Das will die neue Partei für Muslime

Artikel von Reinhard Bingener/ Faz

 

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Erdoğans Anhänger in Deutschland: Feier auf dem Kurfürstendamm anlässlich der Wahl in der Türkei im Mai 2023. © Getty

Schon zur anstehenden Europawahl am 9. Juni will in Deutschland eine weitere neue Partei antreten: die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA). Sie verschreibt sich ausdrücklich dem Ziel, besonders die Interessen von Muslimen zu vertreten. Menschen mit ausländischen Wurzeln würden in Deutschland häufig nicht als vollwertige Bürger angenommen, schreibt die Partei in einer Pressemitteilung.

Das erlebten Menschen mit Migrationshintergrund sowohl bei Behördengängen wie auch bei Wohnungsbesichtigungen. Diese Ungleichbehandlung wolle man „mit aller Deutlichkeit“ benennen und sich vehement gegen „antimuslimischen Rassismus“ einsetzen, teilt DAVA mit. Ziel sei außerdem eine „pragmatische und ideologiefreie Flüchtlingspolitik“, die den Arbeitskräftemangel in Deutschland im Blick habe.

Der Islamexperte Wolfgang Reinbold von der hannoverschen Landeskirche sieht durchaus Erfolgsaussichten für die neue Partei, denn bei der Europawahl gilt keine Fünfprozenthürde. „Versuche, eine Partei für Migranten zu etablieren, gab es schon früher“, berichtet Reinbold. „Die waren aber alle dilettantisch, dieses Projekt hingegen hat Chancen.“

Begünstigt werde das Projekt zudem von dem kürzlich beschlossenen Einbürgerungsrecht, das den Zugang zum deutschen Pass erleichtere. Das Wählerpotential einer Partei wie DAVA könnte dadurch weiter steigen. „Das dürfte ein zusätzliches Argument gewesen sein, warum die Gründung gerade jetzt erfolgt“, sagt Reinbold.

Spitzenkandidaten sind nicht unbekannt

Die drei Kandidaten, die an der Spitze der geplanten DAVA-Liste stehen, sind im türkisch-religiösen Spektrum jedenfalls schon seit Jahren wohlbekannt. Auf Platz eins kandidiert der Solinger Rechtsanwalt Fatih Zingal, auf den Plätzen zwei und drei die beiden Ärzte Ali Ihsan Ünlü und Mustafa Yoldaş.

Ünlü ist ein altgedienter DITIB-Funktionär. Er war Gründungsvorsitzender des türkischen Moscheeverbands in Niedersachsen; 2014 wurde der Mann aus Bad ­Eilsen für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Nachdem sein Nachfolger Yilmaz Kılıç 2018 unter Verweis auf die überbordende Einflussnahme des türkischen Staates zermürbt hingeschmissen hatte, übernahm Ünlü zeitweilig noch einmal die Führung des niedersächsischen DITIB-Verbandes.

Ünlü sagt, über die Gründung der Partei sei bereits seit zwei Jahren diskutiert worden. Ausgangspunkt sei die Überlegung gewesen, dass man in den Parteien bisher weder inhaltlich noch personell angemessen repräsentiert werde. Ünlü rechnet vor, dass in Deutschland inzwischen „rund sieben Millionen mit muslimischem Migrationshintergrund“ leben. Das neue Staatsangehörigkeitsrecht erhöhe die Wahlchancen „auf jeden Fall“. Zum Profil der Partei, sagt Ünlü, dass man sich politisch „in der Mitte“ verorte. DAVA sei „eine deutsche Partei, von Deutschen gegründet“, und finanziere sich über „Mitglieder und Spenden aus Deutschland“.

An dieser Unabhängigkeit werden allerdings Zweifel geäußert. Eren Güvercin von der FDP-nahen Organisation „Liberale Vielfalt“ erkennt vor allem das Interesse der türkischen Regierungspartei AKP hinter der Gründung von DAVA. „Es gibt direkt aus Ankara die Erwartung, hier mehr in Erscheinung zu treten“, sagt er. „Vor allem Erdoğan selbst strebt an, dass eine solche Partei ein erkennbarer Akteur hierzulande wird.“

 

Schon wenn es DAVA gelänge, bei der Europawahl ein oder zwei Mandate im Europaparlament zu erringen, „wäre das ein Coup“ für den türkischen Präsidenten. Güvercin geht davon aus, dass die neue Partei im Wahlkampf zudem die Infrastrukturen des von der türkischen Religionsbehörde Diyanet gelenkten Moscheeverbands DITIB nutzen wird. Auch in den Moscheen der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) sei dies zu erwarten, denn auch dort liege man voll auf AKP-Linie.

Moscheen könnten für DAVA werben

Für diese These sprechen die biographischen Hintergründe der bisher bekannten DAVA-Politiker: Spitzenkandidat Fatih Zingal war einst in der SPD, wurde dann aber Sprecher der AKP-nahen Organisation „Union Internationaler Demokraten“ (UID). Ünlü auf Listenplatz zwei ist ein Kenner der DITIB-Strukturen.

Der Hamburger Arzt Yoldaş auf Platz drei fiel den Behörden schon wegen „Unterstützung der Hamas und ihr nahestehender Organisationen“ auf und leitete früher die „Internationale Humanitäre Hilfsorganisation“ (IHH), die 2010 verboten wurde. Außerdem ist er gut bei IGMG vernetzt. Vor der Europawahl dürfte die Partei darauf setzen, in den zahlreichen Moscheen der beiden Verbände werben zu können, wie es vor wichtigen Wahlterminen in der Türkei schon häufiger zugunsten der AKP beobachtet wurde.

Für die beiden großen Islamverbände ist dies eine äußerst heikle Frage, wie ein Funktionär bestätigt, der die Gründung von DAVA kritisch sieht. Die neue Partei habe nur wenig Aussicht auf Erfolg, belaste aber auch die Beziehungen der Verbände zur Politik weiter. Mit einem Dialog zu den bisherigen Parteien fahre man besser, als ihnen Konkurrenz zu machen. Man wird also beobachten müssen, wie sich das Verhältnis von DAVA zu den Verbänden gestaltet. Öffnen sie ihre Moscheen für die Partei, oder schließen sie die Türen im Wahlkampf? Oder halten sie es wie häufig bei der AKP, dass man sich offiziell vom Wahlkampf fernhält, er aber vor Ort trotzdem stattfindet?

Der Parteiname DAVA dürfte für Muslime auch außerhalb von Moscheen Klang haben. Während das Wort im Deutschen als Akronym lediglich für den vollständigen Parteinamen „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ steht, hat das Wort auch im Arabischen eine Bedeutung. Ein Verbandsfunktionär übersetzt es mit „Unsere Sache“.

Der Islamexperte Reinbold zieht eine andere Analogie. Der Parteiname stehe für „Ruf zum Islam“ und sei das muslimische Pendant zum christlichen Begriff der Mission. Diese starke religiöse Konnotation werde aber auch das Wählerpotential von DAVA beschränken, denkt Reinbold. Die von DAVA-Kandidat Ünlü genannten sieben Millionen hält er für viel zu hoch gegriffen. Säkulare Muslime würden die Partei ebenso wenig wählen wie die meisten Kurden, Aleviten und andere Gruppen, die Erdoğan und die AKP sehr kritisch sehen.