Türkei-Wahl: Warum so viele Deutsch-Türken Erdogan die Treue halten

Von: Yağmur Ekim Çay, Anna-Katharina Ahnefeld, Fabian Hartmann

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Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine Erdogan während der Vorstellung des Wahlprogramms der AK-Partei in Ankara am 11. Ap

Die Türkei-Wahl wird auch in Deutschland entschieden. Knapp 1,5 Millionen Wahlberechtigte leben hier. Viele halten Erdogan nach wie vor die Treue – doch es gibt auch andere Stimmen.

Frankfurt/Berlin/Köln – Merve Burak* ist 34 Jahre alt, kommt aus Essen und arbeitet als Lehrerin in einer Grundschule. „Zum ersten Mal wähle ich jemanden von der CHP. Vor ein paar Jahren hätte ich mir das nicht vorstellen können“, sagt sie. Ihre Großeltern sind vor ungefähr 50 Jahren aus der anatolischen Konya nach Deutschland ausgewandert, ihre Eltern waren „Kofferkinder“ – sie wuchsen zwischen der Türkei und Deutschland auf. Sie selbst hat eine starke Bindung zur Türkei, hat dort immer ihre Ferien verbracht. „Das ist ja auch mein Heimatland. Essen, Kultur, Menschen – da fühle ich mich zu Hause.“

Für ihre Eltern sei der türkische Präsident Recep Tayip Erdogan wie ein Held gewesen – er war die „Stimme der Stimmlosen“, sagt Burak. Erdogan habe wichtige Schritte für die Türkei unternommen, eine Politik für alle betrieben. Auch für sie als junge Erwachsene sei Erdogan sehr wichtig gewesen. „Ich hatte seine Bilder an meiner Wand“, lacht sie. Besonders beeinflusst hätten sie die NSU-Mörder. „Man hat sich hier in Deutschland unsicher gefühlt. Niemand hat uns verstanden, wir waren immer die ‚Türken‘, mehr nicht. Ich bin hier aufgewachsen, arbeite hier und zahle hier Steuern.“ Doch Erdogan war da, in ihrer zweiten Heimat. „Er hat uns verstanden und war einer von uns“, so Burak. Aber das ist jetzt anders.

Experte Copur zur Türkei-Wahl: „Erdogan kann sich auf seine treuen Wähler in Deutschland verlassen“

Dass einst treue AKP-Wähler wie Merve Burak mit der Regierung in Ankara fremdeln, sagt viel aus. Die Türkei steht vor einer Richtungsentscheidung. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen am 14. Mai könnte es der Opposition, angeführt von der sozialdemokratischen CHP, tatsächlich gelingen, Dauer-Machthaber Erdogan aus dem Präsidentenpalast zu vertreiben. Es wäre ein historischer Triumph. Seit 20 Jahren regiert Erdogans AKP die Türkei. Zunächst reformerisch, spätestens aber seit den brutal niedergeschlagenen Gezi-Protesten zeigt Erdogan sein anderes Gesicht: das des Despoten.

Wahlen in der Türkei sind kein lokales Ereignis. Sie strahlen weit über die Landesgrenzen hinaus – auch und vor allem nach Deutschland. Knapp 1,5 Millionen türkische Wahlberechtigte leben in der Bundesrepublik. Ihre Stimmen könnten den Ausschlag geben, wenn das Wahlergebnis knapp wird. Zur Wahrheit gehört: Viele Deutsch-Türken – zumindest die, die zur Wahl gehen – denken nicht wie Merve Burak. „Erdogan kann sich auf seine treuen Wähler in Deutschland verlassen“, sagt Burak Copur. Er ist Politikwissenschaftler in Essen und ein profunder Kenner der Türkei.

Copur geht davon aus, dass der Stimmungsumschwung in der Türkei nicht so sehr bei den Wählern in Deutschland ankommt. „Sie kennen die wirtschaftliche Lage in der Türkei nicht. Sie sagen: ‚Schaut, hier in Deutschland ist die Inflation auch hoch‘ – doch das ist natürlich eine verkürzte Sichtweise.“ Eine große Rolle spielten auch die weitgehend gleichgeschalteten türkischen Medien, die AKP-Propaganda verbreiten. Erdogan, der starke Mann, der Beschützer der Türken. Ein Bild, das verfängt, sagt Copur. Gerade, wenn man rassistische Erfahrungen gemacht habe. Und das hätten viele Deutsch-Türken.

Türkei-Wahl 2023: „Wir wählen unseren Präsidenten weiter“

So ist die Situation für den 36-jährigen Kemal Öztürk* anders als für Merve Burak. Der sowohl in der Türkei als auch in Deutschland lebende Türke wählt weiterhin Erdogan und sagt, er habe gute Gründe dafür: Es sei Erdogans Ziel, dass „die Türkei ein starkes Land und unabhängig vom Westen ist“. Denn die Vergangenheit habe gezeigt, dass der Westen die Türkei schon mehrmals im Stich gelassen habe. Erdogan tue viel für sein Volk, „für Rentner, Ehepaare und Studenten“. Und die Wirtschaft? Sie wachse stetig. „Ja, es gibt die Inflation, und das spürt man auch, aber in Deutschland ist es nicht anders.“

Er findet, dass die Türkei mit Erdogan zu einer Militärmacht geworden ist. „Die Außenpolitik ist sehr stark und hat einen großen Einfluss auf die Welt“, erzählt er. Die Universitäten seien auf dem neuesten Stand, Tabletten, Getränke und Essen seien billig. Und jeder wisse doch, dass die EU kein islamisches Land in die EU holen werde, so Öztürk. „Wir wählen unseren Präsidenten weiter“, sagt er.