Exodus der Jugend: Starökonom sieht Türkei vor Zusammenbruch

Artikel von Erkan Pehliva FR

 

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Starökonom Daron ACemoglu sieht Türkei vor dem Zusammenbruch. © IMAGO

Exodus der Jugend: Starökonom sieht Türkei vor Zusammenbruch

Wegen der massiven Probleme in der Türkei verlassen gut ausgebildete Leute das Land. Starökonom Daron Acemoglu stellt eine düstere Prognose.

Ankara - Die Türkei steckt in Schwierigkeiten. Neben wirtschaftlichen Problemen hat das Land auch Defizite in Sachen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Grund dafür seien vor allem systematische Probleme, sagt Starökonom und Bestsellerautor Prof. Daron Acemoglu vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in einem Interview mit der Cumhuriyet:„Die menschlichen Ressourcen sind nicht gut, weil wiederum die Institutionen und das Bildungssystem ist defekt“. In dem Land ist das Problem das System, sagt der Wirtschaftsexperte.

Und die Sorgen von Acemoglu sind nicht unberechtigt. Die Menschen in der Türkei werden mit einer offiziellen Inflation von 62 Prozent erdrückt. Auch die Landeswährung verliert immer mehr an Wert. Ein US-Dollar kostet inzwischen mehr als 29 Türkische Lira (TL). Ein Jahr zuvor lag der Preis noch bei 18.60 TL.

Kluge junge Köpfe wandern aus der Türkei ab

Das Land leidet unter dem sogenannten „Brain Drain“. Talente wandern zunemend aus. Grund dafür seien die Einschränkungen der Freiheit aus politischen Gründen. Gerade junge Menschen sehr die Zukunft des Landes als düster. „Wenn nur wenige Menschen gehen, ist das kein Problem, aber wenn die Zahl so groß ist, führt das zu einem Zusammenbruch, und die Türkei steht kurz davor“, so Acemoglu. Besonders bei Ärzten ist die Abwanderung zu sehen. Viele von ihnen kommen vor allem nach Deutschland. Im August hatten sich mehr als 120 von ihnen zu einem Picknick in Hannover getroffen. Acemoglu hatte schon im August der Türkei „schwierige Tage“ attestiert.

Im Rechtsstaatlichkeitsindex vom „World Justice Project“ steht die Türkei derzeit auf Platz 117 unter 147 Staaten. Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch bescheinigen dem Land immer wieder massive Menschenrechtsverstöße. Auch in Sachen Pressefreiheit ist das Land auf Platz 165 unter 180 Staaten. 

Wirtschaft auf Talfahrt - Investoren meiden Türkei

Berichte, wonach Finanzminister Mehmet Sahin im Ausland vergeblich um Investoren wirbt, weist dieser zurück. „Wir haben von niemandem Geld gefordert. Die Türkei hat kein Geldbedarf“, sagte Simsek bei seiner Rede im Parlament. Die Opposition dagegen sieht ebenfalls die massiven Probleme des Landes in der mangelnden Rechtsstaatlichkeit. „Wenn es in der Türkei keine Rechtsstaatlichkeit gibt, da kommen keine Investoren her. Die vorhandenen Investoren wandern ab und die heimischen Investoren werden ihr Geld ins Ausland bringen“, sagt der Fraktionsvorsitzende der Oppositionspartei Gelecek Partisi, Selcuk Özdag, in einem Interview.

Erdogan kann Versprechen nicht einhalten

Im Vorfeld der Türkei-Wahl im Mai hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen Wählern ein „Jahrhundert der Türkei“ versprochen. Davon ist bislang nicht viel zu sehen. Die Chefin der Notenbank und ehemalige US-Bankerin, Hafize Gaye Erkan, hatte sich zuletzt über hohe Mieten in Istanbul beschwert. „Wie kann es sein, dass Istanbul teurer als Manhattan ist? Wir habe in Istanbul keine Wohnung gefunden. Es ist sehr teuer. Wir sind zu meinen Eltern gezogen und wohnen dort“, hatte die oberste türkische Währungshüterin gesagt. Heute legte sie nach und hat erneut den Leitzins auf 42,5 Prozent hochgesetzt.

Urteil von Verfassungsgericht in der Türkei wird ignoriert

Um aber die wirtschaftlichen Probleme wie die Inflation zu bekämpfen, wird das sicherlich nicht reichen, bescheinigt der türkische Wirtschaftsexperte, Mahfi Egilmez, auf X. „Wir müssen auch Schritte

um die Entscheidungen des Verfassungsgerichts umzusetzen und den Übergang zur Rechtsstaatlichkeit zu vollziehen. All dies wirkt sich auf die Wirtschaft aus“, so Egilmez.

Gemeint ist damit ein Urteil des Verfassungsgericht, dass eine Freilassung des inhaftierten Abgeordneten Can Atalay fordert. Das oberste Berufungsgericht hatte statt das Urteil umzusetzen im November sogar Strafanzeige gegen die Verfassungsrichter gestellt. Am Donnerstag (21.12.2023) hat das Verfassungsgericht erneut eine Freilassung Atalays angeordnet.

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