Zwei Jahre warten auf die Einbürgerung: Immer mehr Menschen verklagen das Land Berlin auf Untätigkeit
Artikel von Anna Thewalt T.Spiegel
Das Interesse an einer deutschen Staatsbürgerschaft wächst, Anträge sollen bald schneller bearbeitet werden – doch noch wächst der Berg an offenen Verfahren.
Beim Verwaltungsgericht Berlin sind dieses Jahr nach Angaben der Berliner Innenverwaltung bis Ende Mai 58 Untätigkeitsklagen im Bereich „Staatsangehörigkeitsrecht/Einbürgerung“ eingegangen. Das geht aus einer Antwort der Berliner Innenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Grünen-Abgeordneten Jian Omar hervor. Untätigkeitsklagen können eingereicht werden, wenn Anträge auf Einbürgerung nicht zügig bearbeitet werden.
Die Anzahl dieser Klagen liegt damit schon jetzt deutlich höher als in den Vorjahren: 2022 gab es 31 Untätigkeitsklagen, 2021 sogar nur eine, 2020 gar keine. „Oft ist eine Klage der einzige Weg, das Verfahren zu beschleunigen“, sagt der Abgeordnete Omar, migrationspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Die Klagen seien „ein Armutszeugnis für die Innenverwaltung, die das Projekt der Zentralisierung von Einbürgerungen aufgrund des fehlenden Übergangskonzepts gegen die Wand gefahren hat“, sagt er. Seit Ende Mai sind nach Tagesspiegel-Informationen noch deutlich mehr Klagen hinzugekommen.
Zentrales Einbürgerungsamt soll Januar 2024 Arbeit aufnehmen
Aktuell warten Menschen in Berlin bis zu zwei Jahre auf ihre Einbürgerung. Der Berg an unbearbeiteten Belangen, den die Einbürgerungsstellen der Bezirke vor sich herschieben, ist hoch: Mit Stand Ende März 2023 waren in Berlin nach Angaben der Verwaltung 29.606 Verfahren in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten offen. Allein seit Oktober des vergangenen Jahres sind knapp 8000 neue offene Verfahren hinzugekommen.
Derzeit wird das zentrale Einbürgerungsamt aufgebaut, dass ab dem 1. Januar 2024 die Einbürgerungsanträge bearbeiten soll. Das Zentrum wird beim Landesamt für Einwanderung (LEA) angegliedert sein. Bislang sind die Bezirke dafür zuständig. Die Regierung erhofft sich von der Zentralisierung und dem damit verbundenen geplanten Stellenaufwuchs, mehr Staatsangehörigkeiten schnell ausstellen zu können.
Bis Ende März 2023 stellten in diesem Jahr bereits 5200 Menschen einen Einbürgerungsantrag. Im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres waren es nur 3400, also knapp 2000 weniger. Bleiben die Zahlen in den kommenden Monaten weiter hoch, dürfte Berlin einen neuen Rekordwert an Einbürgerungsanträgen verzeichnen. Bereits 2022 gingen 16.441 ein – deutlich mehr als in den zehn Jahren zuvor.
Die Zahl der tatsächlich vergebenen Staatsbürgerschaften liegt deutlich darunter: 8875 Personen wurden 2022 eingebürgert. Mit der Zentralisierung soll Berlin, so der Wunsch von Innensenatorin Iris Spranger (SPD), auf 20.000 Einbürgerungen im Jahr kommen.
Weniger Personal als im Vorjahr
Im laufenden Jahr steht aber zunächst weniger Personal zur Verfügung. 22 der 94 Stellen sind in den Einbürgerungsbehörden unbesetzt, das sind elf mehr als noch im Vorjahr. Nachbesetzt wurden die Stellen von den Bezirken nicht, weil sie ab kommendem Jahr nicht mehr zuständig sind.
Wie der Tagesspiegel berichtete, führt der Übergangsprozess dazu, dass die Bezirke vereinzelt keine neuen Anträge mehr entgegennehmen. Neue Beratungstermine werden in der Regel nicht mehr vergeben.
Die neue Behörde wird massive Probleme haben.
Jian Omar, migrationspolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion
In der Antwort auf die parlamentarische Anfrage schreibt die Innenverwaltung von einer „Aufgabenpriorisierung“ und dem Konzept „zum Übergang der offenen Verfahren“, das mit den Bezirken abgestimmt und geeint sei. Tatsächlich aber gibt es ein einheitliches Vorgehen – zumindest in der Kommunikation – nicht.
Manche Bezirke führen Listen
Die Einbürgerungsbehörden in Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg, Reinickendorf, Spandau und Steglitz-Zehlendorf führen Wartelisten mit Menschen, die an einer Einbürgerung interessiert sind. Diese Listen sollen dem LEA zum Wechsel übergeben werden. Andere Bezirke bieten diese Möglichkeit auf den entsprechenden Bezirks-Webseiten nicht an.
„Das zeigt, dass es keine geeinte Vorgehensweise gibt“, kritisiert der Abgeordnete Omar. Er verstehe nicht, warum die Zentralisierung so schnell vonstattengehen müsse. Da die Entscheidung aber so gefallen sei, könne man nur „Schadenbegrenzung“ betreiben. Für das laufende Jahr schlägt er vor, dass Mitarbeiter aus dem Springer-Pool der Innenverwaltung Amtshilfe in den Bezirken leisten, die Personal verloren haben. „Außerdem braucht es eine geeinte Warteliste aller Bezirke“, fordert er.
Er ist skeptisch, dass der Übergang gut gelingt. „Die neue Behörde wird massive Probleme haben“, sagt er. Die Berliner Regierung setzt auf das Gegenteil: Mit insgesamt 200 Mitarbeitenden im neuen Einbürgerungszentrum soll Berlin „Einbürgerungshauptstadt“ werden.