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Islamophobie nimmt zu: Muslime fühlen sich in Frankreich nicht sicher

                                                        Artikel von Marc Zitzmann / Faz

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                                                  Demonstration gegen Islamophobie in Paris am 11. Mai 2025 © AFP

Am 25. April wurde in dem 5000-Seelen-Städtchen La Grand-Combe 60 Kilometer nordwestlich von Nîmes ein junger Mann durch einen anderen ermordet. Ersterer war ein illegaler Einwanderer aus Mali, Letzterer ein Franzose mit bosnischen Wurzeln. Ersterer war dabei, dem ihm unbekannten Moscheebesucher die Gesten des muslimischen Gebets zu zeigen, als Letzterer, auf dem Papier ein Christ, 57 Mal mit dem Messer auf ihn einstach. Dann filmte er sein sterbendes Opfer und stellte das Video mit den Worten „Ich hab’s getan. Dein Scheiß-Allah!“ in die sozialen Medien.

Seitdem streitet Frankreich über Islamophobie. Gründete die Tat in Hass auf Muslime? Die zitierten Äußerungen legen es nahe. Doch frohlockte der Täter auch, man werde ihn einen Serienmörder heißen. Und hatte er zuvor im Netz morbide Phantasien von vergewaltigten Frauen, von Morden und nekrophilen Akten verbreitet. Hätte er ebenso gut irgendwen attackieren können? Das gegen ihn eingeleitete Verfahren lautet auf „Mord aus ethnischen oder religiösen Gründen“, ein allfälliger terroristischer Beweggrund wurde nicht berücksichtigt. Mit Spekulationen über Motive sollte man sich zurückhalten, solang man nichts Genaueres weiß. Die beleidigende Erwähnung des Gotts der Muslime bildet aber auf jeden Fall einen erschwerenden Umstand.

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                                                                                   Kundgebung in Paris gegen Islamophobie © EPA

Desinteresse des Innenministers

Nach der Entdeckung des Leichnams dauerte es 30 Stunden, bis der Justizminister einen „schändlichen Mord“ geißelte. Der Premierminister wurde kurz darauf deutlicher und sprach von „islamophober Verwerflichkeit“. Der Präsident seinerseits brauchte noch einen vollen Tag länger, bis er sich zum Fall äußerte – bei der mörderischen Attacke mit einem Rammbockfahrzeug in Vancouver reagierte Emmanuel Macron am 27. April ungleich rascher. Doch am deutlichsten war das schier ostentative Desinteresse des Innenministers, der qua seiner Zuständigkeit für Kultus in erster Linie hätte stehen müssen.

Bruno Retailleau, der neue Präsident der Rechtspartei Les Républicains, der sich mit antimuslimischen Breitseiten erfolgreich als eherner Republikaner profiliert hat, sprach mit einem verräterischen Lapsus von einem „antiislamistischen Anschlag“, entstellte im Fernsehen Aboubakar Cissés Namen, nannte das Opfer zumeist bloß „das Individuum“, traf sich nicht mit dessen Familie, nahm nicht am Gedenkmarsch in La Grand-Combe teil und besuchte statt der dortigen Moschee, die er trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht bewachen ließ, obwohl der Täter drei Tage lang auf der Flucht war, erst nach 48 Stunden die zehn Kilometer entfernt gelegene Unterpräfektur. NGOs bezeichnen Retailleaus „betäubende Stille“ (SOS Racisme) als einen „schweren Fehler“ (Französische Liga für Menschenrechte).

Auf offizielle Zahlen kein Verlass

Denn die Islamophobie im Lande nimmt stetig zu. Auf offizielle Zahlen ist hier offenbar kein Verlass. Das Innenministerium verzeichnet für das vergangene Jahr 173 „antimuslimische Übergriffe“. Aufgrund des schlechten Rufs der Polizei unter Muslimen verzichten die meisten Opfer darauf, Anzeige zu erstatten. Auch trennen die Statistiken religiöse und rassistische Übergriffe, Attacken gegen Muslime und solche gegen Araber – eine Unterscheidung, die im Kopf vieler Angreifer kaum existieren dürfte, aber dazu angetan ist, die Gesamtzahl der Taten zu verschleiern.

Das Brüsseler Collectif contre l’islamophobie en Europe hat dagegen im vergangenen Jahr 1037 Angriffe auf Muslime in Frankreich registriert, ein Viertel mehr als 2023. Bis 2020 war diese Organisation unter anderem Namen in Frankreich tätig, doch nach ihrer Auflösung durch die Behörden, die ihr Nähe zur Muslimbrüderschaft vorwarfen, stellte sie sich in Belgien neu auf.

Der Kampf gegen die „Brüder“ und ganz allgemein gegen alle Strenggläubigen, die laut offizieller Lesart „Separatismus“ und „Entrismus“ betreiben, ja im Namen einer geheimen Agenda Wühlarbeit leisten, ist das Steckenpferd der stramm Rechten, die in Frankreichs Regierung zunehmend das Sagen haben. So richtig und wichtig es ist, Islamisten zu bekämpfen, die Gesetze brechen, die gar Gewalttaten begehen, so ungerecht und unrepublikanisch ist der Generalverdacht, unter den Anhänger des Islams gestellt werden. Vom Schleierverbot in Schule und öffentlichem Dienst, für das es gute Argumente gibt, bewegt sich Frankreich nunmehr langsam, aber sicher in Richtung eines Banns im öffentlichen Raum. Der Innenminister sieht im Schleier nichts weniger als das „Banner des Islamismus“ – er will das Stück Stoff explizit für Sportlerinnen verbieten, für Studentinnen in höheren Bildungsanstalten und für Mütter, die Kinder bei Schulausflügen begleiten.

Auch die Aufkündigung der Verträge, die den Staat an muslimische Schulen binden, ist Teil dieses breit angelegten Vorstoßes. Nach dem Lycée Averroès in Lille 2023 war Anfang dieses Jahrs das Etablissement Al-Kindi bei Lyon von einer solchen Maßnahme betroffen. Reportagen etwa von „Mediapart“ legen nahe, dass bei Kontrollen forciert nach „Fehlern“ gesucht wurde. Stichhaltig fündig wurden die Behörden dabei nicht: Im April hat ein Verwaltungsgericht die Auflösung des Vertrags mit dem Lycée Averroès annulliert und betont, es gäbe keine schweren Verfehlungen, die eine solche Aufkündigung gerechtfertigt hätten. Al-Kindi war die letzte muslimische Schule in Frankreich – gegenüber 7000 katholischen Lehranstalten. Eine davon ist das prestigeträchtige Pariser Lycée Stanislas, das 2024 wegen entwürdigender Unterrichtsmethoden und Fällen von Sexismus und von Homophobie Schlagzeilen machte. Von einem Rückzug des Staats war da nie die Rede. Klagen Frankreichs Muslime über Doppelmoral, können sie auf Fälle wie diesen verweisen.

Wie auch auf die unsäglichen Wortmeldungen in der Diskussion über den Begriff „Islamophobie“. Fehlgeleitete Politiker, die ein falsches Verständnis von Laizismus antreibt, wie der ehemalige Premierminister und gegenwärtige Minister für Übersee, Manuel Valls, und reaktionäre Essayisten wie Pascal Bruckner behaupten, das Wort sei Ende der Achtzigerjahre durch Irans Mullahs erfunden worden, um den angeblich gotteslästerlichen Schriftsteller Salman Rushdie mundtot zu machen. Eine oft widerlegte Lüge: Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass der Begriff seit 1910 westliche Vorurteile gegen Muslime bezeichnet. Dennoch halten noch heute viele – beileibe nicht nur im rechten Lager – dafür, das Wort „Islamophobie“ sei eine „Falle“ von Islamisten, um jede Kritik am muslimischen Glauben zu disqualifizieren.

Ob dieser Diskussion über den Begriff verliert man dabei aus dem Auge, was dieser benennen soll: die zahllosen Arten von Ausgrenzung, von Verfolgung und verbaler, gar physischer Gewalt, die dazu führen, dass immer mehr Muslime – wie im Übrigen auch Juden – sich im Lande nicht mehr sicher fühlen. Entsprechend häufen sich die Zeugnisse von Angstzuständen und von Depression, von innerer und äußerer Emigration.

Islamophobie ist eine Form von Rassismus. „Stammfranzosen“ mobilisieren den Hass auf Muslime, um „Konkurrenten“ niederzuhalten, die sozial immer öfter aufsteigen. Politikern dient die Stigmatisierung von Sündenböcken als eine wohlfeile Ablenkung von der Austeritätspolitik und von ihrem gebrochenen Versprechen, eine gerechte Umverteilung zu gewährleisten.