Türkische Opposition: Neustart nach der Niederlage
Dauer-Wahlverlierer Kemal Kılıçdaroğlu, umgeben von Mansur Yavaş (l.) und Ekrem İmamoğlu. Foto: Kemal Kılıçdaroğlu/Twitter
Viel Frust, wenig Hoffnung: Das ist es, was der türkischen Opposition von der verlorenen Stichwahl Ende Mai blieb. Nach Wochen der Agonie, ordnen sich Erdoğans Widersacher neu. Und alte Bekannte drängen an die Spitze.
Knapp verloren, intern zerstritten und ohne Mittel: Die türkische Opposition befand sich nach der verlorenen Präsidentschaftswahl Ende Mai lange in der Schockstarre. Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der übermächtige Gegner, st0ß seine anfangs so kämpferisch auftretenden Widersacher in ein tiefes Loch. Langsam sortiert sich die Opposition wieder – und stellt sich zum Teil neu auf.
Die Sozialdemokraten der kemalisischen CHP führen eine hitzige Personaldebatte. Parteichef und Wahlverlierer Kemal Kılıçdaroğlu steht in der Kritik. Der amtierende Fraktionschef der CHP, Özgür Özel, wirft ihm vor, „keine Ahnung“ zu haben, „was sich an der Parteibasis abspielt“. Kılıçdaroğlu betont indes, dass die knappe Niederlage bei der Präsidentschaftswahl das beste Ergebnis gewesen sei, das die Opposition gegen den Amtsinhaber je geholt habe.
İmamoğlu drängt mit Macht an die CHP-Spitze
Intern wird ihm vorgeworfen, die Situation schönzureden. 13 Jahre lang steht Kılıçdaroğlu der CHP vor – und verlor immer wieder krachend gegen Erdoğan. Eine Mehrheit in der Partei fordert längst einen Führungswechsel und grundlegende Reformen. Seine Parteifreunde trauen dem alternden Chef keinen Erfolg mehr dazu. Seine Zeit scheint endgültig abgelaufen zu sein.
Als möglicher Nachfolger Kılıçdaroğlus wird immer wieder der beliebte Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu ins Spiel gebracht. Mit Macht drängt er nun an die Spitze der zerstrittenen Partei. Wie man gegen Erdoğans AKP gewinnen kann, zeigte er bei den Istanbuler Lokalwahlen vor vier Jahren eindrucksvoll. Im kommenden Frühjahr wird dort wieder gewählt.
HDP diskutiert Fusion mit YSP
Amtsinhaber İmamoğlu will wieder antreten – im besten Fall als neuer Parteichef. Doch der charismatische Hoffnungsträger der CHP steht längst im Fadenkreuz der türkischen Regierung. Nach wie vor sieht er sich mit insgesamt drei Anklagen konfrontiert. Offensichtlich politisch motiviert, zielen sie darauf ab, Erdoğans Konkurrenten langfristig politisch kaltzustellen.
Auch die HDP, die zweite große Oppositionspartei, ringt um ihre Zukunft. Ein Kampf um die Deutungshoheit – besonders im Bezug auf die Wahlniederlage – ist entbrannt. Und ein Teil der linken Kurdenpartei drängt darauf, das Bündnis mit der links-grünen YSP zu beenden. Andere machen sich indes für eine Fusion der beiden Parteien unter neuem Namen stark. Noch im September soll ein außerordentlicher Parteitag Zukunftsfragen klären.