Vater des Hanau-Attentäters "Hoffentlich zieht er weg"
Der Vater des Hanau-Attentäters belästigt immer wieder Angehörige der Opfer. Nun schickte er eine klare Botschaft an die Mutter eines der Ermordeten. Was tun die Behörden?
Die Botschaft ist unmissverständlich. Und sie bereitet Serpil Temiz Unvar Sorgen: "In aller Deutlichkeit, wenn Ihnen als Migrant das Land des Deutschen Volkes zuwider ist, dann verlassen Sie es bitte, aber auch zügig, und gehen Sie bitte dorthin zurück, wo Sie hergekommen sind." Der Satz stammt aus einem Brief, den Temiz Unvar Mitte Mai bekommen hat. Der Absender: Hans-Gerd R. Dessen Sohn hatte im Februar 2020 in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen und anschließend seine Mutter und sich selbst erschossen. Unter den Getöteten war auch Ferhat, der Sohn von Serpil Temiz Unvar.
Seit der Tat kommen sie und ihre Familie nicht zur Ruhe. Ihr Haus in Hanau liegt nur wenige Hundert Meter entfernt vom Haus des Attentäters, in dem dessen Vater weiterhin lebt. Immer wieder kommt es zu Belästigungen und Einschüchterungsversuchen durch Hans-Gerd R. Zuletzt schickte der 76-jährige Mann ihr gleich mehrere Briefe. Sie liegen dem ARD-Magazin Panorama vor. Darin schreibt er, Temiz Unvar "und ihre Gruppierungen" seien "eine große Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit und für das Deutsche Volk".
Ferhat Unvar wurde am 19. Februar 2020 zusammen mit acht weiteren Menschen erschossen.
Einschüchterungsversuche mit Schäferhund
Serpil Temiz Unvar hatte nach dem rassistischen Anschlag von Hanau 2020 die "Bildungsinitiative Ferhat Unvar" gegründet, eine Anlaufstelle vor allem für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die im Alltag mit Rassismus konfrontiert sind. Zusammen mit mehreren Mitstreitern besucht sie regelmäßig bundesweit Schulen, um über Rassismus aufzuklären. Diese Arbeit scheint Hans-Gerd R. ein Dorn im Auge zu sein.
Zuletzt hatte Unvar dessen Einschüchterungsversuche öffentlich gemacht und unter anderem Reportern des ARD-Magazin Panorama berichtet, wie R. Ende Oktober vergangenen Jahres mit seinem Schäferhund minutenlang wenige Meter vor dem Küchenfenster ihres Hauses gestanden und sie in ein unangenehmes Gespräch verwickelt hat.
Immer wieder belästigt Hans-Gerd R. die Hinterbliebenen des Anschlags.
Mitte Mai schrieb ihr Hans-Gerd R., dass sie "das Maß eines friedvollen Zusammenlebens zwischen dem deutschen Volk und den Migranten enorm überschritten" habe. R. nennt sich selbst in dem Brief "Miteigentümer der Bundesrepublik Deutschland" und fordert Temiz Unvar auf, alle "durch ihre Mithilfe ins Netz gestellten Verleumdungen, Verletzungen, Veröffentlichungen gegen Hans-Gerd R., gegen Familie R. und gegen die Bundesrepublik Deutschland" zurückzuziehen. Gleichzeitig stellt er in weiteren Schreiben absurde Schadensersatzforderungen in siebenstelliger Höhe. Als Absender ist jeweils die Wohnadresse von Hans-Gerd R. vermerkt, die er als "Gedenkstätte R." bezeichnet.
Für Temiz Unvar zeigen die Briefe, dass R. ähnlich rassistisch denke wie sein Sohn. Sie vermutet, dass R. sie für den Tod seines Sohnes und seiner Frau verantwortlich macht. "Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum er immer wieder versucht, mich und meine Familie einzuschüchtern", sagte Temiz Unvar im Gespräch mit Panorama. Die Situation sei für ihre Kinder und sie selbst schwer zu ertragen. Sie lebt seit 27 Jahren in dem Stadtteil. "Wir wollen nichts mit ihm zu tun haben. Hoffentlich zieht er weg und lässt uns endlich in Ruhe." Sie hofft, dass die Zuständigen alles unternehmen, um die Situation vor Ort zu klären.
Hanaus Oberbürgermeister Kaminsky hat Anzeige erstattet.
Anzeige wegen Volksverhetzung
Inzwischen hat Temiz Unvar den Brief von Mitte Mai, in dem R. er ihr die Ausreise nahelegt, der Polizei und auch Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) übergeben. Der zeigte den Vater daraufhin wegen Volksverhetzung an. Gegenüber Panorama bezeichnete er den Brief als "schriftlich dokumentierten Rassismus" und "widerlich". Dennoch: "Grundsätzlich gilt, dass die gesetzlichen Möglichkeiten begrenzt sind. Wir als Stadt Hanau sowie die Polizei müssen uns im rechtsstaatlichen Rahmen bewegen."
Gegen den Vater des Attentäters hat die Stadt Hanau ein Betretungsverbot für die Hanauer Kitas und Schulen sowie das Rathaus ausgesprochen. "Wenn mir Verstöße von Herrn R. gegen den Rechtsstaat bekannt werden, bringe ich diese sofort zur Anzeige", so Kaminsky. Schon im März hatte er das Agieren des Vaters als "subtilen Terror" bezeichnet: "Natürlich wäre es am besten, wenn der Vater die Stadt verließe, wenn er seinen Wohnort wechselt. Das wäre sogar für ihn auch das Bessere. Aber es gibt keine rechtliche Möglichkeit, das zu erzwingen."