Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kemal Kilicdaroglu: Er soll Erdogan schlagen
Artikel von Rainer Hermann
Den Beteiligten sah man die Strapazen der vergangenen Tage an. Intensiv hatten sie 72 Stunden verhandelt. Als sie sich auf die neue Formel „5+2“ verständigt hatten, traten die sechs Vorsitzenden des türkischen Oppositionsbündnisses wieder geeint auf und verkündeten am späten Montagabend, mit dem CHP-Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu am 14. Mai als Kandidaten in die Präsidentenwahl zu ziehen. Erst am Nachmittag war die Iyi-Partei mit ihrer Vorsitzenden Meral Aksener in das Bündnis zurückgekehrt, das sie am Freitag verlassen hatte.
Grund für ihren Rückzug war, dass sie Kilicdaroglus Kandidatur zunächst abgelehnt hat. Mit ihrem Wunsch, einen der Oberbürgermeister von Istanbul oder Ankara, Ekrem Imamoglu oder Mansur Yavas, ins Rennen zu schicken, konnte sie sich aber nicht durchsetzen. Trotz ihres Rückzugs waren über das Wochenende aber alle Beteiligten im Dialog geblieben.
Den Beteiligten sah man die Strapazen der vergangenen Tage an. Intensiv hatten sie 72 Stunden verhandelt. Als sie sich auf die neue Formel „5+2“ verständigt hatten, traten die sechs Vorsitzenden des türkischen Oppositionsbündnisses wieder geeint auf und verkündeten am späten Montagabend, mit dem CHP-Vorsitzenden Kemal Kilicdaroglu am 14. Mai als Kandidaten in die Präsidentenwahl zu ziehen. Erst am Nachmittag war die Iyi-Partei mit ihrer Vorsitzenden Meral Aksener in das Bündnis zurückgekehrt, das sie am Freitag verlassen hatte.
Grund für ihren Rückzug war, dass sie Kilicdaroglus Kandidatur zunächst abgelehnt hat. Mit ihrem Wunsch, einen der Oberbürgermeister von Istanbul oder Ankara, Ekrem Imamoglu oder Mansur Yavas, ins Rennen zu schicken, konnte sie sich aber nicht durchsetzen. Trotz ihres Rückzugs waren über das Wochenende aber alle Beteiligten im Dialog geblieben.
Die anderen Parteichefs sollen Vizepräsidenten werden
Den Knoten hat schließlich die Formel „5+2“ gelöst. Demnach ist Kilicdaroglu, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, der Spitzenkandidat. Bei einem Wahlsieg sollen die Vorsitzenden der fünf anderen Parteien Vizepräsidenten werden.
Der zwölfte und letzte Punkt des Übergangsplans, der ebenfalls am Montagabend vorgestellt wurde, regelt, dass der Präsident Imamoglu und Yavas nach Ermessen als Vizepräsidenten hinzuziehen könne. Diese Regelung ermöglicht, dass die beiden ihr Amt als Bürgermeister weiterhin ausüben können. Wären sie offiziell Kandidaten, müssten sie als Bürgermeister zurücktreten, und die AKP-Mehrheiten in den beiden Stadtparlamenten würde jeweils eine Person aus ihren Reihen zum Nachfolger bestimmen
Aus den turbulenten Tagen geht der CHP-Vorsitzende Kilicdaroglu gestärkt hervor. Er hat sich trotz
des Widerstands mit seiner Kandidatur durchgesetzt und die Einheit der Opposition wiederhergestellt, ohne die diese kaum eine Chance hätte, Präsident Recep Tayyip Erdogan zu besiegen. Sein politisches Geschick hatte Kilicdaroglu bereits in den vergangenen zwei Jahren unter Beweis gestellt, als er sechs Parteien mit einer großen weltanschaulichen Bandbreite in ein Bündnis zusammengeführt hatte. Neben den zwei größten Parteien, der links-säkularen CHP und der nationalkonservativen Iyi-Partei, gehören ihr beispielsweise eine kleine islamistische Partei und zwei Abspaltungen von Erdogans AKP an.
Aksener hatte indes bezweifelt, dass Kilicdaroglu auch in der Öffentlichkeit genügend Unterstützung finden würde, um eine Wahl gegen Erdogan zu gewinnen. Daher schlug sie zunächst Imamoglu oder Yavas als Kandidaten vor. Mutmaßlich war das auch eine Botschaft an ihre Partei, in der ein Unbehagen gegen Kilicdaroglus Bereitschaft besteht, mit der prokurdischen HDP zusammenzuarbeiten. Obwohl die Erfolge der Opposition bei den Kommunalwahlen von 2019 ohne die Stimmen der Kurden nicht möglich gewesen wären, tut sich die Iyi-Partei unverändert mit der HDP und deren Wählern schwer. Zudem ist Kilicdaroglu Alevit, weswegen auch bei den sunnitischen Funktionären und Wählern der Iyi-Partei Vorbehalte gegen den CHP-Vorsitzenden bestehen.
Eine Rolle bei der Rückkehr von Aksener in das Oppositionsbündnis dürfte auch die Option gespielt haben, mit diesem nach den Wahlen vom 14. Mai Regierungspartner zu werden – und damit ihr Amt als Vorsitzende verteidigen zu können. Zuletzt haben die Spannungen zwischen den drei Flügeln in ihrer Partei zugenommen.
Präsidialsystem soll abgeschafft werden
Das Gewicht des nationalistischen Flügels, der sich aus den Mitgliedern zusammensetzt, die mit Aksener 2017 die MHP verlassen hatten, war zugunsten des marktwirtschaftlich-technokratischen und des konservativen Flügels zurückgegangen. Dass ihr Vorschlag vom Wochenende, den Anwalt Ersan Sen zum Präsidentschaftskandidaten zu machen, auf keinerlei Resonanz stieß, könnte in Akseners Kalkulationen am Ende auch eine zentrale Rolle gespielt haben.
Mit der Bekanntgabe der Kandidatur von Kilicdaroglu und der Formel „5+2“ haben die Vorsitzenden der sechs Parteien am Montagabend ferner ihr 12-Punkte-Programm für den Übergang vom derzeitigen Präsidialsystem Erdogans zu einer parlamentarischen Demokratie vorgestellt. Demnach soll das Parlament, das ebenfalls am 14. Mai neu gewählt wird, umgehend die dazu erforderlichen Änderungen der Verfassung vorlegen und Schritte vorbereiten, sie umzusetzen.
Alle sechs Parteien sollen mit Ministern im neuen Kabinett vertreten sein. Die politischen Ausschüsse, die derzeit als Schattenministerien im Präsidialamt angesiedelt sind, sollen aufgelöst werden. Die exekutive Macht würde in der Übergangsphase beim präsidialen Kabinett liegen, dem auch die Vizepräsidenten und die Minister angehören. Zu den ursprünglichen elf Punkten wurde in letzter Minute hinzugefügt, dass die Oberbürgermeister von Istanbul und im Ermessen des Präsidenten als Vizepräsidenten hinzugezogen werden können.
Am späten Montagabend erklärte der Ko-Vorsitzende der HDP, Mithat Sancar, die HDP prüfe nun, ob sie auf einen eigenen Kandidaten bei der Präsidentenwahl verzichten und den gemeinsamen Kandidaten der Opposition unterstützen werde. Ziel sei es, einen demokratischen Wandel einzuleiten. Im Januar hatte die HDP noch signalisiert, dass sie einen eigenen Kandidaten aufstellen könnte