Tumult im Wahllokal – Anzeige gegen Journalist, Vorwurf der Wahlfälschung

            Hamburger Morgenpost

            26 May 2023

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Adil Yigit

(Archivbild).Der türkische Journalist Adil Yigit ist als ErdoganKritiker bekannt

Noch bis Sonntag läuft die Stichwahl in der Türkei, die darüber entscheidet, wer der nächste Präsident wird: Recep Tayyip Erdogan oder Herausforderer Kemal Kilicdaroglu? Die in Deutschland abgegebenen Stimmen könnten dabei eine entscheidende Rolle spielen. Umso größer die Aufmerksamkeit darauf, was in den Konsulaten geschieht. Nun werden erste Unregelmäßigkeiten bekannt. In Hamburg kam es zu einem Eklat.

„Sie haben mich fast eine Stunde lang festgehalten“, berichtet der deutsch-türkische Journalist Adil Yigit. Der 65-Jährige, der als Erdogan-Kritiker bekannt ist und seit Ende der 70er Jahre in Hamburg lebt, hatte am Dienstag seine Stimme im Konsulat am Mittelweg abgegeben. Kurz danach bekam er Probleme.

„Als ich mein Kreuz gesetzt hatte und gehen wollte, fragten mich die Wahlbeobachter, die in einer Ecke saßen, ob ich ein Foto von ihnen machen könne“, berichtet Yigit. „Sie wussten, dass ich Journalist bin.“Yigit machte das Foto, die Wahlbeobachter bedankten sich bei ihm. Dann hob Yigit ihnen zum Gruß die Hand und formte ein Victory-Zeichen. „Plötzlich ist eine fremde Person auf mich zugestürzt und erklärte aggressiv, ich dürfe hier kein Victory-Zeichen machen.“Als Yigit gehen wollte, seien ihm drei Konsulatsangestellte gefolgt und hätten ihn aufgehalten. „Sie erklärten, dass sie ein Protokoll anfertigen müssten.“Eine Dreiviertelstunde später sollte er das Blatt unterschreiben.

„Dort stand drin, ich hätte für Aggression gesorgt!“, sagt Yigit empört. Er habe sich geweigert, das zu unterschreiben. Daraufhin hätten die Konsulatsbeamten Anzeige bei den türkischen Behörden gegen ihn erstattet. Das Konsulat war nicht zu einer Stellungnahme zu dem Vorfall bereit. Mehrere Anfragen der MOPO blieben unbeantwortet. Yigit wertet die Sache als einen Einschüchterungsversuch. Schließlich ist er auch im Besitz von Beweismaterial über andere Unregelmäßigkeiten im Konsumit lat.

So sei eine Frau Burka zur Stimmabgabe gekommen und wurde – entgegen den Vorschriften – nicht dazu aufgefordert, den Schleier zu lüften, um ihre Identität festzustellen. Yigit hat ein Foto davon. Außerdem habe ein Mann im Wahllokal mehrmals das sogenannte Rabia-Zeichen der Erdogan-Partei AKP gemacht, bei dem vier Finger hochgehalten werden. Auch das sei trotz Verbots nicht unterbunden worden. Die Wahlbeobachterin Leman Stehn von den türkischen Grünen bestätigt Yigits Darstellung. „Es war eine entspannte, feierliche Stimmung im Wahllokal“, so Stehn zur MOPO. „Kein bisschen aggressiv.“Adil habe sich lächelnd von ihnen verabschiedet. Erst als der unbekannte Mann wie aus dem Nichts auf den Journalisten zuschoss, sei die Stimmung gekippt. Stehn ist sicher: „Das war kein Konsulatsmitarbeiter.“Zu Spekulationen zum Hintergrund des Unbekannten wollte sie sich nicht hinreißen lassen. Auch den Mann mit der Rabia-Geste und die fehlende Kontrolle der Verschleierten bestätigt Leman Stehn. „Wenn man nur den Augenschlitz sieht, kann man keine sichere Übereinstimmung mit dem Ausweis feststellen.“Und noch etwas ist Stehn aufgefallen: „Es gab eine Reihe von Menschen, die ihr Handy trotz Verbot in die Wahlkabine geschmuggelt haben, m Fotos von ihren Stimmzetteln zu machen.“

Zwar seien die Personen aufgefordert worden, die Fotos zu öschen. „Aber sie wurden nicht dazu gebracht, auch den Paierkorb zu leeren. Ich habe diesen lapidaren Umgang kritisiert, aber nichts erreicht.“Die viertgrößte türkische Zeitung „Sözcü“hat am Donnerstag über den Vorfall in Hamburg berichtet. Seitdem steht das Telefon von Adil Yigit nicht mehr still. Außerdem berichtet „Sözcü“über Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe in Stuttgart, wo ein Wahlcomputer mit bereits registrierten Stimmen für vier Stunden verschwand und plötzlich wieder auftauchte. Darüber hinaus seien 21 ungestempelte Wahlzettel aufgetaucht, bei denen das „Ja“für Erdogan angekreuzt war. Die Vermutung: Der Stempel sollte später ergänzt werden. Der Titel des Artikels: „Skandale bei der Stimmabgabe in Deutschla