Die Debatte um den Wolfsgruß hat Deutschen, Türken und Deutschtürken geschadet

                                            Geschichte von Macit Karaahmetoğlu
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                              T rotz der Niederlage ihrer Mannschaft gegen die Niderlande im Viertelfinale der EM feiern Türkei-Fans ihre Mannschaft. © Christoph Reichwein/dpa

 

Die Jubelgeste des türkischen Nationalspielers Merih Demiral, bei der er nach seinem zweiten Treffer im Achtelfinale der Fußball-EM gegen Österreich am vergangenen Dienstag die Hände zum Wolfsgruß formte, hat eine emotionale Debatte entfacht.

In vielen deutschen Medien – auch in der Berliner Zeitung – wurde der Wolfsgruß etwas vereinfachend als Erkennungszeichen der rechtsextremen Ülkücü-Bewegung gedeutet, die den Hass auf Kurden und Aleviten kultiviert, von einem großtürkischen Reich träumt und in der ultranationalistischen Partei MHP ihr politisches Sprachrohr findet. In der türkischen Öffentlichkeit wurde demgegenüber darauf beharrt, der Wolf spiele in der Mythologie der Türken eine zentrale Rolle, der Wolfsgruß sei mithin bloß Ausdruck eines selbstverständlichen Patriotismus und eine völlig legitime Meinungsäußerung.

Es dauerte keine zwei Tage, da hatten die Türkei und Deutschland wechselseitig ihre Botschafter einbestellt, die CDU ein Verbot des Wolfsgrußes gefordert und das türkische Außenministerium Deutschland Fremdenfeindlichkeit unterstellt. Und in den sozialen Medien stellten die einen pauschal die Integration der Deutschtürken infrage, während die anderen deren generelle Diskriminierung bestätigt sahen. Binnen kürzester Zeit verhärteten sich die Fronten zu allseitigem Schaden.

Als dann auch noch der türkische Präsident Erdogan kurzfristig eine Reise nach Aserbaidschan absagte, um für das Viertelfinalspiel der Türkei im Olympiastadion nach Berlin zu reisen, war absehbar, was dann tatsächlich passierte. Sowohl im Vorfeld als auch während des Spiels gegen die Niederlande wurde von türkischen Fans massenhaft der Wolfsgruß gezeigt, aus Trotz wie als Bekenntnis.

Für mich ist völlig klar: Wer den Wolfsgruß zur Provokation macht, schadet der deutsch-türkischen Freundschaft! Er schadet ihr genau wie all jene, welche die Debatte um Demirals Geste nutzen, um populistisch Stimmungen zu schüren. Das gilt für Erdogan, es gilt aber auch für die CDU.

Das ist ausgesprochen ärgerlich! Es ist ärgerlich nicht nur, weil dem Sport damit seine integrative Kraft geraubt wird, die in den heute so unfriedlichen, aufgewühlten und polarisierten Zeiten so wichtig wie wahrscheinlich seit langem nicht ist. Der Sport schafft Momente der Begegnung, er überwindet Ländergrenzen, Sprachbarrieren und kulturelle Spaltungen. In Sportmannschaften zumal spielen Menschen mit unterschiedlichen Herkünften, die sich aufeinander verlassen können müssen. Und während in Europa ein brutaler Angriffskrieg tobt, ermöglicht die Fußball-Europameisterschaft europaweit Austausch, Verständigung und Solidarität und bietet ein Forum für die Austragung eines zivilisierten Wettbewerbs.

Die populistische Stimmungsmache ist auch und vor allem deshalb ärgerlich, weil die mutwillig aufgeladene Debatte um den Wolfsgruß ganz konkrete Erfolge der gesellschaftlichen Integration in Deutschland überdeckt. Erst in der vergangenen Woche ist eine Studie der OECD zu dem Ergebnis gekommen, in Deutschland seien, mit Blick auf die Eingewanderten, die Unterschiede in den Lebensbedingungen vergleichsweise klein, der Erwerbstätigenanteil hoch und die Sprachkenntnisse gut. Und die Türkischstämmigen mit deutscher Staatsbürgerschaft haben bei den jüngsten Türkeiwahlen nicht nur mit großer Mehrheit gegen Erdogan gestimmt, dies im Gegensatz zu den Türkischstämmigen ohne deutschen Pass, sondern sind auch gesellschaftlich stark engagiert.

Die Fußball-EM war bisher ein voller Erfolg. Gastfreundliche Fans verbreiteten auf den Fanmeilen eine weltoffene Atmosphäre und feierten friedlich zusammen mit Menschen ganz unterschiedlicher Kulturen und Nationalitäten. Wir sollten diesen Erfolg weder mürrisch kleinreden noch leichtfertig aufs Spiel setzen. Verzichten wir auf alles, was missverstanden werden kann und – schlimmer noch – ausschließlich den Populisten, Autokraten und Extremisten nützt, die nichts sehnlicher erhoffen als Zwietracht, Misstrauen und Streit in unseren liberalen Demokratien. Die Botschaft dieser EM ist die Fröhlichkeit. Wäre dieses wunderbare Turnier ein Organismus, es wäre das Herz, nicht die Galle.

Zur Person: Macit Karaahmetoğlu ist seit 2021 Bundestagsabgeordneter für die SPD. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag und Mitglied der AG Migration.
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