das französische Schnellzugnetz bekannt ist

Geschichte von Eric Voigt, Annika Joeres/AFP
In Frankreich sind durch Brandanschläge zahlreiche Zugverbindungen lahmgelegt worden. Vieles deutet auf Sabotage und einen Zusammenhang mit den Olympischen Spielen hin.
                                 kiuzt.jpg
Bahnreisende am Bahnhof Bordeaux-Saint-Jean in Bordeaux: Sabotageakte haben das Schnellzugnetz der französischen Bahn empfindlich getroffen. © Christophe Archambault/​AFP/​Getty Images
 

Am Tag der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris hat Frankreichs Bahngesellschaft SNCF einen "massiven Angriff" auf das Schnellzugnetz gemeldet. Viele Bahnverbindungen mit den TGV-Hochgeschwindigkeitszügen mussten bereits gestrichen werden, wie die Bahngesellschaft mitteilte. Rund 800.000 Bahnreisende sollen von den Zugausfällen am Wochenende betroffen sein. Was bislang über die Angriffe bekannt ist:

Was ist passiert?

In Frankreich gab es in der Nacht mehrere Brandanschläge auf Schnellstrecken der französischen Bahngesellschaft SNCF. Medienberichten zufolge wurden unter anderem Signalanlagen angezündet und Kabel durchtrennt. Frankreichs Verkehrsminister Patrice Vergriete sagte im Fernsehsender BFM, Menschen seien von Brandorten geflüchtet, Brandsätze entdeckt worden. "Alles deutet darauf hin, dass es sich um kriminelle Brände handelt", sagte er. Die genauen Hintergründe sind jedoch noch unklar. Betroffen sind die Verbindungen im Westen, Norden und Osten des Landes. Darunter sind unter anderem Verbindungen zwischen den Städten Lille, Tours und Le Mans in die Hauptstadt Paris.

"Es wurden Brandanschläge verübt, um unsere Einrichtungen zu beschädigen", hieß es in einer Erklärung der SNCF. Die Brände seien geplant koordiniert gewesen, sagte der Chef von SNCF, Jean-Pierre Farandou. Der Verkehr auf den betroffenen Strecken sei "stark beeinträchtigt". Die Züge würden auf andere Strecken umgeleitet, "aber wir werden eine große Anzahl von ihnen streichen müssen", hieß es in der Erklärung. Jeder zweite Zug nach Osten, nach Norden und jeder vierte Schnellzug in Richtung Bordeaux sei betroffen, teilte Vergriete

Beeinträchtigt seien derzeit auch Züge in die Nachbarländer Deutschland und Belgien sowie der Eurostar nach Großbritannien. Die SNCF teilte mit, Reparaturtrupps hätten mit der Instandsetzung begonnen. Wann der Verkehr wieder aufgenommen werden könne, sei noch nicht absehbar. Es wird erwartet, dass die Störungen das gesamte Wochenende andauern werden. Der Eurostar rät seinen Reisenden, ihre Fahrten – wenn möglich – zu verschieben. SNCF teilte zudem mit, dass alle Reisenden "in den nächsten Stunden per SMS und E-Mail informiert werden". 

War es Sabotage?

Dafür spricht, dass die Schäden gleichzeitig auftraten und ähnliche Ursachen haben. Die Täter verursachten Brände in "Rinnen, in denen zahlreiche Kabel" aus Glasfaser verlaufen, die "Sicherheitsinformationen für die Lokführer" übermitteln oder "die Motoren der Weichen" steuern, sagte Jean-Pierre Farandou, Vorstandsvorsitzender der SNCF. 

Nach Informationen der Zeitung Yonne républicaine wurde zudem in der Nacht zu Freitag in Vergigny südlich von Paris ein Sabotageversuch von SNCF-Mitarbeitern vereitelt. Mehrere Personen sollen dabei versucht haben, eine Signalzentrale des Schnellzugs TGV in Brand zu setzen. Die Vorgehensweise ähnelt der von vier weiteren Sabotageakten, die in den Departements Pas-de-Calais, Eure-et-Loir, Meuse und Meurthe-et-Moselle festgestellt wurden.

Unsere Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden sind mobilisiert, um die Urheber dieser kriminellen Handlungen aufzuspüren und zu bestrafen", sagte der französische Premierminister Gabriel Attal. Die Störungen seien "massiv und schwerwiegend".

