Frankreichs Immigrationsgesetz: Le Pen will Verfassungsrichter entmachten
Nach dem Inkrafttreten des entschärften Einwanderungsgesetzes in Frankreich am Samstag stellen führende Politiker der bürgerlichen Rechten und des Rassemblement National (RN) die rechtsstaatliche Ordnung infrage. Der Vorsitzende der Republikaner (LR), Éric Ciotti, kritisierte einen „Staatsstreich der Verfassungshüter“. Er bezichtigte Verfassungsratspräsident Laurent Fabius einer geheimen Absprache mit Präsident Emmanuel Macron, um „gegen den Willen des französischen Volkes zu agieren, das weniger Einwanderung will“. Der LR-Fraktionsvorsitzende im Senat, Bruno Retailleau, sagte: „Die Verfassungshüter hindern den Gesetzgeber daran, die Franzosen zu schützen.“
Der mutmaßliche LR-Präsidentschaftskandidat, Laurent Wauquiez, forderte, dass künftig das Parlament „das letzte Wort“ nach Entscheidungen des Verfassungsrats haben müsse. Er prangerte einen „Putsch der Richter“ an. Sein Parteifreund Xavier Bertrand war einer der wenigen in der Schwesterpartei der CDU, der Wauquiez vor diesem Angriff auf die rechtsstaatliche Ordnung warnte. „Das Ende der Amtszeit könnte der Trumps ähneln, wenn wir als politisch Verantwortliche die Wut im Land anheizen“, mahnte Bertrand. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen forderte eine Verfassungsänderung. Sie will ihre Landsleute in einem Referendum darüber abstimmen lassen, „damit Frankreich die Kontrolle über die Immigration zurückgewinnt“.
Verfassungsratspräsident Fabius bezeichnete die Infragestellung der Institutionen in einem Fernsehgespräch im Sender France 5 als „sehr besorgniserregend“. Der Verfassungsrat habe „eine rein juristische Entscheidung“ getroffen. 32 Gesetzesartikel waren aufgrund von Verfahrensfehlern verworfen worden, ohne dass es zu einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit kam. Nur zwei Gesetzesartikel wurden gekippt, weil sie gegen Verfassungsgrundsätze verstießen. Die Rechtsprechung zu Änderungsanträgen, die nicht direkt mit dem ursprünglichen Text in Verbindung stehen, sei „seit mehreren Jahrzehnten konstant“, sagte Fabius. Doch dies ging in der aufgeheizten öffentlichen Debatte weitgehend unter. Der Verfassungspräsident zeigte sich alarmiert über den mangelnden Respekt vor den Institutionen. „Die Verfassung ist etymologisch gesehen das, was uns zusammenhält“, sagte Fabius.
Verschärfte Sanktionen bei Beschäftigung Illegaler
Das Gesetz wurde am Samstag im Amtsblatt veröffentlicht und ist in Kraft getreten, nachdem Präsident Macron es während seiner Indien-Reise unterzeichnet hatte. Im Umkreis Macrons ist man erleichtert, dass der Verfassungsrat all jene Maßnahmen gekippt hat, die unter dem Druck der Republikaner hinzugefügt worden waren. Die Zugeständnisse hatten im Dezember für Unmut in der Präsidentenfraktion gesorgt. Gesundheitsminister Aurélien Rousseau trat aus Protest zurück.
Wiederholt demonstrierten Tausende Franzosen gegen die Verschärfungen. Dazu zählten Einschränkungen bei den Sozialleistungen und härtere Kriterien für die Familienzusammenführung. Die neun Mitglieder des Verfassungsrats kassierten den Artikel, wonach arbeitslose Nicht-EU-Ausländer erst nach fünf Jahren Aufenthalt Kinder- und Wohngeld erhalten sollten. Sie lehnten auch die geplante Kaution für ausländische Studierende ab. In Umfragen äußerten zwei Drittel der Franzosen, dass sie eine schärfere Kontrolle der Immigration wünschen.
Macron hat das Gesetz als „Schutzschild“ verteidigt. Es führt Erleichterungen für Ausländer ein, die in Berufszweigen mit Arbeitskräftemangel wie im Bau- oder Gaststättengewerbe arbeiten. Sie können fortan eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten und müssen nicht mehr über ihren Arbeitgeber gehen, um diese zu beantragen. Sie müssen nachweisen, dass sie in den zurückliegenden 24 Monaten mindestens ein Jahr lang gearbeitet haben. Mit den Aufenthaltserleichterungen für arbeitende Einwanderer soll zunächst bis 2026 experimentiert werden.
Sprachtest nach deutschem Vorbild
Der ursprüngliche Text der Regierung ging noch weiter und sah sofortige Arbeitsgenehmigungen für Asylbewerber vor, wie sie in Deutschland bereits beschlossen wurden. In Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen gilt künftig eine neue vierjährige Aufenthaltsgenehmigung für Ärzte, Zahnärzte, Hebammen und Apotheker aus dem außereuropäischen Ausland. Zugleich werden die Sanktionen gegen Unternehmen verschärft, die illegale Einwanderer beschäftigen.
Frankreich führt nach deutschem Vorbild ein, dass Ausländer ihre Kenntnisse der französischen Sprache nachweisen müssen, wenn sie eine mehrjährige Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Bislang mussten sie einen Sprachkurs belegen, das Ergebnis wurde aber nicht überprüft. Zur Einbürgerung wird künftig das Niveau B2 verlangt. Das Gesetz sieht zudem vor, dass alle Ausländer mit Antragsstellung einen „Vertrag zur Einhaltung der Grundsätze der Republik“ unterzeichnen. Das entspricht der deutschen Debatte, ob man von Ausländern nicht ein Bekenntnis etwa zur Ablehnung des Antisemitismus und der Gleichberechtigung von Mann und Frau verlangen sollte.
Die Präfekten sollen auf Grundlage dieses Vertrags fortan Aufenthaltsgenehmigungen entziehen oder nicht verlängern können, wenn die Antragsteller gegen die Verpflichtungen verstoßen. Das Gesetz zielt darauf ab, Ausländer schneller abschieben zu können, die eine Bedrohung darstellen. Auch wenn sie sich lange in Frankreich aufhalten und familiäre Bindungen haben, sollen sie bei Straftaten umgehend des Landes verwiesen werden können.