AKP-Influencer Tuğrul Selmanoğlu träumt in der ARD von einem Kalifat
Am Montag ist im Ersten deutschen Fernsehen (ARD) eine Dokumentation über die Auswirkungen des Nahostkonfliktes erschienen. Dabei fiel auf, dass ein Pro-Erdoğan-Influencer sich ein Kalifat wünscht und für diese Rolle an niemand geringeren als den türkischen Präsidenten höchstpersönlich denkt. Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, da ein Kalifat die Grundpfeiler der Republik und das Erbe von Mustafa Kemal Atatürk de facto auslöschen würde.
Tuğrul Selmanoğlu ist laut türkischen Medienberichten ein Vorstandsmitglied der Union Internationaler Demokraten e.V., der AKP-Lobbyorganisation nach deutschem Recht. Auch selbst bezeichnet sich Selmanoğlu in den sozialen Medien als Vorstandsmitglied der UID (türkisch MKYK – Merkez Yönetim Kurulu Üyesi).
Die Bedeutung dieser Organisation war zuletzt im Mai dieses Jahres zu erkennen, als der türkische Wahlkampf um die Präsidentschaft und das Parlament auch in Deutschland stattfand. Die UID hat mit ihrer bundesweiten Vernetzung dafür gesorgt, dass die türkischen Wählerinnen und Wähler zu den Urnen gingen und mehrheitlich für Erdoğan und die AKP stimmten.
UID, Selmanoğlu und die türkische Wählerschaft
Von rund 1,5 Millionen wahlberechtigten Türken machten etwa 500.000 von ihrem Recht Gebrauch. Aus diesem Topf konnte der amtierende Präsident 67 Prozent der Stimmen für sich ergattern. Auch Selmanoğlu war in dieser Phase ein wichtiger Faktor. Gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der UID, Köksal Kuş, war er in mehreren Konsulaten zu sehen. Dort traf sich Selmanoğlu mit türkischen Wählerinnen und Wählern, posierte für Selfies und wurde als Vorbild gefeiert.
Deutsch-Türken erkannten den einflussreichen Influencer, der auf X (ehemals Twitter) rund 424.000, auf Facebook 387.000, auf Instagram 305.000 und auf TikTok 43.ooo Follower hat. Mit dieser Reichweite kann Selmanoğlu Meinungen verbreiten. Auch solche, die für Kontroversen sorgen. Doch das tut er nicht nur dort.
Den Christen ihr Papst, den Muslimen ihr Kalif?
In der ARD-Doku „Zerrissene Gesellschaft?“ spricht Selmanoğlu davon, dass muslimische Länder gemeinsam über 17 Millionen Soldaten verfügten, aber über kein Oberhaupt. Ohne einen solchen seien diese Soldaten quasi nutzlos. Dann fährt er fort und zieht einen Vergleich zum Papst der Christen, der alle einen würde (dabei repräsentiert er nur die Katholiken). Die Muslime würden endlich einen Kalifen benötigen. Der letzte, offiziell anerkannte Kalif war der osmanische Sultan. Das Kalifat wurde 1924, zwei Jahre nach dem Sultanat, abgeschafft.
Doch wen hat Selmanoğlu als neuen Kalifen im Sinn? Auf die Nachfrage der Journalistin, ob dies Erdoğan sein soll, antwortet er mit einem Schmunzeln „Sie sagen es“. Somit legt Selmanoğlu offen, dass er sich bereits auf einen Wunschkalifen festgelegt hat. Diese Passage aus der Doku hat der Influencer bereits geschnitten, ins Türkische übersetzt und auf seinen verschiedenen Kanälen gepostet.
Quo vadis Atatürk?
Als die Nachfrage kommt, ob er mit dem geeigneten Anführer „Erdoğan“ meine, antwortet Selmanoğlu mit „Sie sagen es“. Doch in der türkischen Übersetzung der eigenen Worte kommt ein etwas anderer Sinn heraus. Da heißt es ungefähr „Sie haben selbst Erdoğan gesagt“.
Diese Worte haben in der Türkei für Empörung gesorgt. Denn die Einführung eines Kalifen würde die Republik, die laizistischen Grundpfeiler der Türkei und das Erbe Atatürks nicht nur in Frage stellen, sondern aus der Welt schaffen. Viele kommentierten, dass er mit diesen Vorstellungen am liebsten in Deutschland bleiben solle, aber nicht in die Türkei kommen brauche. Worte, die man ansonsten von Rechten kennt.
Selmanoğlu nannte Atatürk einst einen Flüchtling
Auf Türkisch ist Selmanoğlu schon mehrfach ins Fettnäpfchen getreten. Mit einem besonders großen Fauxpas mit Atatürk-Bezug war er bereits in Ungnade gefallen. Der glühende Erdoğan-Anhänger verteidigte einst die Flüchtlingspolitik der AKP-Regierung und zog einen fatalen Vergleich.
In einer Talkrunde bei Beyaz TV sagte Selmanoğlu: „Diese vermeintlichen Atatürk-Fans sollten wissen, dass Atatürk ein Migrant aus Thessaloniki ist, ein Flüchtling“. Dass er im selben Augenblick von seinem Diskussionspartner und Moderator korrigiert wurde, wollte der um kein Wort verlegene Deutsch-Türke nicht so recht wahrhaben und beharrte auf der Position, Atatürk sei ein Flüchtling gewesen.
„Die Deutschen Medien sprechen über diesen Türken“
Wie im Zusammenhang mit der ARD-Doku war Selmanoğlu auch in der Vergangenheit mit selektiven Übersetzungen seiner deutschen Aussagen aufgefallen. Das erste Mal erblickte er das Licht der „Medienwelt“ vor sechs Jahren, als Talkgast in der Sendung Maischberger. Selmanoğlus Worte wurden schon damals ins Türkische übersetzt. In einer Situation sagte er „Ich finde das so absurd“. Im Türkischen wurde daraus „Diese Art von Ihnen ist so ekelhaft“.
In einem Interview mit der türkischen Nachrichtenagentur Ihlas stellte sich Selmanoğlu dann endgültig als Held dar. Er habe die Einladung in die Sendung zunächst ablehnen wollen. Doch seine damals noch 90.000 Follower hätten ihn ermutigt. Zudem habe er den inzwischen verstorbenen, im Zusammenhang mit dem Mafiapaten Sedat Peker in den schweren Verdacht der Korruption geratenen, regierungsnahen Süleyman Özışık um Rat gebeten.
Süleyman Özışık: „Fürchte dich nicht!“
„Ich sagte ‚Abi (Bruder), es ist eine Falle. (…) Was sagst du?'“, habe Selmanoğlu Özışık gefragt. Dieser habe erwidert, dass die türkische Nationalhymne mit „Fürchte dich nicht“ beginne. So habe Selmanoğlu die Einladung angenommen und die aus seiner Sicht unfaire Runde zwischen mehreren Türkei-kritischen Stimmen mit erhobenem Haupt verlassen.
In der Zeit danach hat Selmanoğlu seine Rolle als Social Media-Aktivist für die AKP-Agenda sowie als Funktionär der UID weiter gefestigt. Durch regelmäßigen Content in Social Media zu allen erdenklichen Themen hat er seine Reichweite immer weiter ausgebaut. Ob die Methoden stimmen, ist ihm und seinen türkischsprachigen Followern wohl egal. Denn solange sie kein Deutsch verstehen, geht sein Plan auf.