Die Pariser Staatsanwaltschaft hat mittlerweile Ermittlungen zu den Brandanschlägen aufgenommen. Die Abteilung zum Kampf gegen organisierte Kriminalität befasse sich mit dem Fall, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Diese sei für Verbrechen zuständig, die "die grundlegenden Interessen der Nation bedrohen". Solche Vergehen könnten mit bis zu 15 Jahren Haft und einer Geldstrafe von 225.000 Euro geahndet werden.

Eine wichtige Frage ist dabei, ob die Täter Menschen verletzen oder gar töten wollten oder ob sie die Züge blockieren wollten. In dem einen Fall handelt es sich um Terrorismus, in dem anderen um Wirtschaftssabotage. Dass sich die französische Einheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, kurz Junalco, der Ermittlungen annahm, spricht dabei eher für Sabotage.

Manche französische Medien sprechen davon, dass die Vorgehensweise an linksradikale Aktionen erinnere. Allerdings ist bislang Vorsicht geboten: Offiziell gibt es noch keine Ermittlungserfolge. Und viele erinnern heute an den Prozess gegen eine angebliche linksradikale Terrorgruppe namens Tarnac: Er ging als juristisches Fiasko in die französische Geschichte ein. 

Nach einer Sabotageaktion im November 2008 an einer TGV-Linie wurden acht Männer festgenommen und des Terrorismus angeklagt. Schließlich wurde der Terrorismusvorwurf fallen gelassen, die Angeklagten wurden von allen Anklagepunkten freigesprochen. Das Urteil des Pariser Strafgerichts wurde mit folgendem Satz begründet: "Durch die Anhörung wurde klar, dass die Gruppe von Tarnac eine Fiktion war."

Besteht ein Zusammenhang zu den Olympischen Spielen in Paris?

Ein Zusammenhang zu den Olympischen Spielen liegt nahe, unmittelbare Anzeichen dafür liegen jedoch bisher nicht vor. Regionalpräsidentin Valérie Pécresse sprach im Sender France Info von einer "Tat der Destabilisierung". Es sei "kein Zufall", dass dies am Tag der Eröffnungsfeier geschehe, sagte sie. Der Pariser Polizeipräfekt Laurent Nuñez sagte, die Sicherheitsaufgebote in Bahnhöfen würden jetzt verstärkt.

Durch die Angriffe fahren auf der Route zum Stade de France im Norden von Paris – wo Rugbyspiele und die Leichtathletikwettkämpfe stattfinden – aktuell keine Züge. Direkte Einschränkungen auf die sportlichen Events in Paris halten sich jedoch in Grenzen, weil am Freitag weder Training noch Wettkämpfe auf dem Programm stehen. Von den Olympiaorganisatoren gibt es bislang noch keine Information, ob die Vorfälle Einfluss auf die Eröffnungsfeier am Abend haben werden.

Zugleich ist es aber auch ein Tag inmitten der frankreichweiten Sommerferien, an dem Millionen Menschen in den Urlaub fahren. Rund 800.000 Reisende sind nach Angaben der Bahn SNCF am Wochenende betroffen – allein 250.000 am heutigen Tag.

Sind die Olympischen Spiele in Paris betroffen?

Voraussichtlich sind die Wettkämpfe und auch die heutige Eröffnungszeremonie nicht betroffen – die meisten Sportlerinnen und Sportler sind bereits in den vergangenen Tagen angereist. Auch viele Staatschefs befinden sich schon in Paris.

Betroffen sind von den Angriffen vorwiegend Fans und Urlauber: Die einen wollten Paris am heutigen Freitag verlassen, um in die Ferien ans Mittelmeer oder an den Atlantik zu fahren – und dem Stress von der Hauptstadt im Olympiafieber zu entkommen. Die anderen wollten nach Paris, um dem Eröffnungsspektakel auf der Seine beizuwohnen – oder womöglich auch, um in einem der fünf Bahnhöfe dort umzusteigen.

Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, will wenige Stunden vor der Eröffnung von Olympia beruhigen. "Was passiert ist, ist inakzeptabel, aber es wird sich nicht auf die Zeremonie heute Abend auswirken", sagt die Politikerin. Die Sabotageakte hätten keine Auswirkungen auf das Verkehrsnetz der Region Île-de-France.

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP