Hamas meldet verstorbene Frühchen: WHO beklagt „entsetzliche Zustände“ in Gazas größtem Krankenhaus
(dpa/AFP)
Seit Freitag wird vermehrt im Umfeld von Kliniken gekämpft. Israel zufolge hat die Hamas ihr militärisches Hauptquartier in Tunneln unter dem Al-Schifa-Krankenhaus errichtet.
Die Weltgesundheitsorganisation hat erneut „entsetzliche Zustände“ im größten Krankenhaus im Gazastreifen beklagt. Es befänden sich mehr als 2000 Menschen in der Schifa-Klinik, darunter vermutlich mehr als 600 Patienten und rund 1500 Vertriebene, schrieb die WHO am Montag auf der Plattform X (früher Twitter) unter Berufung auf das palästinensische Gesundheitsministerium.
Demnach konnten Patienten unter anderem keine Dialyse mehr erhalten. Frühgeborene seien zudem ohne Brutkästen in Operationssäle verlegt worden. „Die andauernden Feuergefechte und Bombardements in der Gegend haben die ohnehin schon kritischen Bedingungen noch verschärft“, schrieb auch WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus in einem eigenen Beitrag auf X: „Tragischerweise ist die Zahl der Todesfälle unter den Patienten deutlich gestiegen.“
WHO: Krankenhaus funktioniert nicht mehr als Krankenhaus
Die WHO habe Kontakt zum Gesundheitspersonal in der Klinik herstellen können. Das Krankenhaus funktioniere nicht mehr als Krankenhaus. Es müsse eine sofortige Waffenruhe geben. Schon zuvor hatte die WHO die Lage in dem Klinikkomplex mit rund 700 Betten angeprangert.
Wegen der Kämpfe in unmittelbarer Nähe und Treibstoffmangels sei eine medizinische Versorgung kaum noch möglich. Dutzende Kinder seien in kritischem Zustand und könnten jeden Moment sterben, warnte die WHO. Der Leiter des Schifa-Krankenhauses dementierte Angaben Israels, denen zufolge seine Klinik eine Versorgung mit Treibstoff unter Druck der im Gazastreifen herrschenden Hamas zurückgewiesen haben soll.
Die Islamistenorganisation kontrolliert auch das Gesundheitsministerium. Gegenüber dem britischen Sender BBC bestritt ein leitender Arzt der Klinik auch die Darstellung der israelischen Seite, dass sich Hamas-Kämpfer in dem Krankenhaus aufhielten. Das sei „eine große Lüge“, sagte der Chefchirurg Marwan Abu Saada. „Wir haben medizinisches Personal, wir haben Patienten und Vertriebene. Nichts anderes.“
Israel: Hamas hat Zentrale unter Klinik
Das israelische Militär hatte zuvor davon gesprochen, dass die Hamas – die ein weit verzweigtes Tunnelnetzwerk unter dem Küstengebiet für ihre Zwecke nutzt – unter der Klinik eine Kommandozentrale habe und auch andere medizinische Einrichtungen im Gazastreifen für militärische Zwecke missbrauche.
Der Nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses sagte am Sonntag, die USA hätten Israel aufgefordert, Kämpfe in der Nähe von
Krankenhäusern im Gazastreifen zu vermeiden. „Die Vereinigten Staaten wollen keine Gefechte in Krankenhäusern, in denen unschuldige Menschen und Patienten, die medizinische Versorgung erhalten, zwischen die Fronten geraten“, sagte Jake Sullivan dem Sender CBS.
Hamas: Kein Krankenhaus im Norden des Gazastreifens mehr arbeitsfähig
Im Norden des Gazastreifens ist wegen der massiven Kämpfe nach Angaben der dort herrschenden radikalislamischen Hamas kein Krankenhaus mehr arbeitsfähig. „Alle Krankenhäuser“ im Norden des Palästinensergebietes seien „außer Betrieb“, sagte Jussef Abu Risch, stellvertretender Gesundheitsminister der Hamas-Regierung, am Montag der Nachrichtenagentur AFP.
Seit Freitag haben sich die Kämpfe dort immer stärker auf die Umgebung von Krankenhäusern konzentriert, vor allem in der Stadt Gaza – dem Zentrum der Kämpfe.
Unter anderem fehlt den Kliniken Treibstoff für den Betrieb von Generatoren, weshalb sie keinen Strom mehr haben. Nach Angaben des Vize-Gesundheitsministers starben in der Al-Schifa-Klinik mittlerweile sechs Frühgeborene und neun schwerkranke Patienten. Auf dem Krankenhausgelände haben auch tausende Menschen Zuflucht gesucht.
Am Samstag hatte das Krankenhaus mitgeteilt, dass 39 Frühchen auf der Neugeborenenstation lägen und die Krankenschwestern die Babys inzwischen „manuell“ beatmen würden. Ein Arzt der Nichtregierungsorganisation Ärzte ohne Grenzen hatte erklärt, 17 Patienten befänden sich auf der Intensivstation.
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober greift das israelische Militär massiv Ziele im Gazastreifen an, inzwischen sind auch Bodentruppen in das Palästinensergebiet eingedrungen.
Nach Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden bis Sonntagabend 11.180 Menschen getötet. Etwa die Hälfte der 2,4 Millionen Bewohner ist innerhalb des schmalen Küstengebiets auf der Flucht.Hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas waren am 7. Oktober nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt, darunter zahlreiche Kinder. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1200 Menschen in Israel getötet und rund 240 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. (dpa/AFP)